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Politik: Kevins Martyrium

Der Obduktionsbericht belegt das unvorstellbare Leiden des Zweijährigen aus Bremen: 24 Brüche an Armen, Beinen und Schädel

„Wir können jetzt erahnen, welches Martyrium das Kind durchgemacht hat.“ Mit diesen Worten stellte die Bremer Staatsanwaltschaft am Donnerstag das abschließende rechtsmedizinische Gutachten über den zweijährigen Kevin vor, der im Oktober tot im Kühlschrank seines Ziehvaters gefunden worden war. Die Bremer und Hamburger Rechtsmediziner fanden an der Leiche 24 Brüche an Armen, Beinen, Rippen und Schädel. Aller Wahrscheinlichkeit nach seien sie „Folgen von mutwilligen Kindesmisshandlungen“ und nicht durch Unfälle oder „etwas groberes Anfassen des Kindes“ entstanden, zitierten die Strafverfolger aus dem Gutachten. Fünf der Brüche seien in den letzten 24 Stunden vor Kevins Tod entstanden – an Stellen, die schon früher einmal gebrochen gewesen seien. Zusätzlich seien auch Folgen „stumpfer Gewalt“ an Kopf und Hoden gefunden worden. Es gebe aber keinerlei Hinweise auf sexuellen Missbrauch. Todesursache war letztlich wohl ein Herzversagen.

Kevins drogensüchtiger Ziehvater Bernd K. steht laut Staatsanwaltschaft im dringenden Verdacht, dem Kind all diese Verletzungen zugefügt zu haben. Er müsse jetzt mit einer Anklage wegen „Mord durch Unterlassen“ oder „Totschlag durch Unterlassen“ rechnen. Denn nach den letzten Misshandlungen habe er keine ärztliche Hilfe geholt. Ob er wegen Mordes oder Totschlags angeklagt werde, hänge von einem psychiatrischen Gutachten ab. Der 41-Jährige sitzt zurzeit in einer geschlossenen Gerichtspsychiatrie und verweigert die Aussage.

Kevin war bereits acht Monate nach seiner Geburt wegen Brüchen in einer Klinik behandelt worden. Schon damals waren nach Ansicht der Ermittler „alle Verletzungen als misshandlungstypisch anzusehen“. Die Ärzte hatten daraufhin zwar das Jugend- und Sozialamt informiert, doch blieb dies ebenso folgenlos wie spätere Warnungen anderer Fachleute. Gegen den Sachbearbeiter in der Behörde und den Amtsvormund wird deshalb wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht ermittelt. Ein weiteres Verfahren wurde gegen einen Hausarzt eingeleitet, der Bernd K. neben der Ersatzdroge Methadon unerlaubt zusätzliche Betäubungsmittel verschrieben haben soll. Eingestellt wurden die Ermittlungen gegen K. wegen des Verdachts, er habe auch Kevins Mutter getötet. Sie war im November 2005 einem Milzriss erlegen. Ursache dafür könne ein selbst verschuldeter Sturz gewesen sein, meinen die Ermittler.

Als Kevins Todeszeitpunkt vermutet die Staatsanwaltschaft „Ende April/Mai“. Erst am 10. Oktober versuchten Jugendamt und Polizei, das Kind in eine Pflegefamilie zu bringen, fanden aber nur noch seine Leiche. Der Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft, Dietrich Klein, sagte, das Leiden des Jungen überschreite jede Vorstellungskraft. „Wer die Fotos dieses Kindes gesehen hat, wird diesen Anblick so schnell nicht los.“ Das Versagen des Jugendamts wird von einem Untersuchungsausschuss der Bremischen Bürgerschaft durchleuchtet.

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