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Nach dem überraschenden Tod des Diktators Kim Jong Il wird die Ratlosigkeit eines Volkes sichtbar, das seit 1994 vom Sohn des Staatsgründers beherrscht wurde.

© Mauritius

Kim Jong Il: Das Phantom und sein Kult

Kim Jong Il beherrschte seit 1994 Nordkorea. Er war der "Irre mit der Bombe": allgegenwärtig – und doch nicht zu fassen.

Sie knieten nieder vor den vielen Denkmalen oder Monumenten, oder sie brachen mitten in den Weiten ihrer breiten, autofreien Straßen in Tränen aus. Die ganze Stadt wirkte wie betäubt von der Nachricht, die in einer Sondersendung des Fernsehens verbreitet wurde: Kim Jong Il ist tot, schon seit Sonnabend, der Mann, den sie „Geliebter Führer“ nennen in Nordkorea, obwohl er doch das Schreckensreich, das sein Vater um sie aller herum errichtet hatte, bestehen ließ. Obwohl er nichts daran änderte, dass so viele Menschen hungern, dass ihre Städte abends dunkel sind und ihre Wohnungen im Winter kalt, dass, wer immer Kritik äußert, verschwindet. Ehrliche Tränen werden darüber in Pjöngjang vergossen, vielleicht in ganz Nordkorea, sagen die wenigen Beobachter, die es im Land überhaupt gibt. Das öffentliche Leben liegt weitgehend lahm, Geschäfte wurden geschlossen, Treffen abgesagt.

Der Tod hat Kim Jong Il auf einer Zugfahrt ereilt. Ausgerechnet. Züge galten ihm immer als sicherer Ort. Nur eine Flugreise 1965 nach Indonesien ist bekannt geworden. Alle anderen Reisen absolvierte er mit einem gepanzerten Zug, den sein Vater, der Nordkorea-Begründer und „Große Führer“ Kim Il Sung, einst vom sowjetischen Diktator Josef Stalin als Geschenk erhalten hatte. Kim Jong Il soll das Gefährt mit einer Schutzlackierung gegen Ortungsgeräte versehen und damit schwer ortbar gemacht haben. Zudem sollen ihn auf seinen zum Teil wochenlangen Reisen durch China und Russland noch zwei identische Züge begleitet haben, damit sein Aufenthaltsort für mögliche Angreifer nicht zu erkennen ist.

Aber vielleicht ist das auch nur wieder Legende, wie nahezu alles um Kim Jong Il herum, von Geburtszeit und -ort bis hin zu seinen angeblichen Vorlieben für westlichen Luxus. Auch die genauen Umstände des Todes werden vernebelt. Während einer Inlandsfahrt mit dem Zug, so meldete es die Zentrale Koreanische Nachrichtenagentur, sei der Führer „nach einer großen mentalen und physischen Belastung“ gestorben, gemeint ist ein Herzinfarkt.

Kim Jong Il hat die westliche Welt immer entsetzt, so viel Grausames war aus seinem Land zu hören. Bereits in den ersten Jahren seiner Herrschaft, die er erst drei Jahre nach dem Tod seines Vaters Kim Il Sung 1997 antrat, sollen etwa eine Million Nordkoreaner verhungert sein. Das Aufbegehren der Menschen gegen ihr Elend unterdrückte er mit aller Härte, und gleichzeitig polierte sein Image in der Bevölkerung durch Propaganda auf. Der Großteil der Energieressourcen und allen Geldes floss in das Atomwaffenprogramm, den wirtschaftlichen Umbau seines Landes vernachlässigte er. Während er sich von der verarmten Bevölkerung verehren ließ, sorgte er auf internationalem Parkett für Schrecken. Er war „der Irre mit der Bombe“. Und sein Land steht bis heute für Hunger, absolute Kontrolle und für Konzentrationslager, in denen Jahr für Jahr tausende Menschen elend sterben, manche nur, weil sie etwas zu Essen für ihre Kinder gestohlen hatten.

Aber zugleich hat Kim Jong Il durch seine Exzentrik auch fasziniert. Er galt als Liebhaber von Filmen, Frauen und teurem Alkohol. 1993 und 1994 gab der Cognac-Hersteller Hennessy bekannt, dass Kim Jong Il weltweit der wichtigste Einzelkunde sei. 750 000 Dollar pro Jahr ließ er sich seine Leidenschaft auch in jenen Zeiten kosten, als sein Volk hungerte, das Durchschnittseinkommen der Nordkoreaner lag zu dieser Zeit bei rund 900 Dollar im Jahr. In den 70er Jahren ließ der Filmliebhaber den südkoreanischen Regisseur Shin Sang Ok, und dessen Frau, die Schauspielerin Choi Eun Hee, aus Hongkong nach Nordkorea entführen. Beide mussten für ihn Filme produzieren, ihnen gelang erst 1986 bei einer Reise nach Wien die Flucht aus Kim Jong Ils Machtbereich. Und schließlich stilisierte ihn auch die Propaganda zu einem übermenschlichen Wesen mit göttlichen Fähigkeiten, das hatte schon angefangen, als er noch ein Kind war: besonders wissbegierig soll er gewesen sein, besonders gerecht, besonders ordentlich, besonders fleißig, besonders sauber.

Die außergewöhnlichen Begabungen erwiesen sich später als auch in allen anderen Lebensbereichen – vor allem der Kunst – vorhanden, bis hin zu Golfsport ging das. So soll Kim Jong Il seine erste Golfrunde mit 38 unter Par abgeschlossen haben, darunter sollen gleich elf Asse gewesen sein, also Schläge die nach dem Abschlag sofort ins Loch fielen. Ein einsamer Weltrekord, der zwar von 17 Leibwächtern bezeugt wird und trotzdem nicht Eingang in das Guinness-Buch der Rekorde gefunden hat.

Die dritte Generation der Kims tritt an die Spitze des Landes

Aber wer weiß, wer das alles geglaubt hat. In einer Kim-Jong-Il-Biographie stellt der US-amerikanische Autor Michael Breen fest, dass der gewöhnliche Nordkoreaner nur sehr wenig wisse über die beiden Kims, die Ziele seiner Verehrung. Was vielleicht ein entscheidender Baustein im Machtgebäude der Familie ist. Denn je unwissender die Menschen, desto größer ihre Bereitschaft zu Anbetung und Folgsamkeit.

Kim Jong Il war nun bereits die zweite Generation der von seinem Vater begründeten Kim-Dynastie. Er soll weit weniger sympathisch gewesen sein als sein Vater, einer, der sich Loyalität durch drakonische Strafen für deren Fehlen sicherte. Oder: Dem Loyalität gesichert wurde. Autor Breen nennt Kim Jong Il „weder geisteskrank, noch bis ins Mark verdorben“, aber das System, an dessen Spitze er steht, das sei krank und verdorben, weil es nur auf eine einzige Person reagiert, zu reagieren müssen meint. Wie gefährlich und unberechenbar war, was dabei herauskam, zeigte sich beispielsweise im November 2010.

Mit einem Artillerieangriff auf die südkoreanische Insel Yeonpyeong führte Kim Jong Il dem koreanischen Bruderstaat vor Augen, dass er jederzeit für tödliche Überraschungen gut ist. Die Drohung, seine Atomwaffen einzusetzen, war allgegenwärtig. Auch wenn Kim Jong Il die vor allem nutzte, um seinen Nachbarn und dessen Verbündete zu erpressen. Die Versuche, Nordkorea auf internationaler Ebene im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche zur Aufgabe seines Atomwaffenprogramms zu bewegen, scheiterten regelmäßig. Selbst unter der Führung Chinas gab es kaum Fortschritte. Auch wenn Peking Nordkorea öffentlich immer in den Schutz nahm, zeigten sich chinesische Außenpolitiker inoffiziell schon länger entnervt von ihrem Partner. Die von Wikileaks enthüllten Depeschen zitierten den chinesischen Vizeaußenminister He Yafei mit den Worten, Nordkorea benehme sich wie ein „verzogenes Kind“, das die Aufmerksamkeit des Erwachsenen wolle. Der chinesischen Führung ist an Stabilität auf der koreanische Halbinsel gelegen Und Kim Jong Il war für genau diese Stabilität eine Gefahr.

Nun tritt an die Spitze Nordkoreas also die dritte Generation der Kims: Kim Jong Un. Ausgewählt bereits im August 2008, als es erstmals Gerüchte über den Tod Kim Jong Ils gegeben hat, der nach einem Schlaganfall wochenlang nicht öffentlich aufgetreten war. Wieder bei Kräften regelte der „Geliebte Führer“ seinen Nachlass dahingehend, dass er seinen dritten Sohn Kim Jong Un zum Nachfolger bestimmte, der daraufhin „Großer Nachfolger“ genannt wurde. Am Montag sagte nun ein weinender Moderator im nordkoreanischen Fernsehen: „Alle Parteimitglieder, Militärangehörigen und das Volk sollten treu der Führung des Kameraden Kim Jong Un folgen und die Einheitsfront aus Partei, Militär und Volk schützen und weiter stärken.“

Als heilige Familie herrschen und wachen die Kims über das reine nordkoreanische Volk, das vor den gefährlichen Einflüssen vom Rest der Welt beschützt werden müsse. In dieser quasi-religiösen Ideologie den Platz des Führers einzunehmen, ist für den jungen Kim Jong Un keine leichte Aufgabe. Es ist über den „Großen Nachfolger“ ebenso wenig, vielleicht sogar noch weniger bekannt als über den „Geliebten Führer“. Wie von seinem Vater ist auch vom Sohn schon das Geburtsdatum nicht bekannt. Er soll am 8. Januar 1982, 1983 oder 1984 geboren sein. Die nordkoreanische Propaganda hat schon den Geburtsort seines Vaters von einem sowjetischen Ausbildungslager auf den „heiligen“ Berg Paektu verlegt, eine ähnliche Legende dürfte es nun auch für Kim Jong Un geben.

Bevor die Wahl des Vater auf ihn fiel, galt ein anderer als Favorit für die Nachfolge: der erstgeborene Sohn Kim Jong Nam. Doch der gilt als zu verweichlicht und verlor 2001 endgültig alle Chancen auf das dynastische Erbe, als er aus Japan ausgewiesen wurde. Er hatte mit einem gefälschten Pass der Dominikanischen Republik einreisen wollen, um das Disneyland in Tokio zu besuchen, erzählte er den japanischen Grenzbeamten. Seither wurde Kim Jong Nam in den Spielcasinos Macaus und auf einem Eric-Clapton-Konzert in Singapur gesichtet.

Da war Halbbruder Kim Jong Un längst als Nachfolger auserkoren und auf einer Reise nach China dem wichtigsten Verbündeten vorgestellt worden. Der ehemalige japanische Koch der Familie Kim schrieb in einem Buch, das Kim Jong Un seinem Vater am charakterlich ähnlichsten sei. Er solle eine furchtlose Persönlichkeit sein und wie Kim Jong Il ebenfalls an Diabetes leiden. Zwischen 1998 und 2000 besuchte er als angeblicher Sohn nordkoreanischer Diplomaten unter dem Namen Pak Un die Liebefeld-Steinhölzli Schule in Bern. Niemanden fiel auf, dass der ruhige Asiat ein Diktatorensohn war. Seine Mitschüler erinnern sich nur an seine Vorliebe für teure Sportschuhe und für Basketballstars aus den USA. So soll der Junge aus dem Land der Imperialistenhasser in der Schule stundenlang mit dem Bleistift Michael Jordan gemalt haben, in seinem Zimmer hingen Poster von NBA-Spielern. Im Jahr 2000 war der seltsame Internatsschüler, dessen Eltern sich nie zeigten, plötzlich wieder aus Bern verschwunden. Anschließend soll er von 2002 bis 2007 an der nordkoreanischen Militärakademie ausgebildet worden sein. Spätestens seit seiner Ernennung 2010 zum Viersternegeneral war klar, dass Kim Jong Un Nordkoreas nächster Diktator werden würde.

Bis zum 29. Dezember wurde eine nationale Trauerzeit ausgerufen, während der Singen und Tanzen verboten ist. Nordkoreas Staatsfernsehen zeigte Mitglieder der regierenden Kommunistischen Partei, die schluchzten, schrieen und auf Tische schlugen. „Ich kann es nicht fassen. Wie konnte er so gehen? Was sollen wir jetzt machen?“, fragte ein Parteimitglied. „Er versuchte so sehr, unser Leben besser zu machen und ist einfach gegangen“, klagte ein anderer. Meinen die Menschen das wirklich so?

Der Personenkult, der mehr als ein Jahrzehnt um Kim Jong Il geführt wurde, wird sicherlich Spuren in der Bevölkerung hinterlassen haben. Schon beim Tod von Kim Il Sung, dem „ewigen Präsidenten“ kam es zu extremen Trauerbekundungen, bei denen sich Nordkoreaner förmlich zu übertrumpfen versuchten. Um nicht in den Verdacht zu geraten, sie seien nicht traurig genug?

Mitarbeit Matthias Meisner, Christian Tretbar, Lars Spannagel

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