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Politik: „Kinder dürfen nicht zur Armutsfalle werden“

Die jüngste Abgeordnete im Bundestag, Anna Lührmann, über gerechte Sozialpolitik, die Zuwanderung – und das Altwerden

ANNA LÜHRMANN (20)

ist die jüngste Bundestagsabgeordnete. Für Bündnis 90/Die Grünen kümmert sich die PolitikStudentin um Europafragen.Foto: ddp

Frau Lührmann, glauben die 20-Jährigen an das deutsche solidarische Rentensystem?

So, wie es jetzt ist, glauben wir nicht daran.

Haben Sie dann überhaupt Lust, bis 67 zu arbeiten und in ein Rentensystem einzuzahlen, das ihren Lebensstandard nicht sichern wird?

Ich glaube schon, dass die Mehrheit der Jungen das solidarische Rentensystem in Deutschland im Grunde genommen gerecht findet. Wir werden ja auch mal alt und wollen nicht, dass uns dann einer sagt, die Alten bekommen nichts. Ob wir allerdings bereit sind, bis 67 zu arbeiten, das hängt sehr stark davon ab, ob andere Generationen auch ihren Beitrag leisten müssen.

Reichen dazu die Vorschläge der Rürup-Kommission, die jetzt vorliegen, aus?

Die Ansätze finde ich richtig. Sowohl die Erweiterung der Lebensarbeitszeit auf lange Sicht als auch kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung des Beitragsniveaus. Aber das reicht noch nicht. Es muss viel mehr für Familien getan werden, damit sich wieder mehr Menschen für Kinder entscheiden. Wir brauchen mehr Zuwanderung zur Abmilderung des demografischen Problems. Wir müssen darüber reden, ob mehr Personengruppen in die Rentenkassen einzahlen sollen.

Vor allem die Älteren klagen jetzt schon, sie würden zu stark zur Kasse gebeten.

Auch die heutigen Rentner müssen sich an der Stabilisierung des Systems beteiligen. Deshalb wollen wir einen Nachhaltigkeitsfaktor einführen. Es wird wohl auch zu einer Aussetzung der Rentenanpassung kommen. Das sind aber Beiträge, die Rentner akzeptieren können. Schließlich geht es darum, dass ihre Enkel später auch noch Rente bekommen. Nach all den Jahren, in denen den Leuten vorgegaukelt wurde, dass die Rente sicher ist, muss man ihnen reinen Wein einschenken. Regierung und Opposition müssen ehrlich über Reformen sprechen und notwendige Schritte im Herbst umsetzen. Dazu gehört auch, dass die Leute realistischere Daten über ihre Rentenerwartungen bekommen. Die Renteninformationen müssen verändert werden. Jeder muss gleich sehen können, wie viel er für einen bestimmten Lebensstandard privat vorsorgen muss.

Sollte die private Vorsorge zur Pflicht werden?

Davon halte ich gar nichts. Das Solidarsystem muss den Menschen in Zukunft eine Grundrente sichern. Wer darüber hinaus einen besseren Lebensstandard haben will, der muss darüber selbst entscheiden können. Statt mehr Druck bei der Riester-Rente muss es weniger Bürokratie geben.

Ein Weg zur Vorsorge wäre, mehr Kinder zu bekommen, die später für die Alten arbeiten.

Ich persönlich kann verstehen, warum sich so wenige Leute für Kinder entscheiden. Gerade für Frauen ist es unheimlich schwer, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

Sollten Kinderlose weniger Rente bekommen?

Nein, Bestrafung ist kein gutes Mittel. Zumal es ja Menschen gibt, die keine Kinder bekommen können. Stattdessen sollte mehr Geld für Betreuungseinrichtungen ausgegeben werden, damit es leichter wird, Kinder großzuziehen und arbeiten zu gehen.

Tut die Bundesregierung genug?

Mehr als vorher wird auf jeden Fall getan, auch wenn es noch nicht ausreicht. Wir brauchen eine Grundsicherung für Kinder, damit Kinder nicht zur Armutsfalle werden. Im Moment wird das Thema Generationengerechtigkeit aber zu sehr mit Sozialpolitik gleichgesetzt. Ursprünglich ist das Kernanliegen einer generationengerechten Politik der Umweltschutz. Raubbau an der Umwelt entzieht den zukünftigen Generationen ihre Lebensgrundlage. Vor allem meine Generation sollte sich darüber mehr Gedanken machen.

Das Gespräch führten Cordula Eubel und Antje Sirleschtov.

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