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Politik: Kinder haften nur beschränkt für Eltern

Verfassungsgericht bestätigt: Eigene Altersvorsorge geht vor Unterhalt für bedürftige Mütter und Väter

Karlsruhe/Berlin - Kinder pflegebedürftiger Eltern können für deren Unterhalt nur beschränkt herangezogen werden. Wie das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden hat, dürfen Sozialämter die Nachkommen nicht zur Aufnahme von Darlehen zwingen, um damit die Heimkosten ihrer Eltern zu finanzieren. Einen solchen Fall hatte es in Bochum gegeben. Das Landgericht Duisburg, das diese Praxis billigte, habe damit „den Boden des geltenden Rechts verlassen“, stellte der Erste Senat des Verfassungsgerichts jetzt fest.

Darüber hinaus betonten die Richter die bestehenden Grenzen des Elternunterhalts. So habe der Gesetzgeber sichergestellt, dass erwachsenen Kindern ein ihren Lebensumständen entsprechender eigener Unterhalt verbleibe. Die „relativ schwache Rechtsposition“ der Eltern gegenüber ihren Kindern werde durch künftig weiter sinkende Leistungen aus der Rentenkasse und die „Riester-Rente“ noch weiter geschwächt. „Der Gesetzgeber hat die Verantwortung jedes Einzelnen hervorgehoben, für seine Alterssicherung neben der gesetzlichen Rentenversicherung rechtzeitig und ausreichend vorzusorgen“, urteilte das Gericht. Hinzu kämen die Unterhaltszahlungen für Ehegatten und die eigenen Kinder. Diese „besondere Belastungssituation“ der häufig so genannten Sandwich-Generation müsse bei der Bestimmung eines angemessenen Unterhalts für die Eltern berücksichtigt werden. Damit bestätigten die Verfassungsrichter ausdrücklich die Linie des Bundesgerichtshofs in dieser Frage.

Zwei Drittel aller Pflegebedürftigen sind auf ergänzende Leistungen aus der Sozialhilfe angewiesen. Immer häufiger aber holen sich die Ämter ihre Ausgaben von den Kindern der Betroffenen zurück. Im Jahr 2001 trieben sie auf diese Weise 40 Millionen Euro ein. In dem Bochumer Fall hatte das Amt eine Frau verpflichtet, für die Heimkosten ihrer Mutter einen Kredit zu akzeptieren und ihn mit ihrem Haus abzusichern. Damit umging die Behörde einen wichtigen Grundsatz im Unterhaltsrecht: Dass Unterhalt nur leisten muss, wer ihn auch leisten kann. Denn die Frau musste ihre Immobilie noch abbezahlen und hatte deshalb aktuell kein Geld zur Verfügung. Nach ihrem Tod sollte ihr Eigentum dann an den Staat fallen. Die Karlsruher Richter unterstrichen in diesem Zusammenhang das Sozialstaatsgebot im Grundgesetz. Menschen hätten einen Anspruch auf staatliche Hilfe, um ihr Existenzminimum zu sichern. Mit einem aufgezwungenen Darlehen werde ein zivilrechtlich nicht gegebener Unterhaltsanspruch sozialhilferechtlich begründet. „Diese rechtliche Konstruktion würde letztlich Sozialhilfeansprüche gänzlich zum Wegfall bringen.“

Das Urteil stieß auf breite Zustimmung bei Parteien, Verbänden und Rechtsexperten. Kritik kam von den Bochumer Behörden. „Die Sozialhilfeträger können nicht die Vergreisung der Gesellschaft finanzieren“, sagte Rechtsdezernent Hanspeter Kirsch. Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nannte das Urteil „sehr gefährlich für die Pflegeversicherung“.

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