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Kindersoldaten: Schulbücher statt Kalaschnikow

250.000 Kindersoldaten werden weltweit in Kriegen als Kämpfer missbraucht. Hilfsorganisationen versuchen, sie aus ihrem Schicksal zu befreien.

An schlechten Tagen musste Bonaventure schießen, in einem Krieg, der nicht der seine war. An guten Tagen kochte er nur für die Kämpfer der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) oder schleppte Holz und Wasser ins Lager. Wie viele andere Kinder auch bildete die FDLR ihn im Umgang mit der Waffe aus, um ihn im Bürgerkrieg im benachbarten Kongo einzusetzen. Bonaventure erhielt ein Sturmgewehr und wurde Leibwächter eines Kommandeurs. Bei einem Kampf zwischen den Rebellen und Regierungstruppen wurde er 2007 angeschossen. Der damals 13-Jährige blieb verwundet im Wald liegen, wurde von seiner Einheit getrennt und floh später nach Ruanda.

Kindersoldaten sind für geldgierige Warlords, machthungrige Despoten und angebliche Freiheitskämpfer ideale Kämpfer. Sie fangen sie und verabreichen den Jungen und Mädchen Drogen, schüchtern sie mit brutaler Gewalt ein, drohen ihnen und zwingen sie zu bestialischen Taten. Die Kriegsherren machen aus Kindern gnadenlose Killer, aus Opfern werden selbst Täter – für immer seelisch gebrochen. Stirbt einer dieser minderjährigen Kämpfer, rückt ein weiteres Kind nach.

Die meisten Kindersoldaten werden entführt – manche wie Bonaventure schließen sich Mörderbanden wie der FDLR jedoch auch freiwillig an. Bonaventure entschloss sich dazu, nachdem sein Vater gestorben war. Er war allein mitten im Kriegsgebiet. Die Rebellen versprachen ihm Schutz. Doch im Dienst der FDLR wäre Bonaventure fast gestorben. Seine Zeit bei den Rebellen hat ihn gezeichnet: Eine Hand wurde bei einer Explosion verletzt, er kann sie bis heute nicht bewegen. Auch seinen Kopf lässt der Krieg nicht los. "Ich musste immer daran denken, dass ich keine Eltern mehr habe, nur das Militär – also nichts", sagte der 16-Jährige Unicef-Mitarbeitern. In einem Rehabilitationszentrum in Ruanda werden Bonaventure und 23 weitere ehemalige Kindersoldaten an eine Zeit ohne Gewalt herangeführt. Sie gehen endlich zur Schule, lernen lesen und schreiben und bekommen später die Möglichkeit, einen Beruf zu ergreifen.

Schätzungsweise 250.000 Minderjährige werden nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) weltweit von Armeen und bewaffneten Gruppen als Kämpfer oder Arbeitssklaven ausgebeutet. Mädchen leiden oft besonders, sie werden von Soldaten und Rebellen häufig sexuell missbraucht. "Der Einsatz von Kindersoldaten ist eine zynische Menschenrechtsverletzung", sagte Jürgen Heraeus, Vorsitzender von Unicef Deutschland. "Diese Kinder sind Opfer, die von skrupellosen Erwachsenen zu Tätern gemacht werden."

Um auf das Schicksal der Kindersoldaten aufmerksam zu machen, gibt es seit 2002 den "Red Hand Day", den Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Politiker, Hilfsorganisation und Menschenrechtsaktivisten prangern den Missbrauch von Jungen und Mädchen als Kämpfer an. Auch Außenminister Guido Westerwelle sagte am Freitag in Berlin: Es sei nötig, international darauf hinzuwirken, "dass das, was wir hier beklagen, auch wirklich geächtet wird."

Er eröffnete im Auswärtigen Amt die Ausstellung ich krieg dich, die vom christlichen Hilfswerk World Vision erarbeitet wurde. Diplomaten und Helfer wollen so auf das Leid von Kindern in Kriegen aufmerksam machen. "Kinder müssen vor Kampfhandlungen besonders geschützt werden", sagte Christoph Waffenschmidt, Vorstandsvorsitzender von World Vision. "Der Missbrauch von Kindern als Soldaten muss konsequent verfolgt und bestraft werden."

Nach der UN-Kinderrechtskonvention dürfte es Kindersoldaten gar nicht geben: Sie wurde von mehr als 120 Staaten ratifiziert und spricht Jungen und Mädchen zehn Grundrechte zu. Dazu gehören das Recht auf Gesundheit, Spiel und Bildung – die Beteiligung von Minderjährigen an bewaffneten Konflikten ist ausdrücklich untersagt. Doch nicht nur Rebellengruppen, auch Regierungsarmeen rekrutieren weiterhin Minderjährige für den Kriegsdienst. Das habe fatale Folgen für ganze Generationen, sagt Ekkehard Forberg, World-Vision-Experte für Friedensförderung: "Die Zukunft einer Gesellschaft hängt entscheidend davon ab, wie Kinder ihre Kriegserlebnisse verarbeiten." Schul- und Berufsbildung machten Kindern in Kriegs- und Krisengebieten deutlich, dass es eine Zukunftsperspektive jenseits der Gewalt gebe.

Auch das zuständige Ministerium hat die Bedeutung der Bildung erkannt. Entwicklungsminister Dirk Niebel hat bereits angekündigt, dass die Bildung ein Kernthema der Förderprojekte werden solle. Dass Deutschland sich bereits seit Jahren für ehemalige Kindersoldaten einsetzt, betonte seine parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp. Das Ministerium finanziert Bildungsprojekte für alle Kinder – nicht nur für die jugendlichen Soldaten, sondern für alle jungen Kriegsopfer. Kopp kündigte an, dass das BMZ künftig verstärkt auch auf Aufklärungen setzen will.

In Regionen, in denen Kinder von Streitkräften und Guerillabanden entführt werden, sollen die Bevölkerung und vor allem die Eltern sensibilisiert werden, damit Kinder vor Verschleppungen und Übergriffen besser geschützt werden. Mit Aufklärungskampagnen soll auch verhindert werden, dass Kinder wie Bonaventure sich freiwillig den Kämpfern anschließen.

"Ebenso gilt es, Opfer wieder in die Familien beziehungsweise Dorfgemeinschaften zu reintegrieren und ihnen eine Zukunftsperspektive durch Ausbildungsprojekte zu bieten", sagte Kopp. Deutschland engagiert sich vor allem in Afrika, in der Demokratischen Republik Kongo, in Sierra Leone, Liberia, Burundi und Uganda. Unicef führt zehn weitere Länder auf, in denen die UN gegen den Einsatz von Kindersoldaten vorgehen. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen fordert die Staatengemeinschaft zu einem größeren Engagement auf.

Unicef verweist auf Fälle wie den von Bonaventure, die zeigten, dass ehemaligen Kindersoldaten mit Bildung geholfen werden kann. Der Fall macht aber auch deutlich, dass die betroffenen Jugendlichen jahrelang unterstützt werden müssen. Wenn er seinen Schulabschluss hat, kann er zwischen drei Ausbildungszweigen wählen: Landwirtschaft, Tierhaltung oder Handel. Danach wird er eine finanzielle Unterstützung bekommen, um ins Berufsleben zu starten. Für die Entscheidung bleibt Bonaventure noch einige Zeit. Eines weiß der 16-Jährige jetzt schon ganz genau: In den Wald, wo die Rebellen ihn zum Kämpfen zwangen, will er auf keinen Fall zurück. 

Quelle: ZEIT ONLINE

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