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Politik: Kindesentführung: Aus Verzweiflung ein Kampf mit Leib und Leben - Warum ein französischer Vater im Hungerstreik ist

Xavier Tinel ist verzweifelt. Seit über vier Wochen schon ist der 32-Jährige Franzose im Hungerstreik.

Xavier Tinel ist verzweifelt. Seit über vier Wochen schon ist der 32-Jährige Franzose im Hungerstreik. Bis zum vergangenen Sonntag harrte er Tag und Nacht vor der Kirche von Sannois bei Paris aus, mittlerweile führt er seine Aktion zu Hause fort. Der Körper ist zu schwach geworden für die Anstrengung im Freien. Der städtische Angestellte protestiert mit dieser Aktion gegen die "Entführung" seiner beiden Töchter Tiffany (8 Jahre) und Vanessa (6) nach Deutschland. Doch keiner kümmert sich um seinen verzweifelten Protest. Die französischen Medien schweigen, die Politiker schauen am liebsten weg.

"Niemand rührt sich", klagt Tinel. "Die Justizministerin legt die Hände in den Schoß, und der Außenminister tut auch nichts." Selbst eine deutsch-französische Schlichtungsstelle, die sich um Streitfälle im Sorgerecht kümmern soll, sei untätig geblieben. Dabei scheint Tinels Fall aus seiner Sicht eindeutig: Nach der Scheidung von seiner deutschen Ehefrau hatte ihm das zuständige französische Familiengericht das Sorgerecht für die Kinder zugesprochen. Doch die Mutter setzte sich über das Gerichtsurteil hinweg. Gegen den Willen des Vaters zog sie mit den beiden jungen Töchtern nach München. "Ein klarer Fall von Kindesentführung", meint Xavier Tinel. Selbst ein Gericht in München habe festgestellt, dass die Frau im Unrecht sei.

Tinel ist kein Einzelfall

Doch statt die Rückgabe der Kinder an den Vater anzuordnen, bleibe die deutsche Justiz untätig, so Tinels Kritik. Und Tinel ist kein Einzelfall. 150 Kinder würden derzeit illegal in Deutschland zurückgehalten, schätzt die französische Selbsthilfegruppe "SOS internationale Kindesentführung". Immer wieder, sagt die Gruppe, würden deutsche Gerichte zugunsten der "Entführer" entscheiden. Eine Besserung sei nicht in Sicht, meint der Präsident der Selbsthilfegruppe, Denis Supersac. "Aus der Presse haben wir erfahren, dass der amerikanische Präsident Clinton bei seiner Deutschlandreise bis zum 3. Juni hart bleiben will, um die Rückkehr illegal zurückgehaltener Kinder in die USA zu erreichen. Doch Frankreich unternimmt immer noch nichts", regt sich Supersac auf. Allerdings steht es auch nicht besonders gut um die Reputation der Selbsthilfegruppe. Den deutschen Gerichten werfen die Mitglieder pauschal schon mal "Dritte-Reich-Methoden" vor und sind auch ansonsten nicht zimperlich mit ihrer Kritik.

Beim informellen deutsch-französischen Gipfel Mitte Juni in Rambouillet waren die gestohlenen Kinder kein Thema. Auch beim nächsten bilateralen Treffen am 9. Juni in Mainz steht die kritisierte deutsche Rechtspraxis bisher nicht auf der Tagesordnung. Offenbar ist es nicht "politisch korrekt", Unrecht zu einer Zeit anzuprangern, da sich Berlin und Paris wieder ihrer Freundschaft versichern. Selbst Präsident Jacques Chirac, der sich schon mehrfach gegen das "Gesetz des Dschungels" in deutsch-französischen Sorgerechts-Streits ausgesprochen hat, hält sich dezent zurück.

Letzte Hoffnung Clinton

Xavier Tinel ist immer noch fest entschlossen, seinen Hungerstreik fortzusetzen. Seit knapp einer Woche zwingen ihn die gesundheitlichen Folgen seines Tuns allerdings, zu Hause zu bleiben. Am Montag musste er in der Notaufnahme behandelt werden. Dennoch will er weitermachen. Tinel bleibt daher nur eine Hoffnung: Dass US-Präsident Clinton die Rückkehr deutsch-amerikanischer Kinder in die USA durchsetzt. Denn dann müssten die deutschen Behörden wohl auch die umstrittene Rechtspraxis in den französischen Streitfällen revidieren - und Tinel könnte seine Töchter Tiffany und Vanessa schließlich doch noch in die Arme schließen.

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