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Politik: Kirch-Gruppe: Da kommen keine Pygmäen

Die New Economy beklagt ihr letztes Opfer: Leo Kirch. Die größte Spekulationsblase, die es je in der deutschen Unternehmensgeschichte gegeben hat, ist geplatzt.

Die New Economy beklagt ihr letztes Opfer: Leo Kirch. Die größte Spekulationsblase, die es je in der deutschen Unternehmensgeschichte gegeben hat, ist geplatzt. Keiner der jungen Internet-Pleitiers hat es so wie der 75-jährige Kirch verstanden, mit einer Vision Kapital zu mobilisieren und am Ende einen Berg von Schulden zu hinterlassen. "Sollen doch Pygmäen meine Firma führen", soll Kirch seinem zerfallenden Medienimperium verbittert nachgerufen haben. Ein filmreifer Abgang.

Kirch ist letztes Opfer und zugleich der erste Pionier der New Economy - und das war er schon vor fast einem halben Jahrhundert. Nicht Stahl oder Kohle machten ihn groß, sondern Hollywood und die elektronischen Medien. Und wie die Internet-Pioniere der 90er weckte Kirch die Träume seiner Geldgeber. Aber es war nicht das Geld allein, das ihn wachsen ließ. Jene Politiker, die in Erwartung des Zusammenbruchs Kirchs jetzt nach einer stärkeren Kontrolle des Medienmarktes rufen, haben jahrelang seine ungestörte Expansion gefördert. Vor allem die bayerische Staatsregierung.

Mehr als zwei Milliarden Euro hat die bayerische Landesbank an Kirch verliehen, in der trügerischen Hoffnung, er werde Hollywood vor den Toren Münchens errichten. Ein höchst riskantes Engagement, für das am Ende womöglich die Steuerzahler geradestehen müssen. Kirch-Förderer Edmund Stoiber, der Kanzlerkandidat, ahnt, was auf ihn zukommt. Deshalb schweigt er lieber. Lange ist es gut gegangen, sehr gut sogar. Aber nun wird klar, wie instabil das Gebäude war, das die politischen Kredite mit aufgebaut haben.

Doch das deutsche Banken- und Mediensystem kann einen wie Kirch nicht einfach fallen lassen - auch wenn es zunächst so aussieht. Die Auffanglösung, die sich jetzt unter der Regie der Großbanken abzeichnet, beweist es. Kirch ist viel zu sehr Bestandteil des Kungel-Kapitalismus mit seinen konservativen Männerbünden und politischen Rücksichtnahmen, um einfach aufgegeben zu werden. Die Banken tun am Ende, was zu tun ist in der Deutschland AG: Bevor Murdoch und Berlusconi einmarschieren, wird eine deutsche Lösung gefunden.

Nur wird diese Lösung wahrscheinlich nicht lange deutsch bleiben. Denn dass Murdoch und Berlusconi am Ende doch noch durch die Hintertür hereinkommen könnten, ist allen bewusst. Wer sonst sollte das operative Geschäft der neuen Kirch-Gruppe weiterführen? Die Banker, deren Kredite den Niedergang bloß verzögert haben? Der mit sich selbst beschäftigte Axel-Springer-Verlag? Oder der in die Wettbewerbsschranken verwiesene Bertelsmann-Konzern?

Das deutsche Insolvenzrecht, dem sich jetzt auch Kirch unterwerfen muss, lässt Spielraum für weitere Spekulationen. Klar ist, dass es die dritte Kraft Pro Sieben Sat 1 auf dem deutschen Fernsehmarkt neben ARD/ZDF und Bertelsmann-RTL weiter geben wird. Klar ist auch, dass es einen Investor für die Kirch-Konkursmasse geben muss, der nicht schon einen maximal zulässigen Teil des deutschen Marktes unter Kontrolle hat. Da bleiben nicht mehr viele. Außer Murdoch oder Berlusconi.

Es gibt gute Argumente, die gegen einen größeren Einfluss der beiden sprechen. Vor allem gegen den italienischen Medienmonopolisten und Ministerpräsidenten. Aber es gibt sehr wenige Mittel, ihren Einfluss zu verhindern, schon gar nicht per Gesetz. Der laute Ruf nach neuen Paragrafen, die eine Mauer um die gemütliche deutsche TV-Welt ziehen sollen, kommt zu spät. Ausländische Investoren stoßen in Deutschland an keine Grenzen und müssen sich ihren Eintritt nicht genehmigen lassen; damit steht Deutschland international ziemlich allein. Ändern lässt es sich über Nacht trotzdem nicht.

Die plötzliche Betriebsamkeit einiger Politiker ist deshalb unehrlich und weckt falsche Erwartungen. Unser Mediensystem ist politisch ummauert. Medienpolitik ist immer Standortpolitik, die sich aus Steuergeldern finanziert. Ob das so bleiben muss, darüber kann diskutiert werden. Kirch bietet den Anlass. Wer aber nicht nur diskutieren, sondern das System auch verändern will, der braucht Zeit. Die Teilnehmer sollten sich keine Illusionen machen: Murdoch und Berlusconi können Fakten schaffen, bevor die Debatte überhaupt begonnen hat.

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