zum Hauptinhalt

Kirche in Europa: Missbrauch? „Abtreibung ist schlimmer“

Kindesmissbrauch: Die deutsche Kirche ist kein Einzelfall – und Verharmlosung üblich. Ein Überblick über einige europäische Länder.

Auf der Karte sexueller Übergriffe von Priestern an Kindern stellt Frankreich keinen weißen Fleck dar. Etwa zehn Missbrauchsfälle, in denen gegen Angehörige der katholischen Kirche ermittelt wird, sind derzeit laut Auskunft der französischen Bischofskonferenz bei der Justiz anhängig. In 30 früheren Fällen wurden von den Gerichten zum Teil harte Strafen verhängt, die jedoch zu ihrer Zeit kein besonderes Aufsehen erregten.

Zu einer Wende in der Behandlung solcher Skandale kam es jedoch vor zehn Jahren im Fall des Bischofs von Bayeux, Pierre Pican. Ein Priester seiner Diözese hatte sich schwerer sexueller Übergriffe auf Minderjährigen zuschulden kommen lassen und wurde von einem Schwurgericht zu 18 Jahren Haft verurteilt. Durch eine Anzeige von Eltern hatte der Bischof Kenntnis von den Taten des Priesters erhalten, sein Wissen aber nicht an die Justiz weitergegeben. Wegen der Nichtanzeige von Straftaten verhängte das Gericht gegen ihn eine Bewährungsstrafe von drei Monaten. Es war das erste Mal seit der Revolution von 1789, dass ein hoher französischer Kirchendiener von der weltlichen Justiz verurteilt wurde. Und das zeitigte Folgen. Auf ihrer jährlichen Konferenz in Lourdes beschlossen Frankreichs Bischöfe darauf, in Fällen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ohne Einschränkung mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Seit 2002 wird allen angehenden und aktiven Priestern sowie Erziehern in katholischen Einrichtungen eine Broschüre mit dem Titel „Kampf gegen die Pädophilie“ ausgehändigt. 2005 musste sich der Bischof von Evreux vor Gericht verantworten. Er hatte einen in Kanada vorbestraften Priester zum Pfarrdienst in seine Diözese aufgenommen, der sich dort erneut an Kindern verging und zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Der Bischof wurde freigesprochen, da das Gericht ihm nicht nachweisen konnte, dass er von der Vorstrafe wusste. Ungeklärt blieb auch der Fall eines Sprechers der Bischofskonferenz. Als junger Priester soll er sich an Kindern vergangen haben. Das Verfahren wurde aber eingestellt; die Taten waren zur Zeit der Anzeige verjährt. Hans-Hagen Bremer

In der Schweiz soll es nach dem Vorschlag des Benediktinerabts von Einsiedeln, Martin Werlen, eine zentrale Anlaufstelle für kirchliche Missbrauchsopfer geben, die koordinieren und außerhalb der katholischen Kirche arbeiten soll. Der Abt wandte sich im Gespräch mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ gegen die Regelung der deutschen Bischöfe, die einen Ortsbischof als offiziellen Beauftragten für Fälle sexuellen Missbrauchs ernannt hatte. Dies sei „eine zu große Hemmschwelle für Betroffene“, sagte Werlen, der Mitbegründer eines Fachgremiums „Sexuelle Übergriffe in der Pastoral“ der Schweizer katholischen Kirche ist. Laut Zeitung gab es in den vergangenen 15 Jahren 60 Meldungen über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche der Schweiz. Der Jurist Adrian von Kaenel, Präsident des Fachgremiums, rechnet mit größeren Dimensionen: „Ich sehe keinen Grund, weshalb die Situation in der katholischen Kirche der Schweiz anders sein soll als etwa in Deutschland und Österreich.“ KNA

In Polen werden die Missbrauchsfälle in Deutschland eher am Rande zur Kenntnis genommen. Eine breite Diskussion in der Gesellschaft gibt es darüber nicht. Selbst die konservative Zeitung „Rzeczpospolita“, die die Vorgänge beim Nachbarn sehr genau und in der Regel überaus kritisch verfolgt, berichtet wenig und sehr sachlich über die Vorfälle. Mehr Raum gibt die liberale Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ dem Thema. Dort wird unter Überschriften wie „Schwarze Wolken über der deutschen Kirche“ von „lawinenartig steigenden Zahl der Opfer von Kindesmissbrauch“ geschrieben. In der Berichterstattung von „Gazeta Wyborcza“ klingt allerdings auch die Frage an, ob ein solcher Skandal in Polen ebenso möglich wäre. Bereits vor zehn Jahren hatte ein Fall von sexueller Belästigung auch die polnische Kirche erschüttert. Die Vorwürfe richteten sich gegen einen Erzbischof, der nach anfänglicher Weigerung dann im Jahr 2002 von seinem Amt zurücktrat. Papst Johannes Paul II. nahm das Gesuch damals kommentarlos entgegen. Knut Krohn

Versteckte Kameras in den Knabenduschen, unsittliche Berührungen, Zwang zu sexuellen Handlungen. Dies ist nur ein kleiner Auszug aus dem Instrumentarium, dessen sich in Spanien Ordensbruder José A. (53) bedient haben soll. Das Mitglied der katholischen Religionsgemeinschaft des„Heiligen Viator“, soll jahrelang in wenigstens drei religiös orientierten Schulen Schüler belästigt und missbraucht haben. Kein Einzelfall in der katholischen Bastion Spanien, wo in den letzten Jahren etliche Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche bekannt wurden. Der Ordensmann wurde in Chile festgenommen. Die Leitung der Ordensgemeinschaft versichert zwar, von nichts gewusst zu haben. Ehemalige Schüler berichten aber, es sei bekannt gewesen, was A. tat. Doch um die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in den eigenen Reihen war Spaniens katholische Kirche in der Vergangenheit ohnehin nicht sehr bemüht. Empörung löste vor einem Jahr die Einschätzung des spanischen Kardinals Antonio Canizares aus, sexueller Missbrauch durch Geistliche sei nicht so schwerwiegend wie etwa Abtreibung. Bernardo Alvarez, Oberhirte auf den Kanarischen Inseln, warf den Opfern vor, zuweilen mitschuldig am Missbrauch zu sein. „Wenn du nicht aufpasst, provozieren sie dich.“ Doch in den letzten Jahren sind trotz der kirchlichen Mauer des Schweigens zahlreiche Skandale in religiösen Einrichtungen in Spanien ans Tageslicht gekommen. Dazu gehören etwa Missbrauchsfälle in einem Priesterseminar im nordspanischen Kantabrien und in Kirchengemeinden in Madrid oder Cordoba. Ralph Schulze

unseren Korrespondenten

Zur Startseite