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Lockerlassen. Kirchentagsbesucherinnen am Freitag in Dresden auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche.

© dapd

Kirchentag: Viel Glück und viel Segen

Der Dresdner Kirchentag feiert den Glauben als Wellness- und Therapieangebot. Am Rande gibt es aber auch nachdenkliche Töne.

Glück gibt’s beim Chinesen als Keks. Protestanten brauchten das nicht. Sie hatten die Gnade Gottes und die himmlische Seligkeit. So war das früher. Auf dem Evangelischen Kirchentag in Dresden verfolgte einen das Glück allerdings. Die Bibelarbeit am Donnerstag drehte sich um die Seligpreisungen, den „Glückstext“ der Bibel, wie Margot Käßmann sagte. Die Hauptpodienreihe im Themenbereich „Glaube und Theologie“ fragte, ob Gott glücklich macht oder vielleicht Geld. Und wie verhält sich Glück zum Segen? In der Bibliodramawerkstatt wurde das Glück umtanzt.

Das Motto des Kirchentags ist ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium: „Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ Das Symbol dazu ist ein aus zwei Händen geformtes Herz. „In Dresden zeigt der Protestantismus seine Herzensseite“, sagte die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, die Präsidentin des Glaubensfests. So viel Herz, Gefühl und Selbsterfahrung war selten. Früher ging es bei den Christentreffen um die Weltverbesserung, heute geht es darum, wie man sich selbst optimiert, wie man glücklicher, entspannter, lockerer werden kann. Der Kirchentag ist nah dran an den Menschen. Aber wo bleibt Gott?

Auf der Dachterrasse des Dresdner Hilton hat er sich an diesem Freitagnachmittag zur „Energie“ verflüchtigt, der die Kirchentagsgäste bei Qigong und Yoga nachspüren. Sie treten sich dabei auf die Füße, so viele sind gekommen. In der Martin-Luther-Kirche geht es an diesem Nachmittag um „Lebenskunst unter Zeitdruck“. Die Kirchenbänke sind eng besetzt wie nie. Zunächst sollen sich alle „locker machen“. EineTrainerin ruft: „Hey everybody-body, good to see you“. Die Angesprochenen sollen es nachsprechen – und tun es auch artig. Es tauschen sich dann Marlehn Thieme, Deutsche-Bank-Direktorin und Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, und zwei Mediziner über das „erschöpfte Ich“ aus. Marlehn Thieme empfiehlt joggen und Familien-Sonntage gegen den Stress. Die Mediziner raten zu Ritualen und Ruhe, man solle „den Atem beobachten“ und „auch mal was Zweckfreies tun“, Klavierspielen zum Beispiel. Auf dem Relief der Predigtkanzel neben dem Podium bricht Jesus auf dem Weg nach Golgatha unter der Last des Kreuzes zusammen. Eigentlich stört er hier.

Religion war schon immer auch Lebenshilfe. Menschen haben Gott zu allen Zeiten angefleht in Notsituationen und gehofft, dass er ihnen beisteht, wenn sie „wanderten im finsteren Tal“. Aber man konnte sich nie sicher sein, Gott war geheimnisvoll und fremd, er konnte richten und strafen, er war größer als das menschliche Ich. Von diesem Gottesbild haben sich Christen und besonders die Protestanten schon lange verabschiedet. Aus dem strafenden ist der liebende Gott geworden. Aber auch der liebende Gott ging bisher nicht eins zu eins auf im menschlichen Dasein, Christen glauben, dass Gott seine Liebe und Gnade den Menschen „schenkt“, sie können sie nicht „erarbeiten“. Bei etlichen Veranstaltungen in Dresden konnte man allerdings den Eindruck haben, der liebe Gott ist so geschrumpft, dass er in jede Handtasche passt. Er ist zu etwas geworden, das man gebrauchen kann, damit es einem besser geht. Gott ist Therapeuten-Gott – und damit Teil jener allgegenwärtigen Funktionalisierung des Alltags, aus der man sich mithilfe der Religion befreien will.

Es geht auch anders. Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt fragt in ihrem Vortrag, ob Gott glücklich macht. Gott selbst muss wohl glücklich gewesen sein, sagt sie, damals, als er Erde und Menschen erschaffen hat. Aber kann man sich einen glücklichen Gott nach der Schoah vorstellen? Bei Göring-Eckardt ist Gott den Menschen nah – und doch fremd. „Es gibt keine Allmacht, die alles so will, was geschieht“, sagt sie, Gott sei kein Peter Pan, der uns raushauen könnte. Deshalb könne er auch Gewalt und Hass nicht verhindern. „Gott macht glücklich“, davon ist Göring-Eckardt überzeugt, weil sie es fühle und erlebe. „Gottesnähe kann ich spüren, aber ich kann sie nicht festhalten“, sagt sie. „Glück kann ich erleben, aber eben nicht konservieren, nicht einwecken, nicht vakuumverpackt haltbar machen.“ Gott und das Glück lassen sich nicht zur Therapie verzwecken, sie entziehen sich.

Glück und Unglück sind höchst individuelle Erfahrungen. Wenn man mit Göring-Eckardt davon ausgeht, dass Gott der „Urgrund“ aller Glückserfahrung ist, so ist es nur konsequent, dass die Glückssuche in die Einsicht mündet, dass es „so viele Götter wie Menschen gibt“ – wie es ein Teilnehmer des Glücks-Podiums in der Kreuzkirche ausdrückt. „Man müsse wieder die Vielfalt der Gottesbilder ins Spiel bringen“, fordert der evangelische Theologe Michael Utsch in der Kreuzkirche. Es brauche mehr Glaubens- und Frömmigkeitsstile. Die Evangelischen gingen schon immer davon aus, dass jeder seinen eigenen Weg zu Gott finden kann, dass es dafür keine unumstößlichen Dogmen und Sakramente wie bei den Katholiken braucht und auch keine vermittelnden Instanzen wie Papst und Priester. Den Glaubensstil passend zum Lebensstil zu wählen, den Psalm zum Palm, wäre die radikal-individualistische Zukunftsvision protestantischer Frömmigkeit.

Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, warnt auf dem Glücks-Podium allerdings, Gott aufs menschliche Maß zu reduzieren. Er erzählt vom Sterben seiner Tochter und dass sein Gottesbild durch ihren Tod „Risse“ bekommen habe. „Ich dachte, die Welt bleibt stehen“, sagt er. Bis heute arbeite er sich an der Frage ab, was Gott ihm mit diesem Tod habe sagen wollen.

„Gott ist Gott und nicht Mensch“, sagt Schneider. „Das dürfen wir nicht verwechseln“.

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