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Kita-Streik: Wenn der Alltag zusammenbricht

Der Streik in den Kitas dauert nun schon Wochen und belastet Eltern und Kinder. Eine Ende ist noch nicht abzusehen. Wie gehen Betroffene mit der Situation um? Eltern, eine Erzieherin und eine Arbeitgeberin berichten.

Die Eltern:

Saskia Söder aus Hannover, 33, alleinerziehende Mutter: Ich bin Schadenreguliererin bei einer Versicherung. Normalerweise arbeite ich von 8:00 bis 16:30 Uhr, wenn wir Sitzungen oder Arbeitskreise haben aber durchaus auch länger. Meine Tochter Greta-Mathilda ist jetzt fünf, seit drei Jahren bin ich alleinerziehend. Greta hat einen Ganztagsplatz in einem städtischen Kindergarten, der ganz in der Nähe meiner Arbeitsstelle liegt.

Mit dem Beginn des Streiks ist bei uns erstmal die gesamte Organisation zusammengebrochen. Ich habe dann Oma und Opa zu Hilfe geholt, auch eine Freundin und Gretas Vater sind eingesprungen. Mittlerweile gibt es einen Notdienst, der steht allerdings nur Alleinerziehenden und anderen Härtefällen offen.

Die Not-Kita ist in einem ganz anderen Stadtteil, das heißt, ich muss morgens länger fahren, um meine Tochter wegzubringen, und dann noch mal quer durch die Stadt, um zu meiner Arbeit zu kommen. Auch für die Kinder ist es natürlich eine Umstellung: andere Räume, andere Kinder, andere Erzieher... Wir hatten noch Glück, dass wenigstens eine Erzieherin von unserer Kita in der Not-Kita arbeitet.

Für Greta war es nicht schlimm. Die fand das eher super, neue Räume und neues Spielzeug zu erkunden. Aber für kleinere Kinder ist es schon sehr schwierig, für die bricht ihr ganzer geregelter Tagesablauf zusammen, wenn sie heute in der Not-Kita, morgen bei Oma und übermorgen bei Tante Erna sind.

Der Gesamtelternbeirat der städtischen Kitas, dessen Vorsitzende ich bin, unterstützt die Forderungen der Erzieherinnen. Aber für viele Eltern ist die Schmerzgrenze trotzdem bereits überschritten, vor allem für die, die die Not-Kita nicht in Anspruch nehmen können. Erst gestern rief mich wieder eine Mutter an, deren Schulkind jetzt keine Hortbetreuung mehr hat und die nun völlig verzweifelt ist. Sie kann schließlich nicht jeden Tag um 13 Uhr aufhören zu arbeiten.

Karsten Plotzki aus Hannover, 38, verheiratet und Vater von drei Kindern: Unsere jüngste Tochter Pia ist vier Jahre alt und geht in eine städtische Kindertagesstätte. Normalerweise ist sie dort jeden Tag bis viertel vor zwei. Meine Frau ist Diplombiologin und arbeitet halbtags in einem Consultingunternehmen, ich habe eine Dreiviertelstelle als Sozialarbeiter.

Den Streik konnten wir bisher noch relativ gut auffangen, aber nur, weil wir beide Großelternpaare voll einbezogen haben. Sie kümmern sich abwechselnd um Pia. In Hannover wird in den Kitas bereits seit Mitte Mai gestreikt, an zwölf Tagen waren die Einrichtungen geschlossen.

Für den Streik habe ich großes Verständnis. Ich bin ja selbst Sozialarbeiter, allerdings in einer kirchlichen Einrichtung, da haben wir kein Streikrecht. Sonst würde ich auch auf die Straße gehen, mit meiner Tochter zusammen. Aber natürlich belastet der Streik die Eltern und fordert uns viel ab. In unserem Kindergarten ist die Stimmung trotzdem immer noch überwiegend solidarisch.

Für mich ist jetzt das entscheidende, dass die ganze Sache sich am Ende auch wirklich lohnt. Ich glaube, auch die anderen Eltern hätten wenig Verständnis dafür, wenn jedes Mal von neuem ein Streik anberaumt wird und sich dann aber für die Mitarbeiter kaum etwas verbessert. Bei diesem harten Kampf, der hier derzeit schließlich auch auf Kosten der Eltern und der Kinder geführt wird, muss ein Ergebnis herauskommen, das den Forderungen entspricht. Sonst wären wir schon sehr enttäuscht.

Die Erzieherin:

Sibylle Kneist, 44, aus Brandenburg: Ich war heute mit meinen Kollegen in Potsdam, um für bessere Arbeitsbedingungen in der Villa Kunterbunt zu protestieren. So heißt die Kita in Sommerfeld nördlich von Berlin, in der ich seit 25 Jahren als Erzieherin arbeite, und die heute wegen des Streiks geschlossen bleiben musste. Ich verstehe, dass manche Eltern darüber verärgert sind, aber viele wissen, dass wir auch für ihre Kinder mitstreiken.

Die Politik muss endlich dafür sorgen, dass wir unsere Arbeit gut machen können! Im Moment schreibt sie vor, dass eine Erzieherin maximal sieben Kinder bis zu drei Jahren und 14 Kinder zwischen drei und sechs Jahren betreuen soll. Was für eine Utopie! Zum einen sind da Urlaub und Krankheit nicht mit eingerechnet. Zum anderen müssen wir immer mehr Papierkram erledigen: Zum Beispiel die Sprachentwicklung der Kinder festhalten und uns um das Ideenmanagement kümmern.

Im Alltag habe ich oft das Gefühl, nur noch Schadensbegrenzung betreiben zu können. Wenn ein Kollege krank ist, sind die Gruppen so groß, dass für jedes Kind nur noch Minuten bleiben. Auch ich selbst leide darunter: Seit zwei Jahren habe ich einen Tinnitus im Ohr. Andere Kollegen klagen über Rückenschmerzen und Schlaflosigkeit. Das muss sich ändern. Wir fordern deshalb, dass der Betreuungsschlüssel deutlich gesenkt wird. Auch muss die Vor- und Nachbereitung mit eingerechnet werden. Das hilft uns Erziehern, die wir bis 67 durchhalten müssen. Aber es hilft auch den Kindern.

Die Arbeitgeber:

Rosi Fein, Geschäftsführerin der städtischen Kinder- und Familienzentren Bremen: Zu unserem Betrieb gehören 66 städtische Kindertagesstätten und elf Spielhäuser. Insgesamt haben wir 1500 Beschäftigte. In Bremen haben die Streiks am 7. Mai begonnen, bis kommenden Montag kommen wir auf insgesamt sechs Streiktage. Durch den Notdienst können nur zehn Prozent der Kinder betreut werden.

Für die Eltern und Kinder ist das sehr hart. Schließlich trifft ein Streik immer sie zuerst, auch wenn er eigentlich die Arbeitgeber treffen soll. Am 28. Juni fangen bei uns die Ferien an, dann wird der Streik für uns hoffentlich vorbei sein. Wenn er im September noch weiterginge, würde das den Betrieb schon sehr durcheinander bringen.

Trotzdem habe ich sehr viel Verständnis für die Forderungen der Erzieherinnen. Auch für uns als großem Träger ist die soziale und gesellschaftliche Anerkennung des Berufs sehr wichtig. Schließlich soll das Betreuungsangebot ja auch weiter ausgebaut werden. Dafür werden wir nur ausreichend qualifiziertes Personal bekommen, wenn der Beruf attraktiv ist. Bei besserer Bezahlung würden vielleicht auch mehr Männer Erzieher werden. Wichtig fände ich zudem, dass die Erzieherinnen mehr Zeit bekommen, um ihre Arbeit zu reflektieren. Derzeit beträgt die Vorbereitungszeit, in der auch Eltern- und Dienstbesprechungen stattfinden müssen, weniger als zehn Prozent der gesamten Arbeitszeit.

Für die Stadt sind die Forderungen natürlich ein Problem. Bremen ist arm. Wenn alle Erzieher in eine höhere Entgeltgruppe eingeordnet würden, würde dies allein für unseren Betrieb etwa zwei Millionen Euro im Jahr zusätzlich kosten. Aber natürlich kommt es immer auch darauf an, was man sich leisten will.

(Zeit Online)

Philip Faigle, Katharina Schuler

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