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Wartet erst einmal ab: Bundespräsident Joachim Gauck wird das Gesetz zum ESM-Rettungsschirm zunächst nicht unterschreiben.

© dapd

Klagen angekündigt: Gauck soll ESM-Gesetz vorerst nicht unterzeichnen

Mit der Bitte, Gauck solle das ESM-Gesetz zunächst nicht unterzeichnen, bringt Karlsruhe den Euro-Rettungsfahrplan durcheinander.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Es hätte ein guter Tag werden können im Ringen einer sehr großen deutschen Koalition um die Rettung des Euro. Morgens um acht hatten sich die Koalitionsparteien am Donnerstag im Kanzleramt mit SPD und Grünen zur letzten Verhandlungsrunde über den Fiskalpakt im Kanzleramt zusammengesetzt. Nach wenigen Stunden traten die Sozialdemokraten und Grünen vor die Presse und feierten die Einigung auf neue Wachstumsimpulse sowie eine Finanztransaktionssteuer, die beide Seiten in einem fünfseitigen Papier festhielten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ihr Ziel erreicht: Mit der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages zu Fiskalpakt und Europäischem Stabilisierungsmechanismus (ESM) schien auch Deutschland den Zeitplan für den dauerhaften Rettungsschirm einzuhalten, der am 1. Juli in Kraft treten sollte.

Um 13.23 Uhr aber verbreitete die Nachrichtenagentur Reuters eine Meldung, die jedes Gefühl der Erleichterung der deutschen Euro-Retter jäh beendete. „Der dauerhafte Rettungsschirm kann möglicherweise nicht rechtzeitig zum 1. Juli in Kraft treten“, lautete der erste Satz. Dann zitierte die Agentur eine Sprecherin des Bundesverfassungsgerichts mit der Ankündigung, Karlsruhe werde den Bundespräsidenten Joachim Gauck bitten, das Gesetz nach seiner Verabschiedung im Bundestag Ende Juni nicht zu unterschreiben. Sofern die längst angekündigten Verfassungsklagen eingingen, brauche der Zweite Senat Zeit, das neue Gesetz zu prüfen.

Mit einem Schlag war die beruhigend gemeinte Nachricht von der politischen Handlungsfähigkeit des größten und wirtschaftsstärksten EU-Landes in der Schuldenkrise in den Hintergrund gedrängt – zum Ärger der Bundesregierung. Auch in den Fraktionen hatte niemand das Problem vorhergesehen. Als erstes Kabinettsmitglied macht Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) deutlich, was er von der Intervention aus Karlsruhe zu einem Zeitpunkt hält, an dem in Europa alle Augen auf die Deutschen gerichtet sind – nämlich gar nichts. „Ich glaube nicht, dass es klug ist, wenn die Verfassungsorgane öffentlich miteinander kommunizieren“, schimpfte der Minister von Luxemburg aus.

Dass es zu dieser öffentlichen Kommunikation überhaupt kommen musste, könnte man als eine Verkettung unglücklicher oder glücklicher Umstände betrachten. Je nach Standpunkt. Glaubt man den Richtern in Karlsruhe, dann hatte dort niemand ein Interesse an einer öffentlichen Diskussion. „Ein Zufall“ sei es, dass just an diesem Donnerstag eine Reuters-Journalistin gefragt habe, was denn „theoretisch“ passieren würde, wenn die Linken einen Eilantrag stellten und das Gesetz geprüft werden müsse. So sei an die Öffentlichkeit gekommen, was in den letzten Jahren immer einmal wieder vorgekommen ist, nämlich eine Bitte der Karlsruher Richter an den Präsidenten, mit seiner Unterschrift noch ein wenig zu warten.

Allerdings könnte die Veröffentlichung der Bitte aus Karlsruhe auch etwas anderes sein als ein Zufall: Eine Retourkutsche. Denn in seiner neuen Rolle als Bundespräsident hatte sich Gauck bislang als unabhängiger Kopf profiliert, der auch einmal bereit ist, die Vorgaben der Bundesregierung – zumindest die rhetorischen – links liegen zu lassen und eigene Wege zu gehen. Der Präsident hat sich aber auch als leidenschaftlicher Anhänger der europäischen Integration erwiesen.

Allerdings ging er nach dem Urteil mancher Beobachter in seiner Leidenschaft für Europa möglicherweise zu weit. So ließ er sich während des Antrittsbesuchs bei der EU-Kommission in Brüssel Mitte April zu der Vorhersage hinreißen, die Euro-Rettung der deutschen Exekutive werde sicherlich verfassungsgemäß ausfallen. „Ich sehe nicht, dass die Bereitschaft der Regierung konterkariert werden wird vom Bundesverfassungsgericht“, sagte er damals. Im Grunde verhielt sich Gauck mit dieser Aussage vor zwei Monaten ganz ähnlich, wie es Schäuble nun im Fall der Mahnung aus Karlsruhe beklagt: Ein Verfassungsorgan beurteilte ein anderes öffentlich – und nahm sogar noch dessen mögliches Votum vorweg. Kommentiert wurde der Gauck-Satz damals von keinem Verfassungsrichter – dass die hohen Juristen von dem Fernurteil über sie nicht begeistert waren, gilt aber als sicher. Womöglich hat Gauck sie sogar provoziert.

Der Präsident stand vor einer nicht einfachen Abwägung: Auf der einen Seite musste er sich als grundgesetztreu erweisen und durfte Einwände aus Karlsruhe nicht beiseiteschieben. Würde er ein Gesetz unterzeichnen, das später als nicht verfassungsgemäß eingestuft wird, fiele das auf ihn zurück. Auf der anderen Seite musste er seine Berater fragen, wie sehr eine ESM-Verschiebung Europas Währung in der Krise schaden würde. Gauck hat sich klar entschieden.

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