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Politik: Klasse und Kasse

Von Jan Schulz-Ojala

Ein Gespenstchen geht um im deutschen Filmwesen: das Gespenst des Kassenklingelns um jeden Preis. Unlängst hat der Präsident der Deutschen Filmakademie die ach so kunstfilmverliebte Kritikerkaste gezaust – und nebenbei die Filmkünstler unter den Akademie-Mitgliedern, die 2005 beim Deutschen Filmpreis den „Untergang“ noch schnöde übergangen hatten, schon mal auf „Das Parfum“ eingeschworen. Nun geht es – im selben Hamburger Nachrichtenmagazin von noch immer einigem Einfluss – der Berlinale an den Kragen. Nur knapp 200 000 Zuschauer hätten drei der vier deutschen Wettbewerbsfilme letztes Jahr im Kino gesehen, da dürfe Festivalchef Kosslick bald als „Experte für kommerzielle Rohrkrepierer“ gelten.

Geht’s noch? Hier die Großproduzenten, die wissen, was das Volk will, dort die Stänkerer und Sonderlinge, die bloß Sinn fürs Abseitige haben: Grotesker könnte die Front nicht sein, die derzeit mit einigem Brimborium aufgezogen wird. Kommerz gegen Kunst, Kasse gegen Klasse – wer sein kapitalistisches Manifest so grob verfasst, drückt reichlich angetrocknete Tinte aus dem Füller. Die Berlinale, die heute mit Glamour und Gewagtem, mit Stars und Schrillem ihren 57. Jahrgang eröffnet, ist das souveräne Gegenbeispiel. Herzlich schließt sie den – amerikanischen, französischen, deutschen – Publikumsfilm, wenn er denn ein relevantes Thema hat, in ihre Arme und freut sich, wenn dessen Stars über den roten Teppich schreiten. Und ebenso macht sie sich um jene klugen, innovativen, manchmal sperrigen Filme verdient, die übers Jahr nie große Zuschauermassen erreichen. Wenn sie denn überhaupt ins Kino kommen.

Festivals wie die Berlinale sind genau ihr Forum. Und müssen es bleiben. Es sind auf dem überfüllten, von den Majors dominierten Kinomarkt heute vor allem die Festivals, die jene Werke entdecken, die den Film als lebendige Kunstform voranbringen. Dass es immer mehr von ihnen gibt, ist ein weiteres Symptom für überquellende Kreativität, die anfängliche Markthindernisse zu überwinden sucht. Ein Filmvolksfest wie die Berlinale findet dafür Jahr für Jahr ein großes, neugieriges Publikum – auch für den deutschen Film. Da geht denn auch der Vorwurf fehl, die letztjährige Berlinale hätte „Das Leben der Anderen“ im Wettbewerb zeigen müssen; solche Werke, gepusht mit ungeheuren Werbemitteln, finden ihre Zuschauer direkt, ohne Hilfestellung von Filmkritik oder Festivals. Kasse setzt sich immer durch. Wenn sie Klasse hat, umso besser.

Die Schmähung aber der Kleinen, heißen sie „Requiem“ oder „Sehnsucht“, schadet dem Kino, und dem deutschen ganz besonders. Gerade haben sich die heimischen Filmemacher einer neuen Generation, beflügelt nicht zuletzt durch Festivalerfolge, weltweit Beachtung verschafft, da macht der gallige Neid der Besitzenden von sich reden. Befremdet dürften sich da vor allem die internationalen Berlinale-Gäste die Augen reiben: Sollte solche Lust an der Binnenzerfleischung etwa typisch deutsch sein?

Besser, die medial so elegant verflochtenen deutschen Film-Tycoons hörten sich mal an der Basis um. Beim Berlinale-Publikum, das dieser Tage geduldig vor den Ticketschaltern Schlange steht. Es guckt Judi Dench und Cate Blanchett im Wettbewerb ebenso aufmerksam wie einen Neuköllner Schulstressfilm im Panorama oder die japanische Werkschau im Forum. Da ist mal ein Traumfund dabei, mal auch Schwund. Nur: Berührungsängste gibt es nicht.

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