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Klausurtagungen: Koalition: Vorsicht, Glatteis

Traditionell begeben sich CDU, CSU und FDP zu Jahresbeginn in Klausur. Was ist dieses Mal anders?

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Über Sinn und Unsinn des Betriebsausflugs als solchen lässt sich lange streiten. Dass ein kollektiver Rückzug irgendwo aufs Land den Korpsgeist durchaus stärken kann, steht aber fest. Das versprechen sich denn auch die Chefs von Parteien und Fraktionen, wenn sie immer zu Jahresanfang mit ihren Truppen in Klausur gehen – sei es in einen angestaubten Theatersaal in Stuttgart, sei es in den Schnee der Kreuther Berge. Weil Korpsgeist zumal bei den kleineren Parteien stets etwas mit Abgrenzung zu tun hat, gehört das inszenierte Aufmucken der Kleinen gegen die Großen zum festen Ritual. In diesem Jahr freilich steht die Aufführung seltsam schief im politischen Raum: Normalerweise beendet der Klausurkrawall die ruhigen Weihnachtswochen. Diesmal aber war von Ruhe in der Regierungskoalition keine Spur. Der Krawall ist schon lange in vollem Gange.

Dass sich am Gegeneinander nach der Klausurserie Nennenswertes geändert haben könnte, ist wenig wahrscheinlich. Zwar zeigte sich die FDP-Chefin von Baden-Württemberg – anders als es seit vielen Jahren der Brauch ist – beim Landesparteitag unmittelbar vor dem Dreikönigstreffen der Liberalen in Stuttgart wenig aufmüpfig. Aber Birgit Homburger ist erstens im Hauptberuf Fraktionschefin in Berlin und zweitens steckt in ihren Beschwörungen vom angeblich „guten Start“ und der inhaltlichen Übereinstimmung in der schwarz-gelben Koalition ein gehöriges Quantum Gift. Das Problem, sagt Homburger, sei „die Außendarstellung“. Die müsse 2010 dringend besser werden. Als Selbstkritik war das selbstredend nicht gemeint. Bessern müssen sich aus Sicht der Freidemokraten nur CDU und CSU.

Damit ist der Ton für die Rede gesetzt, mit der Parteichef Guido Westerwelle am Dreikönigstag im alten Stuttgarter Stadttheater die Klausurtriade der Regierungsparteien eröffnen wird. Die Union, lautet der freidemokratische Tenor, habe in der großen Koalition Mut und Antrieb zu großen Taten verloren und müsse jetzt von der FDP zu ihrem Glück geschubst werden. Westerwelle wird natürlich auf der vereinbarten Steuerentlastung für 2011 bestehen. Vor allem aber dürfte er sein neues Lieblingsstichwort bekräftigen, die „geistig-politische Wende“, die Schwarz- Gelb einleiten müsse. Dass der einstige FDP-Generalsekretär sich an die Kampflosung der „geistig-moralischen Wende“ ausgerechnet jenes Helmut Kohl anlehnt, gegen den er seinerzeit aufbegehrte, ist natürlich Absicht. Nicht ganz klar ist, warum. Auf Unionsseite löst der Versuch, das neue Bündnis auf das obendrein nie wirklich eingelöste Versprechen Kohls zu verpflichten, jedenfalls eher gereizte Reaktionen aus. Und dass Angela Merkel sich von Westerwelle wenden lassen will, darf man getrost ausschließen.

Aber bevor Merkel und der CDU-Vorstand Ende kommender Woche in Berlin in Klausur gehen, ist ohnehin erst mal die CSU im Terminkalender dran. Für die Landesgruppe – die CSU-Abgeordneten im Bundestag – ist Kreuth seit 1976 alljährlich Ansporn zur Dreibarstigkeit. Das Niveau von Franz Josef Strauß’ ganz und gar ernst gemeinter Drohung, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag zu kündigen, haben die Christsozialen allerdings seither nie mehr erreicht. Der neue Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich hat zwar insofern dem Ritual Genüge getan, als er im Vorfeld an Kanzlerin Merkel die Erwartung richtete, mehr Führung zu zeigen. Aber Friedrich, ein nachdenklicher Oberpfälzer mit begrenzter Neigung zum Sprücheklopfen, legt inzwischen Wert auf die Feststellung, er habe nicht Merkel drängen, sondern lediglich ihre neue Rolle in der schwarz-gelben im Gegensatz zur großen Koalition beschreiben wollen.

Ohnehin sitzt der Gegner, an dem der CSU derzeit liegt, eher in Stuttgart als in Berlin. Seit Tagen nähern sich die Christsozialen im Steuerstreit der Position der CDU an. „Wir sind für Steuerentlastungen“, versichert Friedrich noch am Dienstag. „Die Frage ist nur, auf welcher Zeitschiene können wir das umsetzen.“

Diese Sätze sind umso bemerkenswerter, als die CSU und ihr Chef Horst Seehofer im Streit um das Wahlprogramm im vorigen Jahr die Schwesterpartei CDU monatelang mit der Forderung traktiert hatten, sich auf ein frühes Datum für Steuersenkungen festzulegen. Doch erstens lag die Unionsentlastung im Umfang immer deutlich unter den FDP-Ideen. Zweitens sitzt auch in Bayern, zumal nach den Milliardenverlusten durch die Landesbank-Affäre, das Geld nicht mehr locker. Und drittens ist die CSU nicht zuletzt wegen dieser Affäre derzeit viel zu sehr selbst unter Druck, als dass sie sich auch noch eine neue Front gegen die große Schwester in Berlin leisten könnte.

Als unlängst drei CSU-Abgeordnete mit der Forderung auftraten, ihre Partei müsse ebenfalls einen Vizekanzler stellen, trat Horst Seehofer selbst die Debatte aus. Für eine CSU in der heimischen Defensive, schwante dem CSU- Chef, würde eine solche Forderung nur anmaßend wirken. Dass dieser Vize-Vizekanzler dann obendrein Karl-Theodor zu Guttenberg heißen müsste, weil der Verteidigungsminister in der informellen Kabinettshierarchie der wichtigste CSU-Vertreter ist, dürfte Seehofer die Idee zusätzlich verleidet haben.

Auch sonst dürften die Wortkanonen von Kreuth eher in Richtung FDP als CDU feuern – im Streit um Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach und den Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung etwa. Die CSU versteht sich traditionell als Schutzmacht der Vertriebenen; nur folgerichtig ihre Forderungen an Guido Westerwelle, Steinbachs Kompromissvorschlag jetzt aber schleunigst zuzustimmen.

Für die CDU könnte dann, wenn sie sich Ende kommender Woche in Berlin trifft, wohl Merkels Lieblingsrolle übrig bleiben: Kanzlerin und Parteichefin von Maß und Mitte. Zwar halten die CDU-Spitzen inzwischen praktisch unisono die Vereinbarung im Koalitionsvertrag für Unfug, von 2011 an auf die horrenden Staatsschulden noch 20 Milliarden Euro mehr für Steuersenkungen à la FDP zu setzen. Aber das ist Merkel sogar recht – sie sieht das im Prinzip ja ganz genau so.

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