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Politik: Kleine Fische, große Fische

Von Rüdiger Schaper

Ein altes, vergessenes Gespenst geht um, nicht nur in Deutschland. Die Debatte will partout nicht enden, auch wenn sie schon einige Wochen alt ist. Unterschicht: Das Wort verletzt, grenzt aus, tituliert Menschen von oben herab. Aber auch der französisierende Begriff Prekariat erweist dem Sprecher wie dem Angesprochenen einen schlechten Dienst; da wird im Soziologendeutsch etwas verschleiert.

„Die Welt ist flach“. Mit dem Verschwinden von Geografie erklärt der amerikanische Publizist Thomas L. Friedman die neue Phase der Globalisierung. Auf Länder, Kontinente, auf Waren- und Waffenströme und die Know-how-Entfaltung trifft das im 21. Jahrhundert zu. Im Innern der westlichen Gesellschaften jedoch treten verstärkt wieder Hierarchien zutage. Wenn es Unterschicht gibt, dann existiert auch Mittel- und Oberschicht. In Frankreich und in Ungarn gehen Bürger auf die Straße, die sich, gleich wie, abgehängt fühlen. Zu Krawallen und Straßenschlachten ist es jetzt in Deutschland noch nicht gekommen, doch die Demonstrationen gegen die Sozialpolitik der großen Koalition in Berlin nehmen zu.

Vorüber die Zeiten, da man Demokratie mit Sozialstaat und Sozialstaat mit persönlichem wie gesellschaftlichem Aufgehobensein gleichsetzen konnte. Das ist das Gefährliche und tatsächlich Prekäre der Unterschichten-Rede: Es wird allein der Geldmaßstab angelegt. Unterschicht ist demnach, wer bescheiden verdient oder kein Geld hat aus eigener Arbeitskraft. In dem altväterlich anmutenden Schlagwort vom „Aufstand der Anständigen“ – Gerhard Schröder hat das in seiner Kanzlerzeit nach einem Brandanschlag auf eine Synagoge so gesagt – klingt ein anderer Begriff des Sozialen an.

Anstand, Würde, Verantwortung: Wer in Armut lebt, wem Chancen auf Arbeit und sozialen Aufstieg dauerhaft verwehrt sind, der wird sich für ethisch-moralische Ratschläge bedanken. Soll es aber nicht nur eine Debatte bleiben, dann geht es darum, die sogenannte neue Unterschicht zu begreifen, ohne sie zu deklassieren. Das hat mit Gerechtigkeit und sozialem Verhalten zu tun. Das heißt, auch mit unsozialem Verhalten.

Dafür bieten sich schlagende Beispiele an. In Düsseldorf hat gestern die Neuauflage des Mannesmann-Prozesses begonnen. Manager, die Prämien und Abfindungen in zweistelliger Millionenhöhe kassiert und Arbeitsplätze gefährdet haben, die im Verdacht der schweren Untreue stehen: Haben sie nicht unsozial gehandelt? Frühere Berliner Spitzenpolitiker und Banker, die mit verantwortlich sind für die auf Jahrzehnte hinaus drückenden Milliardenschulden der Hauptstadt: Hatten sie ein soziales Gewissen? Eine 30-prozentige Gehaltserhöhung für Siemens-Bosse wurde wegen massiver Proteste abgeblasen. Sozial oder opportunistisch? Und wie war das mit dem Verkauf der Siemens-Handysparte an BenQ?

Alle reden von der Unterschicht, auch deshalb, weil diese Gesellschaft ein Oberschichtenproblem hat. Die Gierigen, die Nimmersatten, die Abgehobenen animieren zum sozialen Missbrauch im Kleinen, der sich freilich summiert. Es ist auch unsozial, wenn man zumutbare Arbeit ablehnt und sich mit Hartz-Zahlungen und Nebenverdienst auf dem grauen und schwarzen Markt arrangiert. Übrigens kennt man das Phänomen aus DDR-Zeiten: Das System kollabierte, weil die Nomenklatura unfähig, materiell privilegiert, verlogen und verkommen war. Die Bundesrepublik entdeckt ihre Schmuddelkinder. Das lenkt ab. Denn wie man so schön sagt: Der Fisch stinkt vom Kopf.

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