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Am 26. Mai finden im kleinsten deutschen Bundesland Bürgerschaftswahlen statt. Abgebildet sind die Spitzenkandidaten der Parteien für die Bürgerschaftswahl in Bremen (v.l.n.r.): Carsten Sieling (SPD), Carsten Meyer-Heder (CDU), Kristina Vogt (Linke), Lencke Steiner (FDP), Maike Schaefer (Grüne) und Frank Magnitz (AfD).

© Dpa/dpa-Bildfunk

Kleine Stadt, große Wirkung: So spannend war noch keine Bremer Wahl

Bremer Wahlen finden meist wenig Begeisterung – das kleinste Bundesland wählt am Sonntag seinen Landtag. Dabei könnte die Hansestadt überraschen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Moritz Döbler

Bremen wählt. Na und? Das kleinste Bundesland, in dem die SPD über die gesamte Nachkriegszeit unangefochten regiert hat, war selten für Überraschungen bundesweiter Tragweite gut. Der Putsch gegen Helmut Kohl auf dem CDU-Bundesparteitag vor 30 Jahren scheiterte. Was soll das Dorf mit Straßenbahn, wie die Bremer selber spotten, politisch schon bedeuten? Zählt nicht am Sonntag vor allem die Europawahl, die den politischen Weg des ganzen Kontinents vorzeichnet?

Und doch, Bremen. Platz elf auf der Liste der größten Städte Deutschlands. Platz sechs bei den größten Industriestandorten und damit vor Berlin. Platz acht in der Bundesliga und damit vor der Hertha. Vor allem aber: Die SPD könnte nun auch hier ihre Vormachtstellung verlieren, „die letzte Bastion“, wie es „Der Spiegel“ nannte. Erstmals überhaupt liegt die CDU in den Umfragen vor der SPD und das seit Monaten stabil, Tendenz steigend. Bei der vergangenen Wahl zur Bürgerschaft – so heißt in Bremen der Landtag – fuhr die SPD hier bereits das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit ein: 32,8 Prozent. Der Bürgermeister – so heißt in Bremen der Ministerpräsident – trat zurück, aus Berlin rückte der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Sieling an, übernahm das Amt und sicherte den Fortbestand von Rot-Grün.

Geholfen hat es seiner Partei offenbar wenig: In den Umfragen kommt sie auf rund 25 Prozent, hat also erneut ein Viertel Zustimmung eingebüßt. Das mögliche Desaster der SPD in Bremen wurde schon als Prüfstein für die Bundesvorsitzende Andrea Nahles, als Sollbruchstelle der Groko im Bund gesehen. Doch so wie der Putsch gegen Kohl scheiterte, dürfte Bremen allein auch diese Ereigniskette nicht auslösen. Aber die Hansestadt liefert bei der Standortbestimmung der SPD wichtiges Anschauungsmaterial.

SPD zu links für die Bremer

Angesichts der miesen Umfragewerte hat Carsten Sieling kurz vor dem Wahltag, nämlich erst vor einer Woche, nicht nur eine große Koalition, sondern auch jegliche Sondierungsgespräche mit der CDU ausgeschlossen und damit auf den letzten Metern einen Lagerwahlkampf eröffnet. Sein Wunschbündnis ist Rot-Rot-Grün, nachdem es für Rot-Grün nicht mehr reichen dürfte; seine politische Wette setzt darauf, dass Bremen im Herzen links steht. Doch es war ein riskantes Manöver, weil er die bürgerlichen Wähler seiner eigenen Partei und der Grünen damit in die Arme der CDU treiben und so sein eigenes Wunschbündnis schwächen könnte.

Und auch die große Koalition ist nicht unbedingt gestorben, weil er es will – es ist durchaus denkbar, dass seine Parteifreunde sie ohne ihn durchziehen, wenn sie damit den Wechsel in die Opposition verhindern können. So spannend war noch keine Bremer Wahl in den vergangenen sieben Jahrzehnten. Hier zeigt sich, wie links die SPD sein darf, sein muss, ob sie eher wie Kevin Kühnert oder wie Olaf Scholz ticken muss, um Erfolg zu haben. Die CDU scheint diesmal, und auch das ist neu, tatsächlich regieren zu wollen, nachdem sie es sich lange in der Opposition häuslich eingerichtet hatte.

Ihr Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder, ein ungeduldiger IT-Unternehmer, erst seit einem Jahr Parteimitglied, führt als stärkstes Argument die Bilanz der ewigen SPD-Regierungszeit an. Denn die Statistiken zeichnen ein klares Bild, jedenfalls wenn man auf Länderebene vergleicht: die höchsten staatlichen Schulden pro Kopf, die meisten Insolvenzen, die höchste Arbeitslosenquote, das größte Armutsrisiko und vor allem die schlechtesten Leistungswerte in den Schulen.

Bremen im Großstadtvergleich

Etwas differenzierter wird das Bild, wenn man den Vergleich mit Großstädten zieht, etwa im Ruhrgebiet, wo das Ende der Kohle ähnliche Spuren hinterlassen hat wie die Werftenkrise im Norden. Da schneidet Bremen häufig besser ab, dank des hochmodernen Mercedes-Werks (größer als Sindelfingen), der Raumfahrtindustrie und der Logistikwirtschaft. Dass viele Beschäftigte zwar in der Stadt arbeiten, aber im niedersächsischen Umland leben und ihre Steuern zahlen, verfälscht das Bild zulasten Bremens. Weil das alles so ist, ließe sich, jedenfalls theoretisch, die Selbstständigkeit Bremens infrage stellen.

Würde die politische Karte am Reißbrett neu entstehen, gäbe es sicher kein Bundesland dieser niedlichen Dimension. Auch Berlin wäre dann wohl zu klein. Allein, es gibt kein Reißbrett. Was wäre auch gewonnen, wenn Bremen aus Hannover regiert würde? Und selbst wenn es nicht mehr selbstständig sein wollte, wer sollte es denn haben wollen? Die Schulden von Bremen belaufen sich schließlich auf 21,6 Milliarden Euro. Berlin kommt zwar fast auf das Zweieinhalbfache, zählt aber mehr als sechsmal so viele Einwohner. Und so kommt es, dass Bremen zusätzlich zum regulären Bund-Länder-Finanzausgleich die nächsten 15 Jahre lang mit rund 500 Millionen Sanierungshilfen pro Jahr rechnen kann.

Weil es diesmal politisch spannend ist, richten sich die Blicke auf die traditionsreiche Hansestadt im Nordwesten. Aber am Ende dürfte doch vieles so bleiben, wie es ist. Selbst ein CDU-Bürgermeister müsste sich an die verfassungsmäßige Schuldenbremse halten und auf eine langsamer wachsende oder gar schrumpfende Wirtschaft einstellen, von der Aussicht auf steigende Zinsen ganz zu schweigen. Der Gestaltungsspielraum ist überschaubar, zusätzlich eingeengt von dem Personalvertretungsgesetz, das den staatlich Bediensteten bundesweit einmalige Mitbestimmungsrechte garantiert – ohne die Personalräte kann eine Regierung in Bremen wenig ausrichten.

Wahlen bleiben spannend

Weil die Wahlzettel in Bremen besonders kompliziert sind, dauert es am Sonntag mit der ersten Hochrechnung länger als sonst bei Landtagswahlen. Aber politisch Interessierte sollten trotzdem durchhalten und das Spektakel an der Weser als Dessert zur Europawahl sehen. Bremen verfügt über so viele Eigenheiten, dass es sich lohnt, den Wahlabend nicht vorzeitig abzubrechen. Mit dem „Tatort“, der die Berichterstattung unterbricht und diesmal aus Bayern kommt, kann die Bremen-Wahl spannungsmäßig bestimmt mithalten. „Die ewige Welle“ lautet dessen Titel übrigens, was sich eher nicht als Schlagzeile über die Bremer SPD eignen dürfte.

Moritz Döbler ist seit 2015 Chefredakteur des "Weser-Kuriers" in Bremen und war zuvor zehn Jahre lang beim Tagesspiegel, zuletzt als Mitglied der Chefredaktion.

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