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Der Parteivorsitzende Cem Özdemir betonte auf dem Parteitag, dass die Grünen wieder eigenständiger werden müssen. Er sagte: „Das ist keine Metapher für Schwarz-Grün, es kann auch Rot-Rot-Grün heißen“.

© dpa

Kleiner Parteitag der Grünen: Özdemir offen für alle Koalitionsoptionen

Steuerpolitik, Veggie-Day, Pädophilie-Debatte: Die Grünen analysieren auf ihrem kleinen Parteitag in Berlin das schlechte Ergebnis der Bundestagswahl. Woran es gelegen hat, dafür gibt es viele Erklärungen. Künftig wollen sie unabhängiger auftreten.

Er ist derjenige, der bleiben wird. Deshalb darf Cem Özdemir als Erster ans Rednerpult, um die politische Rede für den Bundesvorstand der Grünen zu halten. „Ein ,Weiter so’ wird es nicht geben“, kündigt der Parteivorsitzende an, der sich im Oktober wiederwählen lassen will. „Wir Grünen müssen wieder Partei der Freiheit werden“, mahnt Özdemir und verspricht: „Wir werden keinen Wahlkampf mehr führen mit dem Rechenschieber.“ Es ist auch eine Abrechnung mit dem Wahlkampf, den Spitzenkandidat Jürgen Trittin geprägt hat.

In den Uferstudios in Berlin-Wedding hat an diesem Samstag der grüne Länderrat getagt. Es geht um die Frage, warum die Grünen bei der Bundestagswahl so ein enttäuschendes Ergebnis eingefahren haben. Und darum, welche Lehren die Partei aus der Wahlniederlage ziehen soll. Will die Partei, die im Wahlkampf stark auf Steuern und Sozialpolitik gesetzt hat, wieder stärker in die Mitte rücken? Und mit welchen Partnern wollen die Grünen in Zukunft zusammenarbeiten?

Für Özdemir ist klar, dass die Grünen den Kurs der Eigenständigkeit wieder stärker betonen sollen. „Das ist keine Metapher für Schwarz-Grün, es kann auch Rot-Rot-Grün heißen“, sagt Özdemir. Die Grünen, die sich in diesem Wahlkampf an die SPD gebunden hatten, müssten sich neue Machtoptionen erarbeiten. Genauso sieht es Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer, der die Grünen heute im Europaparlament vertritt. „Wir müssen aus dieser rot-grüne Lagerfixierung ein für alle Mal raus“, ruft er den Delegierten des kleinen Parteitags zu – und bekommt dafür viel Applaus.

Was den Grünen geschadet hat, ist nicht ganz sicher

Woran es gelegen hat, dass die Grünen so schlecht abgeschnitten haben, dafür gibt es auf dem Länderrat verschiedene Erklärungen: Dass das Image der Verbotspartei – festgemacht an der Forderung nach einem Veggie-Day – geschadet hat, da sind sich nahezu alle Redner einig. Doch ob die Grünen mit ihren Steuerforderungen überzogen haben, ist zwischen den Flügeln umstritten.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bemüht das Orakel von Delphi. „Dort standen zwei Sätze“, doziert der Grünen-Politiker: „Erkenne dich selbst. Und: Nichts im Übermaß“, ermahnt er seine Parteifreunde. Die Grünen seien im Parteiengefüge dafür da, „dass wir unsere ganze Lebensweise in Übereinstimmung mit dem Planeten bringen“, übersetzt er den ersten Spruch. Den zweiten bezieht er auf die Steuern. Er stehe auch nach der Wahl zu einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes, sagt Kretschmann. „Aber zu viel ist halt zu viel.“ Wer die Steuern ins Zentrum stelle, bekomme auch einen „klassischen Lagerwahlkampf“.

Veggie-Day befeuerte das Image der Verbots-Partei

Viele Parteilinke warnen jedoch davor, nach der Wahl nun alles grundsätzlich infrage zu stellen. „Wir sollten aufhören, so zu tun, als ob wir die Partei neu gründen müssen“, sagt Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke in einer sehr emotionalen Rede. „Dieser Diskurs verliert gerade Mitte und Maß.“ An dem Wahlergebnis sei „nicht der Trittin mit dem Steuerkonzept“ schuld und es seien auch nicht die Realos gewesen, die auf dem Programmparteitag Ende April eine Kontroverse über die Steuerpläne eröffnet hatten. In den Umfragen sei es abwärtsgegangen, nachdem die Grünen mit dem Veggie-Day als Verbotspartei wahrgenommen worden seien, analysiert die langjährige Wahlkampfmanagerin. Hätten die Grünen sich schon vor vielen Jahren der Pädophilie-Debatte gestellt, „dann wären wir jetzt vor der Linkspartei und zweistellig“, sagt Lemke.

Auch Trittin, der die Grünen als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl geführt hat, findet, das Programm sei nicht „zu links“ gewesen. Er hält an seiner Analyse fest, die Kampagne der Wirtschaftsverbände gegen das Steuerkonzept habe Wähler vergrault. Bei denen sei immer vor Wahlen „Klassenkampf“ angesagt, analysiert Trittin. „Wir sind schuld und nicht die anderen“, ruft Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer dazwischen.

Viel Applaus für Roth und Lemke

Trittin gesteht dann auch eigene Fehler ein. Die Grünen hätten die Veränderungsbereitschaft der Menschen unterschätzt, sagt er selbstkritisch. „Ich bin dafür verantwortlich, dass eine Millionen Stimmen wieder weg sind“, gesteht er mit Blick auf das Rekordergebnis der Grünen bei der letzten Bundestagswahl 2009 ein. Auch Katrin Göring-Eckardt, seine Co-Spitzenkandidatin, gibt Fehler zu. Den Grünen habe eine „Erzählung gefehlt“, sie hätten „Malen nach Zahlen“ präsentiert. Sie wolle nun aber dazu beitragen, dass die Grünen aus ihrer Nische rauskommen könnten. „Da ist auch ein Zauber drin und ein Neuanfang“, sagt Göring-Eckardt, die in gut einer Woche für den Fraktionsvorsitz kandidieren will.

Es ist ein Parteitag der Abschiede – Claudia Roth und Steffi Lemke bekommen viel Applaus – und ein Parteitag des Schaulaufens für diejenigen, die in die neue Führung aufrücken wollen. Simone Peter aus dem Saarland, die Mitte Oktober die Nachfolge von Parteichefin Claudia Roth antreten will, sieht für ihre Partei keinen Grund, sich neu zu erfinden. „Was wir tun müssen, ist verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagt Peter. Die Wirtschaftspolitikerin Kerstin Andreae hingegen hält auch inhaltliche Korrekturen für notwendig. Sie wolle wieder das Vertrauen der Unternehmer gewinnen, die den Klimaschutz in ihren Betrieben umsetzen müssten, sagt Andreae, die gegen Göring-Eckardt als Fraktionschefin antreten will. „Da ist uns irgendwie der Gesprächsfaden abhandengekommen.“

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