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Politik: Knallgas, Frust und Irritationen

Vor ihrem Grundwertekongress streitet sich die CDU weiter um Kurs und Profil der Partei

Berlin - In einem sind sich die Ministerpräsidenten einig. Die CDU, findet Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff, müsse ihr Profil „unverfälscht“ deutlich machen. Auch Saar-Kollege Peter Müller sieht „Nachholbedarf“. Koalition hin oder her: Die „ureigene Position“ müsse „auch öffentlich erkennbar sein“.

Was diese „ureigene Position“ jedoch genau ist, darüber kabbeln sich die CDU- Granden seit Wochen. Auslöser war eine Mahnung des Nordrhein-Westfalen Jürgen Rüttgers, der seine CDU auf falschem Wege sieht. Sie drohe zu kapitalistisch zu werden und sich in „Lebenslügen“ zu verrennen, – etwa der, dass Steuersenkungen und niedrige Löhne automatisch auch Investitionen und Arbeitsplätze bringen.

Für diese Diagnose gab es Lob vom Sozialflügel und Rüffel aus der Parteispitze. Der Dissens wird natürlich auch den Grundwertekongress der CDU am Dienstag bestimmen. Bis Ende 2007 wollen die Christdemokraten ihr Parteiprogramm modernisiert und ihren Grundsatzkonflikt ausgetragen haben. Der nämlich ist keineswegs neu. Seit dem Leipziger CDU- Parteitag 2003 sehen Kritiker den Freiheitsgedanken übermäßig betont und solidarische Ziele vernachlässigt. Der Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Karl-Josef Laumann etwa fordert eine „Generalüberholung“ der Leipziger Beschlüsse. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität müssten wieder gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Wenn Hessens Regierungschef Roland Koch die Freiheit in den Mittelpunkt stelle, rege sich niemand auf, hat der Generalsekretär der NRW-CDU, Hendrik Wüst, beobachtet. Wenn Rüttgers jedoch auf die soziale Balance hinweise, werde das als „Frontalangriff“ gewertet. „Das ist doch erstaunlich.“ Wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit seien aber „zwei Seiten der gleichen Medaille“, sagte Wüst dem Tagesspiegel. „Wenn wir in Berlin ohne Bremsklotz regieren wollen, reicht Ökonomie allein nicht aus.“

In der Partei habe sich Frust über die ersten Reformen der großen Koalition aufgebaut, bilanziert Rüttgers’ Generalsekretär – über die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei statt zwei Prozent ebenso wie über Gleichbehandlungsgesetz und Gesundheitsreform. „Es hat sich eine muntere Knallgasmischung zusammengebraut.“ Die Debatte müsse jetzt offen geführt werden. Wenn nicht, werde das „die CDU in große Probleme stürzen“.

Der Fraktionsvize im Bundestag, Wolfgang Bosbach, warnte hingegen vor öffentlichem Richtungsstreit. Unterschiedliche Meinungen dürften nicht auf dem Markt ausgetragen, sondern müssten in den Gremien diskutiert werden, sagte er dem Tagesspiegel. Der öffentlich ausgetragene Streit um Kurs und Profil habe der Partei geschadet und deren Anhänger irritiert. Er räumte ein, dass die CDU darüber nachdenken müsse, ihre Wahlergebnisse in Großstädten zu verbessern. Wie bei anderen Parteien lasse die Bindung an die CDU nach: „Die traditionellen Wählermilieus weichen auf.“ Dies biete der CDU die Chance, neue Wählerschichten zu gewinnen. Sie müsse dabei aber aufpassen, „die Stammkundschaft nicht zu verlieren“.

Für öffentliche Forderungen nach einer grundlegenden Kurskorrektur habe er „kein Verständnis“, sagte Bosbach. Die Kritik von Rüttgers sei zudem „sehr oberflächlich“ gewesen: „Es gibt für die CDU keinen Anlass, ihren politischen Kompass neu auszurichten.“ So boten Wulff und Koch ihrem Kollegen Rüttgers auch am Wochenende wieder Paroli. Sie forderten niedrigere Steuern, weniger Staat und eine Lockerung des Arbeitsrechts.

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