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Koalition: Die Zäsur für Schwarz-Gelb

Nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird die Regierung von Angela Merkel nicht mehr die gleiche sein wie vorher. Was droht Schwarz-Gelb an diesem Sonntag?

Von Antje Sirleschtov

„Die politische Grundlage für die Fortsetzung unserer Arbeit ist infrage gestellt.“ Mit diesem Satz hat Gerhard Schröder am Abend des 22. Mai 2005 seine Lehren aus dem Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen gezogen: Gewaltig waren sie, die vor ihm liegenden Reformaufgaben. Und sehr klein das Zutrauen des Kanzlers in seine ausgezehrte rot-grüne Koalition. Schröder sah die Diskrepanz und beendete seine Kanzlerschaft. Noch am gleichen Abend, als im Stammland seiner Partei nach 39 Jahren SPD-Vorherrschaft zum ersten Mal die CDU die Landtagswahl gewann.

Es gibt Parallelen: Wieder droht der Regierungspartei in einem Stammland, in Baden-Württemberg, nach jahrzehntelanger Herrschaft die Abwahl. Was unweigerlich für die Kanzlerin den Verlust eines wichtigen Teils ihrer Machtbasis ausmachen wird. Wieder sind die Aufgaben, die vor der Regierungschefin liegen, gewaltig und zum Teil von existenzieller Bedeutung für die ganze Gesellschaft. Und wieder sind die Fliehkräfte in ihrer Koalition kaum mehr unter dem Deckel zu halten, sucht man vergebens die belastbaren Fundamente der Macht.

Nein, mit einer Kopie des Schröder’schen Weges muss man bei Merkel nicht rechnen. Allein schon wegen des Copyrights. Und auch ein Putsch ihrer unzufriedenen Partei nach der Wahl in Baden-Württemberg ist schwer vorstellbar.

Wie wollen Angela Merkel und ihre schwarz-gelbe Truppe dieses Land ab Montag regieren?

Im Angesicht einer Atomkatastrophe, eines Krieges in unserer südlichen Nachbarschaft, einer noch immer nicht gebannten Euro- und Europakrise und nicht zuletzt einer nationalen Finanzplanung, die nur noch Makulatur ist, könnten Berufsoptimisten auf die Idee kommen, dass es Angela Merkel schon einmal gelungen ist, unter suboptimalen innenpolitischen Konstellationen exogene Herausforderungen zu bewältigen. Etwa, als 2008 die internationalen Finanzmärkte plötzlich zusammenbrachen. Merkels schwarz-rote Koalition war seinerzeit inhaltlich ausregiert, ohne weiteres gemeinsames Projekt. Und doch ist Sozial- und Christdemokraten der Kraftakt gelungen, das Land gemeinsam so gut wie unbeschädigt aus der Megakrise herauszuführen. Wie ein Fingerzeig des Schicksals tauchte ausgerechnet an diesem Freitag im Bundestag plötzlich Peer Steinbrück wie aus der Versenkung auf. Und ach, raunte es durch den Saal, wenn doch nur Merkel so einen wie den jetzt an ihrer Seite hätte. Womit der erste wesentliche Unterschied der großen zur aktuell regierenden Koalition beschrieben wäre. Und damit das erste schwarz-gelbe Problem: das Verhältnis der Regierenden untereinander.

Wie steht es um den Zusammenhalt der Koalition?

Es war von Anfang an die Achillesferse der zweiten Merkel’schen Kanzlerschaft, war noch vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages im Herbst 2009 spürbar. Und es trat zuletzt für jeden sichtbar mit der Enthaltung der Regierung im UN-Sicherheitsrat vorvergangenen Freitag und den darauf folgenden tiefen Zerwürfnissen in den Regierungsfraktionen zutage: Es gibt kein Kraftzentrum in dieser Koalition, das auf gemeinsame Werte gründet. Und es fehlt der kleinste gemeinsame menschliche Nenner, der auf gegenseitigem Respekt und eigener Zurücknahme basiert. Unberechenbar und unstet in seiner politischen Verortung der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer. Egozentrisch und, was zunehmend für die Dreiparteienkonstellation zum Problem wurde, mit erodierender Machtbasis in der eigenen Partei der FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle. Und an der Spitze eine Regierungschefin, deren Erfahrung, erfolgreich mit der Methode „abwarten und dann entscheiden“ regieren zu können, in dieser Konstellation nicht mehr trägt. Von Beginn an schwingt in jedem Augenblick, jeder kritischen Entscheidung, Misstrauen mit. Und zwar überall, ob im Verhältnis der Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Birgit Homburger (FDP) untereinander, zwischen Wolfgang Schäuble (CDU) und Guido Westerwelle, Rainer Brüderle (FDP) und Norbert Röttgen (CDU) und, und, und: Rivalität, ja Missgunst bis hin zur Verachtung. Das politische Personal an der Spitze dieses Landes traut sich gegenseitig nicht über den Weg. Wie sollten sie ein gemeinsames Ziel definieren, es verfolgen und gegen Widerstände verteidigen? „Wir stellen den Mut zur Zukunft der Verzagtheit entgegen“, lautet der erste Satz im Koalitionsvertrag. Er klingt wie Hohn, erinnert man die gegenseitigen öffentlichen Angriffe und auch die nicht öffentlichen Verletzungen der letzten eineinhalb Jahre.

Vor welchen inhaltlichen Herausforderungen steht Schwarz-Gelb?

Es fehlt der Koalition ein gemeinsames Ziel, eine Klammer, die zusammenhält und zusammenschweißt, wenn die Aufgaben besonders groß werden. Das zu erahnen muss man nur einmal auf die nächsten drei Monate schauen und durchspielen, wie Schwarz-Gelb das Atommoratorium, das die Kanzlerin nach der Katastrophe in Japan ausgerufen hat, im Sommer beenden will. Wie viele Atommeiler werden danach noch am Netz sein und wie lange? Das ist nur eine der sehr konkreten Antworten, die Schwarz-Gelb im Sommer geben muss. Doch schon der innerkoalitionäre Kampf des letzten Sommers um das Maß der Verlängerung der Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke hat die Schwierigkeiten des Bündnisses mit sich selbst offengelegt: Während Umweltminister Norbert Röttgen seine Partei davor gewarnt hat, das Atomthema zum „Alleinstellungsmerkmal“ der CDU zu erklären, sammelten Volker Kauder und Rainer Brüderle die Hardliner in ihren Parteien hinter sich. Herausgekommen ist kein Gesetz. Herausgekommen ist eine gesellschaftliche Missgeburt. Und weil die Energiefrage bis heute weder in der Union noch in der FDP geklärt ist, wird dieser Graben erneut aufreißen. Mitten durch die Parteien, mitten durch die Fraktionen und mithin: mitten durch die Regierung.

Scheint es einerseits wie eine gute Idee der CDU-Vorsitzenden Merkel, ihre eigenen Leuten durch die Einsetzung einer Ethik-Kommission unter Führung von Klaus Töpfer zu versöhnen und auf einen moderneren Kurs zu geleiten, stellt sich für die Regierungschefin Merkel sofort das nächste, sehr praktische Problem: Wie soll die Regierung bis Ende Juni ein Energiekonzept vorlegen, mit dem sie das Volk überzeugen kann, wenn die sie tragenden Partner keine Basis dafür haben. Keiner für sich und schon gar nicht alle miteinander. Mit einem Projekt „Mondfahrt“ hat FDP-Generalsekretär Christian Lindner allein den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien zutreffend beschrieben. Milliardeninvestitionen werden dafür vom Staat und der Energiewirtschaft zu tätigen sein. Ein riesiges Projekt mit beachtlichem gesellschaftspolitischem Potenzial. Finanziell allerdings mit dem Aufbau Ostdeutschlands vergleichbar. Um das zum Erfolg zu führen, bräuchte es einen nationalen Kraftakt bis hin zu einer Steuererhöhung. Kann man das einem Bündnis zutrauen, in dem eine FDP mitregiert, die in Sorge um eine noch so kleine Steuerreform bis 2013 schon jetzt argwöhnisch jede Bewegung des Finanzministers beobachtet? Das wäre in etwa so, als wollte man mit lauter Kleingärtnern das Ernährungsproblem der ganzen Welt lösen.

Wie könnte sich die schwarz-gelbe Koalition künftig personell aufstellen?

Weder in der Union noch in der FDP wird die Welt nach diesem Sonntagabend so sein, wie sie vor dem Sonntagabend war. Es steht den Koalitionären eine massive Verschiebung der Kräfteverhältnisse bevor. Innerhalb der Partner und auch im Bündnis. Ohne über personelle Details zu viel spekulieren zu wollen: Mit jedem Prozentpunkt, den die FDP im Südwesten verliert, werden mehr Leute an ihrer Spitze aus dem Amt gekegelt. Westerwelle, Brüderle, die baden-württembergische Landeschefin und in der Bundestagsfraktion die mehr gelittene als geschätzte Birgit Homburger auf jeden Fall. Und mit jedem Prozentpunkt, den die FDP verliert, wird in der Union der Ruf nach Vergeltung am kleinen Koalitionspartner lauter werden. Und wie jeder weiß, sind schwache angeschossene Partner in einem Bündnis immer auch sehr gefährliche Partner. Denn sie neigen zu Irrationalitäten. Zumal, wenn es ums ganz Grundsätzliche geht.

Und davon wird es in den nächsten Monaten mehr als genug geben. Wenn die Bundeswehr neu strukturiert wird. Wenn erst klar wird, dass die größten Sparposten im Haushalt des Bundes für die nächsten Jahre – die Bundeswehr und die Atomabgabe – keinen Bestand mehr haben und daher ein neuer Haushalt aufgestellt werden muss. Wenn der nächste EU-Wackelkandidat deutsches Geld braucht. Und wenn sich am Ende die entscheidende Frage stellt: Wofür braucht Deutschland nach diesem Wahlsonntag Schwarz-Gelb eigentlich noch?

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