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Koalition: Merkels Spielraum

Die Union rechnet damit, dass Kurt Beck so viel SPD wie nur möglich verkörpern wird. Mit der "kontrollierten Opposition“ wird das Regieren für die Kanzlerin schwieriger.

Von Robert Birnbaum

Berlin - „Stoiber Zwei“ ist kein nettes Etikett, und genau in diesem Sinne ist das von Guido Westerwelle ja auch gemeint. Aufgeklebt hat es der FDP-Vorsitzende dem SPD-Vorsitzenden. Dass Kurt Beck nicht ins Bundeskabinett geht, sondern lieber Regierungschef in Mainz bleibt, sei Flucht vor der Verantwortung – so wie weiland Edmund Stoiber plötzlich lieber doch Erster in München bleiben als Dritter in Berlin werden wollte.

Wie alle allzu nahe liegenden Vergleiche hinkt auch dieser. In einem Punkt allerdings ist er richtig: In dem Kalkül, das einst den CSU- und jetzt den SPD-Chef davon abhielt, neben einer Kanzlerin Angela Merkel am Kabinettstisch zu sitzen. Ein Kalkül, aus dem Beck selbst kaum ein Hehl macht: Dass er nicht als Nachfolger Franz Münteferings ins Kabinett eintrete, biete ihm „größere Spielräume und bessere Möglichkeiten, sozialdemokratische Politik zu entwickeln und durchzusetzen“.

Wie das gemeint ist, darüber macht man sich beim Koalitionspartner Union keiner Illusionen: Beck wolle so viel SPD pur wie möglich verkörpern – und so wenig unbequemen Koalitionskompromiss wie möglich. Merkel und die Ihren haben schon den Hamburger SPD-Parteitag und Becks Sieg über Müntefering im Streit ums Arbeitslosengeld I als Verschiebung im Gefüge wahrgenommen; mit Münteferings Abgang werde die neue Machtbalance zu Becks Gunsten zementiert.

Auch über die Folgen dieser Veränderung gibt sich bei CDU und CSU niemand falschen Illusionen hin. Müntefering sei noch in den schwierigsten Momenten daran interessiert gewesen, dass die große Koalition am Ende mit einer Erfolgsbilanz vor die Wähler trete, sagt ein Unionsmann. Der Sauerländer habe auch Ansehen und Statur gehabt, diese Haltung gegen die Koalitionsmüden in den eigenen Reihen zu vertreten. Seinen Nachfolgern, ob Frank Walter Steinmeier als Vizekanzler oder Olaf Scholz als Arbeitsminister, fehle diese einzigartige Autorität. Und Beck mache ja gerade deutlich, dass er genau dieses Erbe Münteferings nicht antreten wolle.

Für die Kanzlerin wird das Regieren damit schwieriger. Die Union, sagt einer ihrer Strategen voraus, müsse sich darauf einstellen, dass die SPD stärker als bisher ein Doppelgesicht bekomme: Einerseits Regierungspartner, zunehmend aber zugleich „kontrollierte Opposition“. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach spricht das offen aus: Der SPD-Chef wolle sich nicht in Koalitionsdisziplin einbinden lassen. Ein anderer Unionsmann spottet, Beck wolle sich als guter Onkel aus Mainz präsentieren, dem es die böse Tante im Kanzleramt nicht gönne, dass er Bonbons ans Volk verteile.

In dem Spott klingt allerdings auch Sorge durch. Denn so sehr der Kanzlerin alle Umfragen immer wieder Popularität bestätigen, so wenig Vertrauen weisen die gleichen Umfragen in die große Koalition insgesamt aus. Verstärkt sich der Eindruck, dass das Bündnis nicht mehr regiert, sondern nur noch streitet, könnte das rasch der Chefin angelastet werden.

Andererseits, tröstet sich ein CDU-Spitzenmann, könne auch Beck das Spiel nicht beliebig weit treiben. „Die SPD hat keine realistische Option, die Koalition zu sprengen“, sagt er. Schon beginnen in der CDU auch die Versuche, den SPD-Chef auf dem Marsch in die innere Opposition abzufangen. Man müsse jetzt beobachten, gibt Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff am Mittwoch zu Protokoll, ob Beck zur Regierungsarbeit stehe oder ob er „weiter nach links rücken will“. Ein Wink mit dem Zaunpfahl von Wahlkämpfer Wulff. Dahinter steckt die Vermutung, dass Beck als linker Flügelmann nun auch wieder nicht eingestuft werden will.

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