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Koalition und EFSF-Abstimmung: Nur ein Etappensieg auf dem Weg zu neuen Hürden

Das Parlament hat mehrheitlich im Sinne der Kanzlerin gestimmt – doch der Weg aus der Krise ist lang. Welche weiteren Prüfungen muss Schwarz-Gelb bestehen?

Von Hans Monath

In der Geschichte der Republik ist es immer wieder vorgekommen, dass hart erkämpfte Entscheidungen des Bundestages einer unter Druck geratenen Bundesregierung neue Stärke verliehen – das war so bei der Abstimmung über die Ostverträge Willy Brandts im Jahr 1972 und auch bei der erfolgreichen Vertrauensfrage Gerhard Schröders zum Afghanistan-Einsatz vor zehn Jahren. Welchen Stellenwert Historiker künftig einmal dem Ja des Bundestages zum reformierten Euro-Rettungsschirm (EFSF) zuschreiben werden, weiß kein Mensch. Absehbar ist allerdings schon heute, dass die 315 Ja-Stimmen aus den eigenen Reihen für die angeschlagene Koalition nur wenig Entlastung bringen werden.

Zwar priesen Koalitionspolitiker ihre Kanzlermehrheit am Donnerstag als Beleg für die eigene Handlungsfähigkeit. In Wirklichkeit dürfte die Entscheidung über den reformierten Euro-Rettungsschirm nur einen wichtigen Etappensieg der Koalition beim Weg hin zu neuen Schwierigkeiten und Hürden markieren, die längst auf sie warten.

Was sind die nächsten Hindernisse?

Die Stabilisierung des Euro-Raums erfordert in den kommenden Monaten weitere Entscheidungen von Regierung und Parlament, die vielen Koalitionsabgeordneten nicht weniger Schmerzen bereiten dürften als die Aufstockung des deutschen EFSF-Anteils von 123 auf 211 Milliarden Euro. Die Finanzmärkte bleiben nervös. Ob der jetzt erweiterte Rettungsschirm reicht, um notfalls auch in Not geratene Euro-Schwergewichte wie Italien oder Spanien aufzufangen, weiß kein Mensch. Dazu kommt: Um die EFSF-Aufstockung im Bundestag durchzubringen, hat die Regierung dem Parlament erweiterte Mitspracherechte einräumen müssen – und die will das Parlament auch nutzen: Bevor künftig Hilfe für einen angeschlagenen EU-Staat auf den Weg gebracht wird, muss zumindest der Haushaltsausschuss des Parlaments zustimmen.

Noch komplizierter wird es, wenn die Koalition mit ihrer Absicht Ernst macht, die gemeinsame Währung dauerhaft gegen Spekulanten abzusichern. Das nämlich erfordert eine Vertiefung der europäischen Integration, über deren Ausmaß die drei Koalitionspartner schon heute öffentlich streiten. CSU-Chef Horst Seehofer meldete für seine Partei grundsätzliche Vorbehalte an. „Es gibt Grenzen, die wir als CSU nicht überschreiten“, warnte er in der „Süddeutschen Zeitung“.

Lesen Sie auf Seite 2, was international von Deutschland erwartet wird.

Was wird international von Deutschland erwartet?

Während die Kanzlerin ihre skeptischen Koalitionspartner beruhigen muss, wächst der Druck von außen. Sowohl US-Präsident Barack Obama als auch Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), mahnen „schnelle und kühne Aktionen“ (Lagarde) Berlins an. Sie verlangen Konjunkturpakete oder zumindest ein massives Aufstocken des Rettungsschirms für den Euro. Am Rande der Tagung von IWF und Weltbank am Wochenende in Washington kursierten Zahlen, wonach das Volumen des EFSF von 440 Milliarden Euro faktisch auf zwei Billionen Euro aufgestockt werden müsse, um die Spekulanten in Schach zu halten.

Ausgerechnet Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vergrößerte die Nervosität in den eigenen Reihen, als er in Washington vieldeutig erklärte, die EFSF-Mittel müssten effizient eingesetzt werden. Damit, so hielt ihm die Opposition in der Debatte vor, könne nur gemeint sein, dass die EFSF-Milliarden durch Hebelwirkung („Leverage“) in ihrer Wirkung verstärkt werden.

Zwar versicherte Schäuble in der Debatte, die deutsche Garantiesumme von 211 Milliarden Euro werde nicht geändert. Die Einführung von Hebel-Mechanismen schloss er allerdings nicht explizit aus, sondern verwies lediglich darauf, dass die „Guidelines“ (Verfahrensregeln) des EFSF noch verhandelt würden und der Bundestag sie anschließend billigen müsse. Viele Abgeordnete dürften sich getäuscht fühlen, falls angesichts neuer Schwierigkeiten der EFSF tatsächlich mit Hebelwirkung ausgestattet würde. Schäuble bereite dies schon vor und führe die eigenen Parlamentarier „hinter die Fichte“, warnte SPD-Haushälter Carsten Schneider in der Debatte.

Lesen Sie auf Seite 3, wie der weitere Zeitplan aussieht.

Wie ist der weitere Zeitplan?

Voraussichtlich noch im Oktober muss der Bundestag über das zweite Rettungspaket für Griechenland entscheiden, das bis zum Jahr 2014 weitere 109 Milliarden Euro vorsieht. Zwar muss die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF dem Schuldenland vorher attestieren, dass es den harten Auflagen nachgekommen ist. Doch in der Euro-Zone gibt es längst Überlegungen, das Hilfspaket nachzurüsten. Schon wird auch in der Bundesregierung bezweifelt, dass die Koalition erneut eine eigene Mehrheit für das zweite Griechenland-Paket aufbringt. Und nicht nur die Partner in anderen EU-Hauptstädten und in Washington, sondern auch die Spekulanten dürften genau beobachten, wie groß die schwarz-gelbe Mehrheit ausfällt. Schließlich ist die Handlungsfähigkeit des wirtschaftsstärksten EU-Landes ein wichtiger Faktor auf den Finanzmärkten.

Anfang kommenden Jahres müssen die deutschen Parlamentarier dann über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) entscheiden. Er soll den EFSF ablösen, der Mitte 2013 ausläuft. Aber auch hier sind die Dinge im Fluss, denn womöglich muss der ESM vorgezogen werden, was auch eine frühere Entscheidung des Bundestages erfordern könnte. Nach den bisherigen Planungen zahlen die Euro-Länder ein Grundkapital von 80 Milliarden Euro ein, auf Deutschland entfallen 22 Milliarden Euro. Dieser Kapitalstock soll in den kommenden Jahren schrittweise aufgebaut werden.

Schließlich muss sich die Kanzlerin in mehr als einer Frage mit ihrem liberalen Koalitionspartner einigen, die die Stabilität des Euro betrifft. Die FDP lehnt die von Merkel befürwortete Finanztransaktionssteuer ab, für die sich auch EU-Kommissionschef Barroso stark macht. Aber angesichts der Schwäche der FDP muss die Kanzlerin auf die Liberalen viel Rücksicht nehmen – ein anderer Regierungspartner steht nicht zur Verfügung. Zwar warb auch FDP-Chef Philipp Rösler im Bundestag für einen pro-europäischen Kurs. Ob diese Haltung den kommenden Mitgliederentscheid der Liberalen gegen den ESM besteht, ist allerdings offen.

Eine Kanzlerin, „die sich ständig entscheiden muss, ob sie den Euro rettet oder die FDP“, könne nicht die nötige Kraft aufbringen, um Europa aus der Krise zu führen, kritisierte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Sein Fraktionskollege Peer Steinbrück fand ein anderes Bild. Nach dem chinesischen Kalender sei momentan das Jahr des Hasen, bemerkte der heimliche Kanzlerkandidat der SPD: „Genau diesen Eindruck vermittelt auch die Regierung.“ Aber nicht Steinbrück, sondern Historiker werden einmal darüber entscheiden, ob die Monate des Ringens um den Euro als wichtige Etappe oder nur als Moment der Hasenfüßigkeit in Erinnerung bleiben.

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