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Koalition: Wehrpflicht: Kein Ersatz

Schwarz-Gelb will die Wehrpflicht und den Zivildienst von neun auf sechs Monate verkürzen. Reicht dieser Zeitraum für einen sinnvollen Einsatz überhaupt noch aus, und was wären die Alternativen?

Das Argument, das bis heute die Wehrpflicht politisch begründet, ist eine Reaktion auf die leidvollen Erfahrungen der Dominanz des deutschen Militärwesens bis 1945. Eingebettet in das Konzept des Bürgers in Uniform, verhindert demnach der Wehrpflichtige, das dass Militär wieder zu einem Staat im Staate wird. Seit ihrer Gründung hat sich die politische und militärische Führung bemüht, die Bundeswehr und ihre geistigen und moralischen Grundlagen zu zivilisieren. Als es noch galt, die Freiheit gegen einen Gegner aus dem Osten zu verteidigen, und jeder aufgerufen war, seinen Beitrag zu leisten, war der Bürger in Uniform das tragende Konzept. Seit sich die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz gewandelt hat, die im Rahmen der Vereinten Nationen und der Nato weltweit eingesetzt wird, ist ein neuer Soldatentypus gefragt: der Freiwillige, der bereit ist, im Namen der deutschen Politik überall seinen Auftrag auszuführen.

Wozu dann noch eine Wehrpflicht?

Anders als die meisten europäischen Staaten, die ihre Wehrpflicht gegen eine Berufsarmee getauscht haben, hält Deutschland daran fest. Von den rund 250 000 Soldaten der Bundeswehr sind indes lediglich rund 30 000 Wehrpflichtige. Die große Mehrheit sind längst Zeit- und Berufssoldaten. Darin eingeschlossen sind die „freiwillig länger Dienenden“ – Wehrpflichtige, die ihre Dienstzeit auf bis zu 23 Monate verlängert haben. Es handelt sich also eher um eine Berufs- und Freiwilligenarmee mit angeschlossener Wehrpflichtabteilung.

Praktisch einsetzen kann man die Wehrpflichtigen schon heute kaum. Nach der dreimonatigen Grundausbildung und daran anschließenden weiteren speziellen Ausbildungen ist die Dienstzeit zu kurz. Zumal es sich bis dahin nur um das Erlernen von Grundfertigkeiten handelt, auf die weitere Ausbildungen und Übungen erst aufbauen. So bleiben nach vier bis sechs Monaten Ausbildung nur Handlangertätigkeiten und Beschäftigungsprogramme. Das macht den Soldaten schon heute nur zum Statisten in der Truppe.

Mit der Reduzierung auf eine sechsmonatige Dienstzeit würde die Entlassung des Soldaten praktisch nach Abschluss seiner ersten Ausbildungen erfolgen, wie man es aus Milizsystemen kennt. Das Festhalten an einer Wehrpflicht, die der Truppe eigentlich nur noch eine Last ist, hat aus militärischer Perspektive nur einen Grund: Es geht um die Nachwuchsgewinnung, um die Anwerbung von freiwillig Längerdienenden und Zeitsoldaten.

Erfüllt die Wehrpflicht diesen Zweck?

Tatsächlich gewinnt die Bundeswehr etwa 40 Prozent aller Längerdienenden und Zeitsoldaten über die Wehrpflicht. Diese hätten sich womöglich ohne die Erfahrungen des Wehrdienstes nicht dafür entschieden. Als besonders wertvoll erweist sich dabei die Herkunft der Wehrpflichtigen aus allen sozialen Schichten. Anders als Berufsarmeen, die in Zeiten einer florierenden Wirtschaft Schwierigkeiten haben, geeigneten Nachwuchs auf dem Arbeitsmarkt anzuwerben, gelingt es der Bundeswehr mittels der Wehrpflicht, auch Abiturienten und junge Männer aus den höheren und mittleren sozialen Schichten zu gewinnen.

Plant die Bundeswehr für eine Zeit ohne Wehrpflicht?

Der Führung ist bewusst, dass die Wehrpflicht auf ewig nicht zu halten ist. Nach Kräften bemüht man sich, den Dienst in der Truppe attraktiver zu machen. Neue Laufbahnverordnungen wurden erlassen, die den Unteroffizieren und Mannschaften einen schnelleren Aufstieg ermöglichen. Das macht zwar eine Verpflichtung in der Bundeswehr attraktiver, mindert aber den Wert der Unteroffiziere und Feldwebel, da nun die Erfahrung fehlt. Auch wurden berufliche Aus- und Weiterbildungen während der Dienstzeit eingeführt, die auf Kosten der militärischen Effizienz gehen. Ein Zeitsoldat, der sich in einer Ausbildung befindet, ist überdies wenig brauchbar für einen geregelten Dienstbetrieb. Neben den obligatorischen militärischen Lehrgängen und eventuellen Auslandseinsätzen wird der Soldat auch durch die zivilen Ausbildungsblöcke für viele Monate aus seinem Stammtruppenteil gerissen.

Was bedeutet der Koalitionsbeschluss für den Zivildienst?

Den „Anfang vom Ende“, glaubt man dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. In der kurzen Dienstzeit seien die Organisationen nicht mehr in der Lage, „Zivildienstleistende noch vernünftig einzusetzen“. Im Rettungsdienst etwa dauere schon die Ausbildung drei Monate. „Da bringen sechs Monate dann gar nichts mehr.“ Auch in der Pflege, in Kindergärten oder der Behindertenarbeit könne es den Menschen nicht zugemutet werden, „alle halbe Jahre die Bezugspersonen zu wechseln“. Beim Roten Kreuz rechnet man ebenfalls mit einem „Aus für den Zivildienst“. Nutzen und Aufwand der Ausbildung stünden womöglich in keinem Verhältnis mehr, sagt eine Sprecherin. Lebenshilfe-Chef Robert Antretter erwartet „dramatische Einbrüche“ bei der Behindertenbetreuung. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fürchtet, die Schulung von Zivildienstleistenden für die Pflege rechne sich nicht mehr. Und auch das Deutsche Jugendherbergswerk erwägt den Verzicht der bisherigen Helfer.

Andere reagieren gelassener. Einrichtungen und Dienste seien nicht gefährdet, betont Caritas-Präsident Peter Neher. Zwar werde es in Dienststellen mit „sehr anspruchsvollen Tätigkeiten“ weniger Einsatzmöglichkeiten geben. Doch auch sechs Monate Zivildienst ermöglichten „Lernerfahrungen, die jungen Männern wichtige Impulse geben können“. Und in der Diakonie, die von allen Verbänden die meisten Zivildienstleistenden beschäftigt, ärgert man sich sogar über den Protest. Das „Riesengeschrei“ habe es bisher bei jeder Zivildienstverkürzung gegeben, sagt Sprecher Wolfgang Buff. Wer so jammere, müsse sich fragen lassen, ob er seine Zivildienstler nicht falsch einsetze. „Schließlich handelt es sich um einen Ersatzdienst, der nicht erfunden worden ist, um soziale Dienstleistungen zu sichern.“

Bei der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer nähren die Reaktionen den Verdacht, dass soziale Dienstleister „ihre Zivis offensichtlich nicht für zusätzliche, sondern für Regelaufgaben eingesetzt haben“. Dies sei dann aber ein Verstoß gegen die vom Gesetzgeber geforderte „arbeitsmarktpolitische Neutralität“ des Zivildienstes.

Gibt es Alternativen zum Zivildienst?

Von der Möglichkeit, für fehlende Zivildienstleistende ordentlich ausgebildetes und bezahltes Personal einzustellen, redet aus Kostengründen kaum einer. Die Verbände fordern jedoch eine bessere Förderung von Freiwilligendiensten. Als Lockmittel kann sich der Bund der Deutschen Katholischen Jugend Bildungsgutscheine oder geringere Studiengebühren vorstellen. Womöglich ist das aber gar nicht nötig. Für das Freiwillige Soziale Jahr etwa, mit dem sich die Zeit bis zum Studien- oder Ausbildungsbeginn überbrücken lässt, gibt es weit mehr Bewerber als offene Stellen. Nur stellen Bund und Länder dafür bislang zu wenig Geld zur Verfügung. Die durch die Zivildienstverkürzung frei werdenden Mittel müssten komplett in solche Stellen fließen, fordern die Verbände. So könne sich die Verkürzung sogar als hilfreich erweisen, sagt Diakoniesprecher Buff. „Man hat dann keine Zwangsverpflichteten mehr, sondern nur noch motivierte Menschen.“

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