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Politik: Koalition will neuen Abgeordneten-Kodex vor der Wahl In der Grünen-Fraktion gibt es wegen der Hunzinger-Affäre kritische Fragen zum Umgang mit dem eigenen Moralanspruch

Berlin. Die rot-grüne Regierungskoalition will den Verhaltenskodex von Abgeordneten bei Nebentätigkeiten und Einkünften noch vor der Bundestagswahl verschärfen.

Berlin. Die rot-grüne Regierungskoalition will den Verhaltenskodex von Abgeordneten bei Nebentätigkeiten und Einkünften noch vor der Bundestagswahl verschärfen. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestages, wie Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch berichtete. Die Grünen-Führung erklärte derweil die Affäre um den umstrittenen Kredit des Frankfurter PR-Beraters Moritz Hunzinger an ihren Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir für erledigt. Özdemir zahlte die noch ausstehende Restsumme des geborgten Geldes, insgesamt waren es 80 000 Mark, komplett zurück. Darüber hinaus spendete er 5200 Euro für Folteropfer. Unter den Abgeordneten herrsche die Auffassung „dass es damit auch genug ist“, sagte Schlauch. Der Grünen-Fraktionschef selbst hatte Özdemir bereits Anfang 2000 dringend geraten, den zinsgünstigen Kredit an Hunzinger zurückzuzahlen. Er sagte am Donnerstag: „Wenn es nach mir gegangen wären, hätten wir uns diese Tage ersparen können.“

In der Grünen-Fraktionssitzung gab es eine knappe Debatte zu den Vorwürfen, in der sich die Abgeordneten Winfried Hermann, Monika Knoche und Christian Ströbele mit kritischen Fragen an die Fraktionsführung wandten. Nach Teilnehmerangaben räumte Ströbele aber auch ein, er habe den PR-Unternehmer Hunzinger 1999, als der Kredit an Özdemir gegeben wurde, selbst noch nicht gekannt. Hermann warf die Frage auf, ob Özdemir nicht vom Amt des innenpolitischen Sprechers abgelöst werden sollte, erntete aber nur Kopfschütteln. Insgesamt habe in der Sitzung eine „Schwamm-Drüber-Mentalität“ geherrscht, hieß es aus den Reihen der Kritiker: „Es gab kein Interesse an allzu aufklärerischen Fragen, um den Wahlerfolg im Herbst nicht zu gefährden.“ Die frühere Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer forderte ihre Partei in der Sitzung zu mehr Selbstbewusstsein in der Debatte um den Umgang mit Lobbyisten und der Wirtschaft auf. Die Grünen seien deshalb noch lange nicht käuflich. Eine Abgeordnete sagte dem Tagesspiegel nach der Sitzung, der Fall Özdemir habe zur Wirkung, dass sich allgemeine Politikverdrossenheit nun auch auf das Ansehen der Grünen auswirke. „Die Leute differenzieren nicht mehr.“ Gerade für eine linke Partei mit einem hohen Moralanspruch sei die Affäre deshalb „schon dramatisch“. Özdemir selbst sagte vor der Fraktion, er bedauere zutiefst, das Darlehen angenommen zu haben. Er räumte ein, damit auch der Partei geschadet zu haben. Detailfragen des Tagesspiegel, etwa danach, wann sich Özdemir und der Hunzinger-Mitarbeiter Johannes Altincioglu kennen gelernt haben, wurden nicht beantwortet. „Das sind Interna, und das bleiben auch Interna“, hieß es.

Parteimitglieder aus Berlin, vor allem aus dem Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain, wandten sich in einem offenen Brief an die Grünen-Parteiführung – und nannten Hunzingers Kredit an Özdemir einen „ersten Schritt in ein korruptives Beziehungsgeflecht“. In dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es: „Die Abhängigkeiten bieten einen fruchtbaren Boden für Gefälligkeiten und Einflussnahmen.“Matthias Meisner

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