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Generale Mobilmachung. Am Montagmorgen präsentieren Patrick Döring, Hermann Gröhe und Alexander Dobrindt (v.l.n.r.) die Ergebnisse der Nacht.

© dpa

Koalitionsgipfel: Lieferservice aus dem Kanzleramt

Es wurde spät, erst um zwei Uhr morgens hatten die Koalitionsspitzen das Paket ausgehandelt, das ihre Regierungsfähigkeit demonstrieren soll. Ein bisschen was gibt es für jeden. Den Eindruck einer Einigung kann Schwarz-Gelb aber nur kurz aufrecht erhalten.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

Alexander Dobrindt geht ja eigentlich der Ruf voraus, eher holzschnittartig zu formulieren. Aber wenn er will, verfügt der CSU-Generalsekretär über eine ganz eigene Form der Ironie. Dobrindt setzt dann seine unschuldigste Unschuldsmiene auf, blickt durch sein dickes schwarzes Brillengestell und sagt Sätze, die beim ersten Hinhören ganz und gar unverfänglich klingen. Am Montagvormittag ist es wieder mal so weit. Der Koalitionsgipfel hat getagt, Dobrindt hat die Ergebnisse tief in der Nacht gemeinsam mit den Kollegen von CDU und FDP kurz verkündet; nun soll er sie noch ein bisschen ausführlicher bewerten. „Wenn man acht Stunden zusammen in einem Verhandlungsraum sitzt, muss man gut miteinander können“, sagt Dobrindt. „Sonst würde man es nicht miteinander aushalten.“

Es gibt deutlich weniger elegante Arten, um anzudeuten, dass es halt doch mal wieder etwas mühsam war. Acht Monate ist es her, dass sich die Spitzen der Koalition in ähnlicher Runde das letzte Mal getroffen haben. Acht Stunden zum Abarbeiten des zwischenzeitlich Aufgelaufenen sind also im Prinzip gar nicht so lang.

Nur ist das Aufgelaufene so oft – und oft so schrill – hin und her diskutiert worden, dass sich zwischenzeitlich alle gefragt haben, wie es die Drei von der Zankstelle noch miteinander aushalten. Selbst ausgewiesene Befürworter von Schwarz- Gelb wirkten in den letzten Wochen ein wenig verzweifelt bei dem Gedanken, dass sie demnächst im Wahlkampf womöglich ausgelacht werden könnten, wenn sie auf den Marktplätzen für eine Fortsetzung dieser politischen Farbkombination zu werben versuchen.

Deshalb hat dieses nächtliche Treffen im Kanzleramt eine Bedeutung erhalten, die über routinemäßige Gesetzgebung weit hinaus reicht. „Es geht um die Regierungsfähigkeit der Koalition“, hat Horst Seehofer kurz vorher verkündet. Man konnte das als Appell verstehen, gegebenenfalls auch als Drohung – in jedem Falle aber als den Maßstab, an dem das Ganze zu messen sein würde.

Seehofer hat den Satz sinngemäß in der Nacht wiederholen müssen. Und sogar Angela Merkel, die sonst nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen ist, hat sich nach fast vier Stunden ziemlich ergebnislosen Rumgeredes genötigt gesehen, ein wenig auf den Tisch zu hauen: eine Einigung müsse her, jetzt und hier. Bis dahin lag hinter den versammelten Spitzen von CDU, CSU und FDP erstens eine Jammerrunde, in der jede Seite noch einmal darlegen durfte, was sie selber gerne hätte und weshalb die Ideen der anderen falsch seien; zweitens der Vorschlag des FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler, man könne doch das lästige Kompromisseschließen gleich ganz sein lassen, alle Tagesordnungspunkte beiseite legen und sich nur auf einen ausgeglichenen Haushalt bis 2014 verständigen – eine Idee, von der Unionspolitiker anderntags höflichkeitshalber sagen, sie hätten sie „originell“ gefunden; und drittens ein längeres Tauziehen, an dessen Ende das Betreuungsgeld und eben dieser „strukturell ausgeglichene Haushalt 2014“ vereinbart waren, der Rest aber immer noch nicht.

Erst nach der Ermahnung der Kanzlerin geht es voran. Frühmorgens gegen Zwei treten Dobrindt und die Kollegen Hermann Gröhe und Patrick Döring im Foyer des Kanzleramts vor die Kameras. Hinter dem Trio lassen drei Zimmerpflanzen ihre Äste und Blätter zu Boden hängen. Es seien „gute Entscheidungen“ gefallen, sagt CDU-Mann Gröhe.

Philipp Rösler hat in der Nacht nicht viel geschlafen. Doch wer FDP-Chef bleiben will, muss früh aufstehen. Die Studiouhr zeigt 07:02 Uhr, als Rösler im ARD- „Morgenmagazin“ seine Sicht der nächtlichen Einigung erläutert. „Entscheidend ist, dass wir uns vor allem auf solides Haushalten verständigt haben“, sagt er.

Zwei Stunden später kommt er in die FDP-Zentrale. Rösler strahlt über das ganze Gesicht, so wie einer, der diese lange kurze Nacht als eine gute in seiner Karriere als FDP-Vorsitzender verbucht. Viel hat der FDP-Chef seinen Anhängern vor dem Treffen mit der Union versprochen. Es ist nicht wenig, was er davon nach Hause getragen hat. Man kann seine gute Laune also verstehen, zumal wenn man weiß, dass mancher in der Partei vor dem Spitzentreffen bedenklich den Kopf gewogen und ganz leise gedroht hatte, der Vorsitzende habe Sonntagnacht eine letzte, eine allerletzte Chance zu beweisen, dass er gegen die Koalitionspartner etwas durchsetzen kann.

In der FDP sind sie irritiert. Haben sie etwas übersehen?

Das hat er. Wichtig ist da zum Beispiel, dass die Praxisgebühr komplett fällt. Wichtig ist das vielleicht nicht einmal so sehr für die Betroffenen – auch wenn der freidemokratische Gesundheitsminister Daniel Bahr behauptet: „Die Praxisgebühr ist nach allen Umfragen das größte Ärgernis der Deutschen!“ Kaum jemand regt sich wirklich noch auf in deutschen Arztpraxen, wenn er einmal im Quartal zehn Euro zahlen muss. Dass die maximal 40 Euro im Jahr weniger der FDP größere Wählerscharen zutreiben werden, glaubt auch so richtig niemand. Für den Chefliberalen Rösler allerdings wiegt die Abschaffung doppelt. Seine Partei stöhnt auch drei Jahre nach der Bundestagswahl noch, die Union gönne ihr nicht die kleinste Bürgerentlastung. Rösler hat versprochen zu liefern. Nun ist diese liberale Leerstelle gefüllt.

Auch beim Betreuungsgeld ist es Rösler gelungen, eigene Akzente zu setzen. Jetzt darf man das Geld nicht nur zum Rente- sondern auch zum Bildungssparen einsetzen. Sogar die Tatsache, dass die Sozialleistung nicht im Frühjahr, sondern erst ab August nächsten Jahres gezahlt wird, deutet Rösler als wichtigen Verhandlungserfolg seiner Partei. Schließlich spart das ein paar hundert Millionen Euro im Jahr 2013 und das sieht – zumindest oberflächlich betrachtet – doch schon mal aus wie die Einlösung der Röslerschen Forderung nach einer „Gegenfinanzierung“ des Betreuungsgeldes.

Besonders stolz aber ist Rösler auf die Sache mit der Haushaltskonsolidierung. Seit gut einer Woche drängt er darauf, dass es Schwarz-Gelb gelingen müsste, 2014 zumindest „strukturell“ einen schuldenfreien Bundeshaushalt aufzustellen. Das hat die Koalitionsrunde am Sonntag nun auch beschlossen. Stolz erzählt es Rösler tags drauf, als habe er die Etatkonsolidierung der Bundeskanzlerin mühsam aus den Rippen leiern müssen.

Hier ist es nun allerdings vermutlich an der Zeit, in den liberalen Schaumwein ein wenig Wasser zu gießen. Man muss dazu nur kurz nach Mittag in die CDU-Zentrale wechseln und dem Generalsekretär Gröhe zuhören, wie er nach der Präsidiumssitzung über die Koalitionsbeschlüsse berichtet. Das CDU-Präsidium, dies nur vorweg, hat diese Beschlüsse unisono als gut vertretbar eingestuft; eine wenig temperamentvolle, gleichwohl realistische Sicht der Dinge. Nimmt man die Punkte zusammen, können die kleinen Partner FDP und CSU auf ihren Wunschzetteln mehr abhaken als die größte Regierungspartei: Praxisgebühr und Haushalt hier, Betreuungsgeld und eine dreiviertel Milliarde mehr im Etat des CSU-Verkehrsministers dort. „Der Klügere gibt gern“, kommentiert ein leicht genervter Unionsmann die innerkoalitionäre Gewichtung. Andere sind schon froh über die Aussicht, dass Uralt-Zänkereien wie die um das Betreuungsgeld jetzt endlich ihrem Ende zugehen: „Das Beste an gestern Abend ist, dass das ganze Zeug jetzt endlich abgeräumt ist!“ sagt ein CDU-Landespolitiker.

Andererseits – das siebenseitige Beschlusspapier ist in manchem ziemlich allgemein gehalten. Und Gröhe wird schon wissen, weshalb er eigens hervorhebt, dass die Sache mit dem „strukturell ausgeglichenen Haushalt 2014“, zu beschließen im kommenden März, unter einem kleinen Vorbehalt steht. „Stabile weltwirtschaftliche und europäische Rahmenbedingungen vorausgesetzt“ steht da nämlich. Und selbst dann, sagt ein Koalitionär, wird das Ziel nur mit „zusätzlichen Anstrengungen“ zu erreichen sein.

Und dann ist da noch die Sache mit der Rente. Die Sache mit der Rente heißt jetzt „Lebensleistungsrente“. Wer das Wortungetüm erfunden hat, will keiner verraten. Was sich dahinter verbirgt, ist ... nun, sagen wir, ein wenig kompliziert. In der Vereinbarung ist diese Lebensleistungsrente beschrieben als eine neue steuerfinanzierte Leistung für Menschen mit eher geringen Einkommen, die mindestens 40 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt und zusätzlich privat vorgesorgt haben. Die sollen im Alter nicht in die staatliche Grundsicherung fallen mit all ihren Folgen: Auto weg, Erspartes weg und obendrein erleben müssen – Gröhe beschreibt es eindrücklich – dass „eine Behörde darüber befindet, dass ihre Wohnung zu groß ist.“ Also soll der Staat ihnen die Rente etwas aufstocken. „Die Grenze der Höherbewertung“, heißt es in dem Papier, „befindet sich knapp oberhalb der Grundsicherung.“

Die Parteispitzen wollen sich jetzt öfter treffen im Kanzleramt.

Als die FDP-Verhandler dem FDP-Präsidium am Montag diesen Teil der Vereinbarung erläutern, klingen sie besonders zufrieden. „Das ist das Ende der Zuschussrente aus Beitragsmitteln“, jubeln Rösler und sein General Döring. Und sie lassen nicht unerwähnt, wie hart es gewesen sei, jene 850 Euro weg zu verhandeln, die die CDU-Sozialministerin Ursula von der Leyen als Mindestrente gegen Altersarmut seinerzeit ins Spiel gebracht hatte. „Die Messlatte liegt bei 688 Euro“, beteuern die FDP-Spitzen noch um kurz nach zehn Uhr morgens. Sie sind ihrer Sache sicher. Schließlich, hat nicht sogar Merkel in der Nacht nebenher zu Rösler die Bemerkung fallen lassen, der Rentenbeschluss werde der Frau von der Leyen nicht so richtig schmecken?

Gegen Mittag steht die Frau von der Leyen ganz alleine im Lichthof ihres Ministeriums. Das Ende ihrer Zuschussrente? Leyen lächelt freundlich. Das sei doch „die Zuschussrente mit neuem Namen“. Ja, und was die Höhe angehe – das werde dann auf „830, 840, 850 Euro“ hinauslaufen, und zwar egal, wo die betroffenen Menschen lebten.

Der letzte Halbsatz ist ziemlich wichtig. Es gibt in Deutschland keine einheitliche Grundsicherung; der Betrag unterscheidet sich je nachdem, ob jemand relativ preiswert auf dem Land lebt oder eher teuer in der Großstadt. „Knapp oberhalb der Grundsicherung“ heißt für Leyen „knapp oberhalb der höchsten Grundsicherung“.

In der FDP sind sie irritiert.

Haben sie da womöglich etwas übersehen in der Nacht? Bei all den vielen handschriftlichen Anmerkungen auf den Textentwürfen der Vereinbarung einen vergessen? Hat vielleicht sogar die Frau Merkel mit ihrer Nebenbemerkung eine Nebelkerze geworfen?

Sie wollen sich jetzt noch mal bei der CDU erkundigen, wie der Beschluss gemeint ist. Die nächste Gelegenheit könnte, wenn Rösler das richtig verstanden hat, sehr bald kommen. Es soll nämlich jetzt doch öfter der Koalitionskreis tagen, jeweils donnerstags in Sitzungswochen. Eigentlich hatten sie solche wöchentlichen Treffen ja schon vor drei Jahren vereinbart. Das ist dann aber rasch eingeschlafen, weil Seehofer gesagt hat, an den ins Auge gefassten Dienstagen könne er nicht, da tage in Bayern immer das Landeskabinett. Am Donnerstag kann er schon eher, als bayerischer Ministerpräsident ist er sowieso meist beim Bundesrat in Berlin.

Regelmäßige Treffen sind vielleicht eine nützliche Sache für diese Koalition. Nur ein bisschen spät kommen sie. In dieser Wahlperiode hat Schwarz-Gelb nicht mehr viel zu beschließen; dafür reicht die Zeit nicht mehr. Vielleicht hat die Vereinbarung von Sonntagnacht deshalb so einen pompösen Titel: „Stetiges Wachstum und sichere Arbeitsplätze für ein starkes Deutschland“ haben sie darüber geschrieben. Es klingt wie das Vorwort zu einem halbstarken Wahlprogramm.

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