zum Hauptinhalt

Koalitionsverhandlungen: Union und SPD vor harter Schlussrunde

Die Verhandlungen zwischen Union und SPD über eine große Koalition gehen an diesem Donnerstag in eine konfliktträchtige Schlussrunde. Die Resultate sind ungewiss.

Berlin - Nachdem sich beide Seiten offenbar auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes und drastische Milliarden-Korrekturen bei Hartz IV geeinigt hatten, wurde bei Union und SPD am Mittwoch zwar ein Scheitern der Gespräche in letzter Minute nahezu ausgeschlossen. Vier Wochen nach Beginn der Verhandlungen sind neben dem Finanzthema - dem Hauptstreitpunkt - aber noch etliche Konfliktfelder nicht bereinigt.

Trotz nahezu pausenloser Gespräche gelangen Union und SPD entgegen den ursprünglichen Erwartungen am Mittwoch nicht, die Konflikte beim Anti-Diskriminierungsgesetz, über die weitere rechtliche Aufwertung der «Homo-Ehe» und in der Atompolitik beizulegen. Dies muss nun wie die Überprüfung der Regeln für die grüne Gentechnik in den Schlussberatungen geklärt werden.

Diese könnten bis zum Freitagmorgen gehen. Nach dpa-Informationen könnte der Vertrag dann am Freitagnachmittag von der großen Koalitionsrunde abgesegnet und der Öffentlichkeit präsentiert werden - so zumindest die Planung am Mittwochabend.

Es gebe «noch richtige Konflikte», sagte Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) in Berlin während der Beratungen vor allem mit Blick auf die marode Haushaltslage. Die «Reichensteuer» sei aus Sicht der Union «schwer verkraftbar», weil besonders große Personengesellschaften belastet würden. CDU-Vize Christian Wulff (CDU) nannte den Begriff «Reichensteuer» in einer Unions-Verhandlungsrunde am Mittwochabend diffamierend.

Dafür einigten sich Union und SPD in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales auf eine Senkung der Lohnnebenkosten um voraussichtlich zwei Prozentpunkte und Einsparungen in Höhe von vier Milliarden Euro bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV. Die rund 20 Millionen Rentner müssen in den kommenden Jahren auf Rentenerhöhungen verzichten.

Unklarheiten um Kündigungsschutz

Nach langem Streit um die Lockerung des Kündigungsschutzes verständigten sich Union und SPD offenbar auf einen Kompromiss. Die Probezeit soll bei Neueinstellungen auf 24 Monate ausgedehnt werden können. Im Gegenzug sollen Arbeitsverhältnisse ohne sachliche Gründe nicht mehr auf zwei Jahre befristet werden dürfen.

Am Abend sorgte SPD-Chef Franz Müntefering allerdings für neue Spekulationen, als er nach einem Treffen mit den Gewerkschaftsspitzen in Berlin erklärte, über die Lockerung des Kündigungsschutzes sei noch nicht endgültig entschieden.

Die Verhandlungsgruppe einigte sich auf die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung um zwei Punkte auf 4,5 Prozent. Sicher ist aber erst eine Ermäßigung um einen Punkt. Der zweite könnte über die Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden, sagte Unions-Fraktionsvize Ronald Pofalla (CDU). Die SPD konnte nicht durchsetzen, dass die bereits beschlossene Verkürzung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I auf 18 Monate von Februar 2006 an für ältere Arbeitslose ausgesetzt wird.

Der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, bei den Lohnnebenkosten solle eine «klare 39 Prozent vor dem Komma» stehen. Bezieher von Arbeitslosengeld II sollen stärker in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Dazu arbeite man an neuen Kombi-Lohn-Modellen. Der SPD-Chef und künftige Arbeitsminister Franz Müntefering will Abstriche an Regelsätzen des Arbeitslosengeldes II nicht akzeptieren, sagte er der «Frankfurter Rundschau» (Donnerstag). Die geplante Angleichung ist ungelöst. Der Ost-Satz liegt mit 331 Euro um 14 Euro unter West-Niveau.

Auch auf Rentner kommen Einschnitte zu. Union und SPD vereinbarten laut Pofalla, dass nicht vorgenommene Rentenkürzungen mit möglichen Erhöhungsrunden später verrechnet werden können. Koch und Steinbrück betonten den Willen zum Sparen. Für 2007 sind ein verfassungsgemäßer Haushalt und die Einhaltung des EU-Stabilitätspakts geplant.

Debatte um Steuererhöhungen hält an

Die Kritik an möglichen Steuererhöhungen nahm zu. Die «Fünf Weisen» warnten vor höheren Steuern zur Sanierung des Haushalts. Die Union hält eine Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent für wahrscheinlich. Auch in der Union wuchs der Unmut über die bisherigen Verhandlungsergebnisse. Die FDP-Politiker Jürgen Koppelin und Carl-Ludwig Thiele drohten mit einem Untersuchungsausschuss im Bundestag wegen angeblich gebrochener Wahlversprechen.

In der Atompolitik will die Union nach wie nicht den von der rot-grünen Bundesregierung ausgehandelten Atomausstieg akzeptieren. CDU und CSU wollten die Laufzeiten der Atomkraftwerke um acht Jahre verlängern. Beim Anti-Diskriminierungsgesetz besteht die SPD auf der Umsetzung des rot-grünen Gesetzentwurfs aus der vergangenen Legislaturperiode, das über die Vorgaben der EU hinausgeht.

CDU und CSU wollen hingegen generell nur noch eine 1:1-Umsetzung von EU-Recht in das deutsche Recht. Auch bei der Aufwertung der Homo-Ehe trennen Union und SPD noch Welten. Die Sozialdemokraten wollen auch im Steuerrecht die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften der Ehe weiter gleichstellen.

Die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über eine Neuordnung der Finanzen sollen Anfang 2006 beginnen. Nach dieser Zusicherung von CDU/CSU und SPD will die FDP den ersten Schritt der Reform im Bundesrat nicht blockieren. (tso/dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false