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Politik: Köhler hat über Neuwahlen entschieden

Ansprache des Präsidenten im Fernsehen / Kanzler zurück in Berlin / Parteien debattieren über Verfassungsänderung

Berlin Bundespräsident Horst Köhler hat über eine vorgezogene Bundestagswahl entschieden. Ob Köhler dem Wunsch von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nachkommt und den Deutschen Bundestag auflöst, wollte der Präsident am Donnerstagabend in einer Fernsehansprache bekannt geben. Die Ansprache fand nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe statt.

Schröder hatte am Nachmittag sein Privathaus in Hannover, wohin er sich für einige Tage zurückgezogen hatte, verlassen und war nach Berlin gefahren. Sämtliche Parteispitzen und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kündigten Erklärungen an. Thierse hatte am Morgen im ZDF mit Blick auf den Bundespräsidenten gesagt: „Er ist frei, er kann auch gegen die Stimmung im Lande entscheiden, so souverän sollte er schon sein, dass er sich nicht vollständig durch Stimmung beeinflussen lässt.“ Der Bundestagspräsident zeigte sich überzeugt, dass Köhler in seine Entscheidung „gewiss nicht nur rechtliche, sondern auch politische Aspekte einbeziehen“ werde.

Schröder hatte nach der von der SPD verlorenen NRW-Landtagswahl am 22.Mai angekündigt, das Votum der Wähler einzuholen. Als Weg wählte er die Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes. Als er sie am 1. Juli erwartungsgemäß verlor, bat er den Bundespräsidenten, den Bundestag aufzulösen. Für seine Entscheidung hatte Köhler laut Verfassung 21 Tage Zeit. Diese Frist wäre an diesem Freitag abgelaufen. Entspricht der Bundespräsident dem Wunsch des Kanzlers, wollen zwei Bundestagsabgeordnete dagegen beim Verfassungsgericht klagen.

CDU-Generalsekretär Volker Kauder sagte vor der Fernsehansprache des Präsidenten: „Ich wünsche mir, dass wir in diesem Herbst einen Bundestagswahlkampf führen können, damit es in diesem Land endlich wieder aufwärts geht.“ Auch Grünen-Chef Reinhard Bütikofer ging von einer Neuwahl im Herbst aus. Möglicher Wahltermin ist der 18. September.

Überlegungen von Thierse, dem Bundestag auf dem Wege einer Grundgesetzänderung das Recht auf Selbstauflösung zu gewähren, wurden am Donnerstag in den Parteien skeptisch aufgenommen. Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) sagte dem Tagesspiegel, er sehe „keine zwingende Notwendigkeit“ dafür. Die gegenwärtige Regelung schütze die Rechte kleinerer Parteien. Unionsfraktionsvize Wolfgang Schäuble sagte dem „Handelsblatt“: „Beim Selbstauflösungsrecht könnte sich eine Mehrheit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen – und etwa neue Gruppierungen benachteiligen.“ Thierse hatte gesagt, zur Verhinderung von Missbrauch könne für eine Selbstauflösung eine Zweidrittel- oder gar eine Dreiviertelmehrheit vorgesehen werden. „Die Angst der Mütter und Väter des Grundgesetzes vor einer Wiederholung der Weimarer Verhältnisse muss man nach über 50 Jahren einer stabilen bundesdeutschen Demokratie nun wahrlich nicht mehr haben.“

In der SPD wurden derweil Äußerungen des Vize-Fraktionschefs und Linken-Sprechers Michael Müller über eine große Koalition von SPD und Union zurückgewiesen. Der frühere niedersächsische Regierungschef Sigmar Gabriel mahnte einen Richtungswahlkampf an. „Die Unterschiede (zwischen SPD und Union) dürfen nicht verwischt werden“, sagte er dem Tagesspiegel. Auch Vertreter des SPD-Netzwerkes Berlin warnten vor negativen Auswirkungen einer großen Koalition für die SPD. Tsp

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