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Köhler tritt zurück: Mit Ach und Krach

Zum Abschied dankt er den Menschen. Nicht den Politikern. Die zweite Amtszeit von Horst Köhler war eine Zeit der kleinen Renitenzen – und der großen Missverständnisse.

Von
  • Hans Monath
  • Robert Birnbaum

Die Tür geht auf, und der Bundespräsident der Bundesrepublik kommt in den Saal, und schräg hinter ihm seine Frau, und er hält ihre Hand ganz fest gedrückt – und in diesem Augenblick wird schlagartig klar, dass hier etwas Ungeheuerliches geschieht. Die Einladung an die Journalisten war aus heiterem Himmel gekommen, kurzfristig, lakonisch: „Bundespräsident Horst Köhler gibt Presseerklärung ab.“

Schloss Bellevue, Langhans-Saal. Jetzt steht er vor den Mikrofonen. Keine Begrüßung, kein Guten Tag, gleich zur Sache. „Meine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres sind auf heftige Kritik gestoßen“, sagt Köhler. Pause. „Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten.“ Wieder eine Pause. Köhler blickt auf das Blatt Papier in seiner Hand, dann wieder hoch in die Kameras. „Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.“ Pause. „Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten – mit sofortiger Wirkung.“

Mit der weihevollen Ruhe, die hier normalerweise herrscht, ist es schon vom ersten Moment an nicht weit her, jetzt bricht sich die Aufregung Bahn. „Rücktritt, Rücktritt!“, ruft einer hinter den Kameras in sein Funktelefon. Ein anderer hat das Handy gleich eingeschaltet in die Höhe gehalten, in seiner Redaktion schreiben sie mit.

Köhler hat alle überrascht. Die Kanzlerin hat es nicht viel früher erfahren als die Presse, wie der Vizekanzler erst am Mittag. Angela Merkel und Guido Westerwelle haben noch versucht, ihn umzustimmen, vergebens. „Er wollte nicht umgestimmt werden“, sagt Merkel später. Dieser Rückzug erschüttert die Koalition in Berlin in einem Moment, in dem es sowieso knirscht. Ein „extrem ungünstiger Moment“, sagt ein Regierungsmann. Merkel sagt das indirekt auch. „Ich bedaure diesen Rücktritt aufs ...“ – die Kanzlerin sucht nach einem Wort – „... aufs Allerhärteste.“ Eigentlich passt das nur zu „missbilligen“. Wahrscheinlich hat sie das ja auch gedacht.

Ihm ist das alles sehr genau bewusst. „Ich danke den vielen Menschen in Deutschland, die mir Vertrauen entgegengebracht und meine Arbeit unterstützt haben“, sagt Horst Köhler. Den Menschen. Nicht den Politikern. Nicht der Kanzlerin, nicht dem Kabinett, nicht den Abgeordneten, keinem von denen. In seinen Augen glitzert es verdächtig. Seine Frau Eva Luise blickt starr geradeaus. Horst Köhler schaut direkt in die Kamera, in die imaginären Augen der Bürger irgendwo da draußen. Seine Stimme klingt belegt. „Ich bitte Sie um Verständnis für meine Entscheidung.“

Die Menschen sind immer seine Verbündeten gewesen. Und Verbündete hat Horst Köhler dringend brauchen können, in den vergangenen Monaten mehr denn je. Denn es gehört zur bitteren Ironie dieser so abrupt beendeten Präsidentschaft, dass sie seit dem Moment immer unsichtbarer, ja unzeitgemäßer geworden ist, als sich ihr politischer Zweck erfüllte. Horst Köhler ist vor sechs Jahren Bundespräsident geworden, weil Angela Merkel und Guido Westerwelle einen Herold der schwarz-gelben Reformrepublik im höchsten Staatsamt wollten.

Seit einem halben Jahr ist Schwarz-Gelb an der Macht. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass die leibhaftige Erinnerung an alte Ideale im Schloss Bellevue den einstigen Mentoren lästig geworden war. Tatsächlich hat sich Köhler sehr früh selbst bemüht, den Makel loszuwerden, dass er zu seinem Amt bloß als Ergebnis eines kleinen taktischen Kalküls gekommen war.

Die Szene ist ja noch sehr gut in Erinnerung, wie Edmund Stoiber eines Abends unter konspirativen Umständen in Westerwelles Dachgeschosswohnung in der Mommsenstraße kam. Der CSU-Chef dachte, dass er mit dem FDP-Chef und der CDU-Vorsitzenden beredet, wer der nächste Präsident werden soll – und Stoiber war für Wolfgang Schäuble. Doch der Bayer musste peinlich berührt feststellen, dass die beiden anderen längst handelseinig waren: Theo Waigels einstiger Staatssekretär sollte es werden, der danach Präsident des Sparkassenverbands gewesen war und jetzt als Direktor des Weltwährungsfonds in Washington saß – ein ehrenvoller, aber, wie Köhler selbst zu berichten wusste, wenig einflussreicher Posten. Er verdankte ihn übrigens Gerhard Schröder. Jetzt sollte er der Kronzeuge gegen Rot-Grün werden. Am 23. Mai 2004 wählt die Bundesversammlung ihn zum Nachfolger Johannes Raus. Er braucht nur einen Wahlgang. Er bekommt eine Stimme mehr als die notwendige absolute Mehrheit. Die Gegenkandidatin Gesine Schwan unterliegt.

Und Köhler tut zunächst, was seine Macher sich von ihm erwarten. Gewiss, der neue Präsident lobt immer wieder auch Schröders Agenda 2010. Das irritiert manchen der Hundertprozentigen in der Union. Aber es liegt doch inhaltlich auf jener Linie des Leipziger CDU-Parteitags, mit der Angela Merkel die Republik erobern will. Jener Linie, die Horst Köhler am 15. März 2005 vor der Arbeitgeber-Vereinigung darlegen wird. „Die Ordnung der Freiheit“, ist die Rede überschrieben. Köhler weiß, sie ist wichtig. Am Abend vor dem Auftritt hält eine dunkle Wagenkolonne vor dem Haus der Deutschen Wirtschaft in der Breiten Straße. Ein nicht besonders großer, nicht allzu auffälliger Mann spaziert in den leeren Vortragssaal und inspiziert das Rednerpult. Den Arbeitern, die noch die Stuhlreihen richten, bleibt der Mund offen stehen. Der Präsident in Person sieht nach der Ordnung. Ein pingeliger, misstrauischer Mann, kein guter Rhetoriker überdies. In der Union haben sie sich schon bald mokiert über ihn.

Aber Köhler war nützlich. Am nächsten Tag wird er vor den Arbeitgebern seine Reform-Agenda verkünden – „eine politische Vorfahrtsregel für Arbeit“. Nie vorher und nie nachher war er so entschieden. „Was der Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze dient, muss getan werden. Was dem entgegensteht, muss unterlassen werden. Was anderen Zielen dient, und seien sie noch so wünschenswert, ist nachrangig.“

Gut einen Monat später, am 21. Juli des gleichen Jahres, löst Horst Köhler den Bundestag auf und gibt den Weg für Neuwahlen frei. Gerhard Schröder hatte die Vertrauensfrage gestellt und mit Absicht verloren. Vor dem Fernsehpublikum erschien der Präsident als Mann, der wirkt und klingt, als gelte es den Notstand zu verkünden. „Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel“, sagt der Mann. „In dieser ernsten Situation braucht unser Land eine Regierung, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck verfolgen kann.“

Er hat viel Kritik einstecken müssen für diese Begründung. Es war das letzte Mal, dass sich Merkels Präsident vorbehaltlos selbst in die Dienste derer stellte, die ihn berufen hatten.

Denn die Geschichte dieser Präsidentschaft wird zunehmend eine der kleinen Renitenzen gegen diesen ganzen Politikbetrieb. Mehrfach hat Köhler der Großen Koalition die Unterschrift unter Gesetze verweigert. Schlicht schludrig fand der einstige Spitzenbeamte vieles, was ihm da vorgelegt wurde. Die Unterschrift unter das Gesetz zum Lissabon-Vertrag hat er erst erteilt, nachdem das Verfassungsgericht den neuen EU-Vertrag gebilligt hatte. Köhler ärgerte die Politik auch immer wieder durch Interventionen ins Tagesgeschäft. Zuletzt hat er sie gedrängt, die Finanzmärkte zu bändigen. „Monster“ hat er die genannt. Er wusste besser als die meisten, wovon er sprach.

Um so erstaunlicher ist allerdings, dass selbst diese Warnrufe seltsam ungehört blieben. Das Wort vom „Monster“ hat gelegentlich der Opposition im Bundestag als Waffe gedient, um der Regierung Untätigkeit vorzuhalten. Aber nachhaltig gewirkt haben seine Reden selten. Vielleicht hat er etwas zu oft gesagt, was gerade en vogue schien, hat zu oft unparteiisch sein wollen und war dann doch nur unscharf, einerseits, andererseits?

Das Urteil über Köhler im Feld der Politik jedenfalls stand bald fest: „Unpolitisch“ haben ihn viele Politische geschimpft. „Unpolitisch“ hieß: Der glaubt, dass es in der Politik um Richtig oder Falsch gehe, dabei geht es ums Machbare. „Unpolitisch“ hieß: Der mischt sich in den Alltag ein wie einer, der am liebsten zeigen würde, wie man’s richtig macht. „Unpolitisch“ hieß: Der bedient damit das allgemeine Urteil, dass Politik ein unvernünftiges Geschäft sei.

Die Menschen haben ihn geschätzt, auch dafür, auch übrigens für das Ungelenke, Scheue, manchmal fast Naive in seiner Art des Umgangs. Köhler, das Kind eines bessarabischen Bauern, im von den Nazis besetzten Polen geboren, hat seinerseits den Kontakt zu seinen Bürgern mehr gesucht als den zur Politikwelt in Berlin. Wenn wieder mal die Blaskapelle vor einem Rathaus Festlichkeit verbreitete und ihn die Honoratioren empfingen, wandte er sich gerne an die Menschenmenge. Redete mit den Wartenden, von denen er dann doch nur wissen wollte, wie es ihnen gehe und ob sie Arbeit hätten.

Er habe viel erreicht, sagte er einmal, wenn die Leute glaubten, „der Bundespräsident ist nicht abgehoben“. Im Willen zum Aufstieg und zur Selbstbehauptung der kleinen Leute mag er sich selbst erkannt haben. Gleich zu Anfang hat er gesagt, dass er etwas von dem zurückgeben wolle, was ihm dieses Deutschland ermöglicht habe.

Als seine erste Amtszeit zu Ende ging, hat er sich kurz beraten und rasch entschieden: Er ist noch nicht fertig, er tritt noch einmal an. Und er wird noch einmal gewählt, wieder mit den Stimmen von Schwarzen und Gelben. Wer aber genau hinhörte auf die Gespräche am Rande, hat an diesem zweiten 23. Mai hören können, dass es wieder nicht Begeisterung war, die ihm noch einmal die Mehrheit sicherte, sondern wieder politisches Kalkül.

Am 27. September 2009 schlägt der Neugewählte dem Bundestag Angela Merkel zum zweiten Mal als Bundeskanzlerin vor. Sie führt die Koalition, deren Präsident er einmal sein sollte. Aber alles ist anders als 2005. Und Köhler verstummt. Irgendwann erscheinen bissige Artikel über den „abwesenden Präsidenten“. Irgendwann erscheinen Artikel über einen Machtkampf im Schloss, über den Abgang des Pressesprechers Martin Kothé. Köhler gibt ein Interview im Magazin „Focus“. „Ich entscheide selbst, wann ich mich zu Wort melde“, sagt er. Im politischen Berlin kichern sie schon wieder: Aha, super, er entscheidet selbst!

Er hat aber am Ende doch selbst entschieden. Ob das Interview, das seinen Rücktritt auslöste, mehr gewesen ist als ein letzter Anlass, darüber kann man nur mutmaßen. Besonders plausibel ist der Anlass jedenfalls nicht. Sicher, Köhler hat nach einem Überraschungsbesuch bei den deutschen Soldaten in Afghanistan einen Satz in das Mikrofon eines Deutschlandfunk-Reporters gesagt, der ungeschickt war. Alle waren müde, der Satz ist im Original ellenlang und kommt auf einigen Umwegen zu dem Schluss, „dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“.

Aufgeregt haben sich darüber vor allem die Linke und die Zeitungskommentatoren. Köhler hat dann mitteilen lassen, dass der Satz nicht auf Afghanistan gemünzt gewesen sei. Aus der Koalition, seiner schwarz-gelben Koalition, sprang ihm nur Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg bei: Dass Militär im Notfall auch vitale Wirtschaftinteressen sichern müsse, stehe im Weißbuch der Bundeswehr. Die Kanzlerin ließ mitteilen, dass sich ein Verfassungsorgan nicht in die Dinge eines anderen einmische. Bisschen lahmes Ausweichen, aber damit war die Sache eigentlich erledigt.

Doch Horst Köhler hat sie nicht für erledigt erklären wollen. Die Kritik an ihm aus der dritten, der vierten Reihe der Politik – er macht sie zur Frage der Ehre. Diesmal sind es die Politischen in Berlin, denen der Mund offen stehen bleibt. Dass einer den Bettel hinwirft, weil er nichts mehr glaubt werden zu können – das hat Roland Koch vor einer Woche vorgemacht, und das hat jeder verstanden. Aber dies hier?

„Es war mir eine Ehre, Deutschland als Bundespräsident zu dienen“, sagt Horst Köhler. Dann nimmt er seine Frau wieder fest an die Hand, und beide verlassen den Saal, ein Paar, das sich stützt. Kein Respekt vor dem Amt, hat er gesagt. Es ist sein Versuch, sich den Respekt am Ende zu erzwingen.

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