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Politik: Kohl-Äußerung: SPD: Altkanzler soll den Bundestag verlassen - Weiter Empörung über NS-Vergleich

Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) muss nach Auffassung des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Wilhelm Schmidt sein Abgeordneten-Mandat auf der Stelle niederlegen. Schmidt schrieb in einem am Freitag verbreiteten Offenen Brief, Kohl habe durch seinen Vergleich von Spender-Boykottaufrufen mit der Verfolgung jüdischer Kaufleute in der NS-Zeit "endgültig jeden moralischen Anspruch verwirkt, noch Mitglied des Deutschen Bundestags zu sein".

Von Robert Birnbaum

Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) muss nach Auffassung des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Wilhelm Schmidt sein Abgeordneten-Mandat auf der Stelle niederlegen. Schmidt schrieb in einem am Freitag verbreiteten Offenen Brief, Kohl habe durch seinen Vergleich von Spender-Boykottaufrufen mit der Verfolgung jüdischer Kaufleute in der NS-Zeit "endgültig jeden moralischen Anspruch verwirkt, noch Mitglied des Deutschen Bundestags zu sein". Kohl verdiene tiefe Verachtung. Die SPD erwäge, den Vorgang zum Anlass für eine Kampagne zu nehmen. Die schleswig-holsteinische SPD-Regierungschefin Heide Simonis hatte zum Boykott von Nestlé-Produkten aufgerufen, weil Nestle-Verwaltungschef Helmut Maucher 500 000 Mark an Kohl gespendet hatte, damit der seiner Partei den Schaden aus der Spendenaffäre finanziell ausgleichen konnte. Kohl hatte dies in einem Interview mit dem NS-Boykott jüdischer Geschäfte verglichen.

Dem Parteispenden-Ausschuss des Bundestages, der Kohl kommende Woche als Zeugen vernimmt, liegen inzwischen erste Hinweise darauf vor, dass im Kanzleramt unter Kohl möglicherweise brisante Unterlagen versteckt abgelegt worden sind. In einem Vorgang über eine Rüdesheimer Brennerei fand der Sonderermittler Burkhard Hirsch Dokumente zur Vorbereitung des Weltwirtschaftsgipfels 1995 in Kanada, nach denen damals die Firma Thyssen um Unterstützung des Kanzlers für ein kanadisches Rüstungsprojekt gebeten hat. In den Unterlagen wird ausdrücklich der Waffenhändler Karlheinz Schreiber als Ansprechpartner im Namen der Thyssen-Tochter Bear Head Industries genannt.

Wie das Kanzleramt dem Ausschuss mitgeteilt hat, findet sich in den Unterlagen auch eine Visitenkarte Schreibers, auf der in Kohls Schrift notiert ist: "Wer ist das?" Ein Sprecher Kohls wertete das am Freitag als Entlastungsbeweis. Damit sei klar, dass Kohl Schreiber nicht gekannt und dieser 1990/91 keinen Einfluss auf die Regierungsentscheidung zum Panzerverkauf an Saudi-Arabien gehabt habe. Aufschlüsse über Schreibers Geschäfte erhofft sich der Ausschuss aus den Akten der Schweizer Justiz. Nach einem Freigabe-Entscheid des Bundesgerichts in Lausanne rechnet der Ausschuss damit, dass die Unterlagen etwa über Schreibers Konten in Kürze von der Staatsanwaltschaft Augsburg nach Berlin gesandt werden.

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