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Politik: Kolonie des Grauens

In der Colonia Dignidad des Deutschen Paul Schäfer in Chile wurde jahrelang gemordet und gefoltert

Berlin - Paul Schäfer sitzt im Rollstuhl, er lächelt. Und schweigt. Er trägt ein weißes Hemd und eine graue Strickjacke, darüber einen leichten beigefarbenen Blouson. Das sind gesetzte Töne, die zu einem älteren, gebrechlich wirkenden Herren passen. Aber Paul Schäfer ist kein normaler, alter Mann, sondern ein von Interpol gesuchter Schwerverbrecher. Der 83-Jährige ist Gründer der berüchtigten deutschen Siedlung Colonia Dignidad (Kolonie der Würde) in Chile und war jahrelang auf der Flucht vor den Behörden. Seit Donnerstagnachmittag kann der 1921 in Siegburg bei Bonn geborene Deutsche den Anschuldigungen nicht mehr entkommen. Argentiniens Polizei hat ihn nahe der Hauptstadt Buenos Aires festgenommen. Damit besteht auch die Chance, dass eines der letzten dunklen Kapitel deutscher Nachkriegszeit aufgearbeitet wird.

Die mörderische Geschichte des Paul Schäfer und der Colonia Dignidad ist lang und verworren. Sie ist ein authentischer deutscher Krimi, ein chilenischer Thriller und nicht zuletzt eine Geschichte über viele geschundene Opfer und deren Angehörige. Die bloßen Schlagwörter lauten: Entführung, Kindesmissbrauch, Folter, Mord. Längst ist aufgrund der Aufarbeitung der chilenischen Militärdiktatur von 1973 bis 1990 unter Augusto Pinochet bewiesen, dass die Colonia Dignidad unter ihrem Führer Schäfer ein Folter- und Arbeitslager des ehemaligen chilenischen Geheimdienstes Dina war. Die Bundesregierung hat 2001 festgestellt: „Die Colonia Dignidad war ein Ort, an dem die Abteilung der Dina, die für die spurenlose Ermordung politischer Gefangener zuständig war, die meisten Menschen verschwinden ließ.“

Auch in Deutschland ist ein Haftbefehl wegen sexuellen Missbrauchs gegen Schäfer anhängig, Außenminister Fischer begrüßte deshalb am Freitag die Festnahme. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Bonn prüft nun, ob sie die Auslieferung beantragen wird. Zunächst aber müsste Schäfer nach Chile ausgeliefert werden, wo ebenfalls ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt. Die deutschen Anschuldigungen gegen Schäfer gehen bis in die 50er Jahre zurück. Schon damals wurde er wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger gesucht. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt und erst 1997 nach neuen Zeugenaussagen von Betroffenen aus Chile wieder aufgenommen.

Schäfer, der im Zweiten Weltkrieg als Sanitäter diente und dabei ein Auge verlor, begann seine kriminellen Machenschaften gut getarnt als evangelischer Laienprediger. Er schaffte es, eine Gemeinde aufzubauen und mittels Erpressung zusammenzuhalten. Schon damals soll Schäfers pädophile Neigung bekannt gewesen sein. Trotzdem gelang es ihm, eine Art Massenauswanderung nach Chile zu organisieren. Dafür hatte die Sekte jahrelang Kontakte zum chilenischen Botschafter in Bonn aufgebaut, und die Gemeindemitglieder hatten sich überreden lassen, ihre Häuser zu verkaufen und Sparbücher aufzulösen. Deswegen wurde auch wegen Steuerhinterziehung gegen Schäfer ermittelt. Schäfer entführte darüber hinaus die Kinder der Gemeindemitglieder nach Südamerika.

1961 entstand auf 14 000 Hektar im Süden Chiles ein Lager, in dem 400 Menschen, nach Geschlecht getrennt und von der Außenwelt abgeriegelt, einem strengen Dienst- und Arbeitsplan unterworfen waren. Alles basierte auf einer rassistischen Ideologie, zur der sich die Führer der Kolonie bekannten. Die Bewohner wurden gefoltert, mit ihnen wurde experimentiert, sie bekamen Psychopharmaka, Kinder wurden vergewaltigt. Das alles weiß man aus Berichten von Lagerflüchtlingen und aus Unterlagen der Dina. Noch heute existiert die Einrichtung. Wurde sie bis zur Verhaftung noch überwacht von Schäfer und seinen Getreuen?

In Deutschland verschlossen viele lange Zeit die Augen vor dem Offensichtlichen. Vor allem die CSU hatte Kontakt zur Colonia, die laut Bundesregierung auch „Anlaufstelle und Zufluchtsort für NS-Verbrecher gewesen sein soll“. Der ehemalige Münchner Stadtrat und CSU-Politiker Wolfgang Vogelgesang schrieb nach einem seiner Besuche: „So wie sie Hilfe geben, brauchen sie Hilfe. Ein Freundeskreis in Deutschland könnte viel helfen. Man ist konservativ, denkt an Bayern, zeigt die Fahne mit Löwe und Raute. Hoffnung für Deutschland.“

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