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Kolumbien: „Betancourt soll über alle Opfer reden“

Kolumbien streitet über seinen Krieg im Frieden - mit Hilfe unter anderem von Madonna.

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Es waren drei sehr unterschiedliche, aber für ihre Art emblematische Frauen, die in der Casa Rosada, dem argentinischen Regierungssitz zusammentrafen: Die Queen of Pop Madonna, die ehemalige Geisel mit Weltruhm Ingrid Betancourt und die erste gewählte Präsidentin Argentiniens, Christina Kirchner. Madonna, die auf ihrer Welttournee in Buenos Aires Halt machte, stieß spontan zu den Gesprächen der beiden Südamerikanerinnen. Auch die Kolumbianerin Ingrid Betancourt befindet sich zurzeit auf einer Art Tournee. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin wirbt in der Region für die Freilassung der schätzungsweise 350 bis 700 Entführten der kolumbianischen Guerillagruppe Farc, die auch sie sechs Jahre lang gefangen hielt. Auf ihrem ersten Stopp traf sie Ecuadors Präsidenten Rafael Correa, der ihr zusicherte, alles zu tun, um den Geiseln zu helfen. Ihre Reise wird Betancourt nun nach Peru, Chile, Brasilien und Bolivien führen. Besondere Aufmerksamkeit dürfte ihr Zusammentreffen mit Venezuelas Staatschef Hugo Chavez erregen, der als Unterstützer der Farc gilt. Über ihre Motivation sagte Betancourt: „Ich ertrage es nicht, dass anderen dasselbe Leid wiederfährt wie mir.“

Auf einer etwas anderen Reise befindet sich hingegen der kolumbianische Anwalt Alirio Uribe Muñoz. Er ist Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und tourt auf Einladung von Brot für die Welt durch Deutschland. Er hat eine gewagte These mitgebracht: Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe, den Betancourt für seine Entschlossenheit lobt, wird wegen Menschenrechtsvergehen hinter Gittern landen. Er könne zwar medienwirksame Erfolge gegen die Guerilla vorweisen, diese verdeckten jedoch seine Komplizenschaft mit den rechten Paramilitärs und ihren Finanziers. Betancourts wie Uribe Muñoz’ Reise offenbaren den komplexen, schier unlösbaren Konflikt Kolumbiens. Seit vierzig Jahren ist das Land Schauplatz eines grässlichen Krieges zwischen Guerillas, Paramilitärs und der Armee. 200 000 Menschen kamen ums Leben, vier Millionen wurden vertrieben. Vor diesem Hintergrund konnte Präsident Alvaro Uribe mit dem Versprechen punkten, Guerillas und Paramilitärs zu erledigen und so etwas wie Staatlichkeit herzustellen. In der Tat hat er spektakuläre Siege gegen die Guerillas errungen, die er massiver Militärhilfe aus den USA verdankt. Sein größter Coup: Die Befreiung Betancourts. Weniger bekannt ist sein „Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden", mit dem er den Paramilitärs Straffreiheit zusichert, wenn sie sich in die Gesellschaft eingliedern. Wie das Gesetz in der Praxis angewandt wird, ist der größte Kritikpunkt von Anwalt Uribe. Denn selbst die grausamsten Massaker würden nun nicht mehr geahndet. „Es kann also weder von Gerechtigkeit die Rede sein noch von Frieden“, sagt er.

Tatsächlich hat die Gewalt gegen Bauern, Gewerkschafter, Indianer und Journalisten unter Uribe eher noch zugenommen. 13 000 politische Morde wurden in den letzten Jahren registriert. 65 paramilitärische Gruppen würden laut Uribe Muñoz in Kolumbien derzeit operieren. Und zwar im Interesse von Unternehmern, Landbesitzern und Politikern. 30 Prozent der kolumbianischen Kongressabgeordneten werden verdächtigt, Verbindungen zu den Paras zu unterhalten. Ein Indiz für die Zusammenarbeit: Von den vier Millionen Hektar Land, die die Paramilitärs geraubt haben, wurden nur 55 000 an Kleinbauern zurückgegeben.

Wegen seines Engagements erhält Anwalt Uribe zahlreiche Morddrohungen. Sein Wagen ist gepanzert, er trägt eine schusssichere Weste, Leibwächter begleiten ihn. Einmal verkündeten die Paramilitärs schon seine „Hinrichtung“. Was er sich von Ingrid Betancourt wünschen würde? „Dass sie endlich über alle Opfer des Konflikts spricht.“

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