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Politik: Kolumbien: Und die Armee schaut weg

Seit letztem Dienstag ist die politische Gewaltspirale in Kolumbien um einen traurigen Rekord reicher. Rechte Paramilitärs verschleppten vorübergehend 190 Menschen in dem kleinen Dorf Villanueva in der Provinz Casanare 130 Kilometer östlich der Hauptstadt Bogota.

Seit letztem Dienstag ist die politische Gewaltspirale in Kolumbien um einen traurigen Rekord reicher. Rechte Paramilitärs verschleppten vorübergehend 190 Menschen in dem kleinen Dorf Villanueva in der Provinz Casanare 130 Kilometer östlich der Hauptstadt Bogota. Eine Gruppe Vermummter stoppte die Busse, mit denen Landarbeiter von den nahen Ölpalmenplantagen in ihr Dorf zurückkehrten. Die bewaffneten Banditen teilten die Campesinos in jung und alt und verschwanden mit den unter 30-Jährigen - darunter sieben Frauen und 53 Minderjährige - in der Dunkelheit. Einige Stunden später ließen sie die meisten ihrer Geislen wieder frei.

"Erst dachten wir, sie würden uns nichts tun," erzählt Alfonso Ruiz, der seit fünf Jahren auf den Palmenfincas arbeitet. "Dann haben sie meine beiden Freunde verschleppt. Lorenzo ist sechzehn, Augusto achtzehn Jahre alt." Zunächst bestand der Verdacht, es handele sich um eine Zwangsrekrutierunge oder Lösegelderpressung. Doch die "Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens" (AUC) erklärten, sie wollten mit dieser Aktion eine Unterwanderung der Region durch linke Rebellen herausfinden. "Die Landarbeiter können ihrer Arbeit wieder nachgehen, sobald wir jeden einzelnen Lebenslauf überprüft haben. Nur 26 Personen müssen bestimmte Verhaltensweisen erklären."

Die Todesschwadrone gehen in den Konfliktgebieten, wo sie mit den Guerillagruppen um die Herrschaft ringen, immer mit äußerster Brutalität vor. Gezielt suchen sie Mitarbeiter von Menschenrechtsgruppen und vermeintliche Sympathisanten der linken Rebellen heraus und ermorden sie auf bestialische Weise. Nach Regierungsangaben haben die AUC seit Jahresbeginn mehr als 500 Zivilisten umgebracht.

Auf Druck internationaler Beobachter und der FARC-Guerilla hat die Regierung die Verfolgung der Paramilitärs zuletzt verstärkt und mehrere Anführer festgenommen. Auch der Leiter des Entführerkommandos, Humberto Caicedo Grosso, saß in einer Kaserne in Haft, bis ihm Militärs zur Flucht verhalfen. Immer wieder gerät die kolumbianische Armee in Verdacht, gemeinsame Sache mit den Todesschwadronen zu machen. In den Konfliktgebieten mit den linksgerichteten Guerillaverbänden FARC und ELN operieren die "Paras" oftmals von Kasernen aus oder können von der Armee unbehelligt ihre Schmutzarbeit verrichten. Zwar betont Präsident Andres Pastrana (wegen seines milliardenschweren und militärlastigen "Plan Colombia" ohnehin in der Kritik) bei jeder Gelegenheit die Loyalität der Streitkräfte. Bei seinem Berlin-Besuch im April verkündete er stolz, heutzutage gingen immerhin 80 Prozent der Menschenrechtsverletzungen auf das Konto von Paramilitärs und Guerilla. Für das restliche Fünftel sind aber immer noch staatliche Stellen verantwortlich.

Jens Holst

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