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Kommission: Rote Armee darf nicht kritisiert werden

Eine Kommission soll in Russland "bösen Versuchen" der Nachbarstaaten entgegentreten, die Rote Armee nicht als Befreier zu sehen. Bürgerrechtler wünschen sich mehr kritische Distanz zu Sowjetunion und Stalin.

Regierung und Oppositionelle streiten erbittert über Sinn und Unsinn einer „Kommission zur Verhinderung von Geschichtsklitterungsversuchen zum Schaden Russlands“. Sie soll einschlägigen Verdachtsmomenten nachgehen und dazu wissenschaftlich fundierte Gutachten erstellen. Fallen diese positiv aus, können die Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Denn die Duma – Russlands Parlament – beschloss Mitte Mai ein Gesetz, wonach Versuche, den Anteil der Sowjetunion am Sieg über Hitlerdeutschland oder die Verbrechen der Nationalsozialisten kleinzureden, mit Haft von bis zu drei Jahren und Geldbußen in Höhe von 300 000 Rubeln – 6 865 Euro – geahndet werden können. Auch Ausländer, die sich derartiger Vergehen in Russland schuldig machen, sollen vor den Kadi gezerrt werden.

Die neue Kommission, die am Dienstag in Moskau ihre Tätigkeit aufnahm, ist dem Präsidenten direkt unterstellt. Zuvor schon hatte sich Dmitri Medwedew in einem Video-Blog auf seiner Website über „immer dreistere, böse und aggressive Versuche“ empört, die Geschichte zu verfälschen. Adressat waren Moskaus prowestlich orientierte Ex-Vasallen – allen voran EU-Neumitglied Lettland und die Ukraine. Dortige Historiker sehen die Rote Armee, die 1945 die Wehrmacht aus dem Baltikum und der Ukraine vertrieb, nicht als Befreier, sondern als neue Besatzungsmacht. Parallel dazu liefern sie Argumente, so heißt es in Moskau, um einheimische Nazi-Kollaborateure zu verherrlichen und durch Denkmäler zu ehren.

Angesichts der Opfer, die die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg brachte – nach neuesten Erkenntnissen fast 30 Millionen Gefallene und Tote im Hinterland – reagiert die hiesige Öffentlichkeit auf derartige Meldungen stets mit einem kollektiven Aufschrei der Empörung. Mit dabei sind auch prominente Historiker. Mit einer Kommission, die über eine aus Sicht des Kremls politisch korrekte Interpretation der Vergangenheit wacht, sei dem Problem dennoch nicht beizukommen, meint sogar Nikolai Swanidse, der beim Staatssender RTR historische Dokumentationen betreut und dessen Reputation über jeden Zweifel erhaben ist.

Historiker-Kollegen wie Roy Medwedew, zu Sowjetzeiten einer der prominentesten Dissidenten, halten die Kommission sogar für kontraproduktiv. Ein Streit der Historiker sei normal und notwendig. Die Kommission aber würde diesen behindern und damit auch eine objektive Aufarbeitung der Vergangenheit. Noch kritischer äußerte sich Oleg Orlow, der Vorsitzende der Menschenrechtsgruppe „Memorial“, die sich seit Jahren um mehr kritische Distanz zur Sowjetunion, vor allem zu Stalin und dessen Massenverfolgungen von Regimekritikern bemüht. Bisher vergeblich. Die Putin-Ära machte den Generalissimus sogar wieder salonfähig und von Nachfolger Medwedew kamen bisher keine Signale für eine Trendwende.

Bürgerrechtler Orlow fürchtet daher, die Kommission werde Geschichtsklitterungs-Versuche eher selektiv wahrnehmen, und dabei Tatsachen, die ein ungünstiges Licht auf Russland werfen könnten, einfach ausblenden.

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