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Politik: Kommt, baut ein Haus

Von Flora Wisdorff

Wenn sich 148 Menschen darauf einigen sollen, gemeinsam ein Haus zu bauen, dann ist das schwierig. Der eine hat weniger Geld und möchte deshalb billige Materialien, ein anderer bevorzugt das Haus im Grünen, weil er eine Familie hat. Weil sich jeder am Ende wohl fühlen soll, darf nicht die Mehrheit entscheiden. Eine gemeinsame Lösung ist nur möglich, wenn jeder Zugeständnisse macht.

Das ist die Lage bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Hongkong, die ab Dienstag die Handelshemmnisse in der Welt weiter abzubauen versucht. Dieses Ziel ist richtig. Denn es ist längst bewiesen, dass Freihandel allen Parteien mehr Wohlstand bringt. Wenn wir Zucker aus Brasilien importieren, profitiert der europäische Verbraucher, weil er weniger bezahlt – und in Brasilien gibt es mehr Arbeitsplätze. Das Gleiche gilt für Computer aus Indien oder Hosen aus China. Die internationale Arbeitsteilung ist in einer Welt, in der Informationen, Kapital und Mobilität die Grenzen längst ignorieren, kaum aufzuhalten. Auch die EU ist seit Jahren eine Freihandelszone. Niemand würde das ernsthaft rückgängig machen wollen. Die Exportnation Deutschland ist der größte Nutznießer.

In der WTO verteidigt jeder knallhart seine Interessen. Die reichen Industrienationen wollen ihre Dienstleistungen und Güter ohne Hindernisse exportieren. Sie sträuben sich aber, ihre eigenen Zölle und Zuschüsse für Milch, Zucker oder Rindfleisch substanziell abzubauen. Auch unter den Entwicklungsländern wollen nicht alle das Gleiche. Schwellenländer wie Brasilien möchten mehr Agrargüter nach Europa exportieren als Bedingung dafür, europäische Banken oder Versicherungen ohne Auflagen ins eigene Land zu lassen. Die ganz armen Länder in Afrika wiederum, die schon freien Zugang zum europäischen Markt haben, fürchten die Konkurrenz der Agrarfabriken aus Brasilien in der EU.

Eine Lösung, bei der alle nur gewinnen, kann es nicht geben. Der Abbau der Handelsschranken bedeutet Veränderung, und überall wird es deshalb – zumindest vorübergehend – auch Verlierer geben. In Europa wären das die Bauern, in Afrika könnten viele Länder den Verlust der Zolleinnahmen nur schwer verkraften, und der Wettbewerb könnte ganze Industriezweige vernichten. Zudem kommen die Gewinne aus dem Freihandel nicht überall denen zugute, die es am nötigsten hätten. In korrupten Staaten profitieren die Eliten, in Brasilien sind vor allem reiche Agrarbarone Nutznießer. Nur kann die WTO nicht jedes Problem in jedem Staat lösen. Sie kann aber versuchen, mit Ausnahmen und Ausgleichszahlungen den Abbau der Handelshemmnisse einigermaßen gerecht zu gestalten. Der Strukturwandel muss abgefedert werden, ärmere Länder sollten Zuschüsse von den Industrieländern bekommen, damit sie ihre Volkswirtschaften fit für den Wettbewerb machen können. Veränderung durch Protektionismus aufzuhalten, ist der falsche Weg.

Diese Handelsrunde soll eine „Entwicklungsrunde“ sein. Deshalb sollten die Industrieländer ein Zeichen setzen und ihre Agrarmärkte weiter öffnen. Das Angebot von Handelskommissar Peter Mandelson reicht da noch nicht aus, die europäische Agrarpolitik muss ernsthaft auf den Prüfstand. Scheitert diese Liberalisierungsrunde, könnte das das Ende der WTO sein und der Anfang von Abkommen unter einzelnen Staaten. Ein gemeinsames Haus, in dem sich alle wohl fühlen, könnte man dann nicht mehr bauen. Die Ärmsten würden darunter am meisten leiden.

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