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Politik: Kompetenz ohne Konturen

Von Robert Birnbaum

Vor vielen, vielen Jahren hat die CDU einmal einen Wahlkampf mit dem Slogan bestritten: „Auf den Kanzler kommt es an.“ Wenn Angela Merkel an diesem Mittwoch ihr Kompetenzteam vorstellt, könnte sie den Spruch prima wiederverwenden. Denn auf ihre Mannschaft passt am ehesten noch das Eigenschaftswort „solide“; mit einiger Missgunst wäre auch „farblos“ denkbar. Selbst der Überraschungskandidat, der Verfassungs und Steuerrechtler Paul Kirchhof, hat wenig vom Funkelglanz eines Polit-Kometen an sich, mehr vom vornehm gedeckten Grau des Gelehrten. Aus der ganzen Gruppe sticht nur eine Person hervor, die – sei’s Hoffnung, sei’s Verachtung – politische Fantasie auslöst: Angela Merkel selbst.

Nun ist das erklärlich. Merkels Team stellt unter den gegebenen Umständen ja sogar ein gewisses personalpolitisches Optimum dar. Mehr ging nicht. Das ist zu Teilen der Preis für den Erfolg der letzten Jahre. Die starken Männer der Generation Merkel regieren in den Ländern. Die wollen da nicht weg. Nicht, weil sie die Chefin nicht leiden könnten, sondern weil es jeder politischen Logik widerspräche. Trotzdem ein Promi-Team aus den Wulff, Koch, Rüttgers, Oettinger, Böhmer und so weiter zu bilden, wäre albern. Nur Peter Müller ist in Merkels Mannschaft, weil er im kleinen Saarland alles erreicht hat und tatsächlich nach Berlin will; und Dieter Althaus soll dabei sein, weil neuerdings doch wieder einer aus dem Osten symbolisch wertvoll ist. Sowie als Mitglied ohne festen Sitz, aber mit Stimme: Edmund Stoiber.

Dass der sich nicht zwischen München und Berlin entscheiden will, ist so verständlich wie misslich. Sich selbst und der CSU tut er damit einen Gefallen, Merkel und der Unions insgesamt einen Tort an. Die Kandidatin ist gezwungen, ausgerechnet die zentralen Themen Wirtschaft und Finanzen mit Platzhaltern zu besetzen. Zur Not geht das: Müller wäre mit einem Sozialministerium ohne Wirtschaft gut beschäftigt, im Professor Kirchhof sieht sowieso keiner den künftigen Finanzminister. Ein Notkonstrukt bleibt’s.

Kirchhof ist übrigens auch in anderer Hinsicht eine Berufung mit Risiko. Er fand die Anhebung der Mehrwertsteuer falsch, weil familienfeindlich. Er passt steuerreformerisch besser zur FDP als zur Union. Dies immerhin kann man als Hinweis Merkels deuten, dass es ihr mit Steuerreformen ernst ist, und nicht in CSU-entschärfter Version. Drittens aber hätte es nicht Horst Seehofers bedurft, der Merkel erst Friedrich Merz anempfahl und dann eilends Kirchhof lobte, um zu erinnern, welche Lücke der Ex-Verfassungsrichter füllt. Schließlich ist Kirchhof, geistiger Vater der Bierdeckel-Steuerreform, quasi Friedrich der Ältere.

Ob Kirchhof ein Gewinn für Merkels Wahlkampf wird, muss sich also erst zeigen. Die übrigen Teammitglieder sind solide Politiker. Heldenglanz strahlen sie nicht aus. Das ist ein Manko in einer Medienwelt, die mehr Heldenverehrung zelebriert als das alte Rom. Dafür zeichnet das Team etwas anderes aus. Sein besonderes Kennzeichen heißt: Loyalität.

Das wird doppelt deutlich durch das Fehlen von Seehofer und Merz. Was wäre das für ein Coup gewesen, hätte Merkel den zwei alten Widersachern verziehen und sie in die Mannschaft geholt! Ein Coup für 32 Wahlkampftage. Danach müsste sich die Kanzlerin vier Jahre lang mit zwei Dissidenten herumschlagen.

Merkel hat sich dagegen eine Mannschaft aus Weggefährten zusammengestellt, von denen sie annehmen darf, dass sie verlässlich sind. Solche Mit-, nicht Gegenstreiter wird sie brauchen – in der Regierung. Aber es zweifelt ja außer Wundergläubigen und den zum Wunderglauben verdammten Wahlkämpfern von SPD und Grünen niemand daran, dass Merkel dieses Land regieren wird. Deshalb ist ihre Mannschaft weniger Kompetenzteam als Schattenkabinett. Deshalb ragt Merkel ganz zu Recht hervor: Auf die Kanzlerin kommt es an. In der Regierung. Im Wahlkampf wird die CDU das lieber nicht laut sagen. Allein wegen der Vorgeschichte. Mit dem Motto warb sie für Kurt Georg Kiesinger – den Kanzler der Großen Koalition.

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