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Israelisches Manöver nahe des Gaza-Streifens.

© Reuters

Konflikt in Israel: Steht die Region vor dem nächsten Gazakrieg?

Israel mobilisiert seine Truppen und bombardiert nicht nur strategische Ziele, sondern auch Wohnhäuser von führenden Hamas-Aktivisten. Währenddessen rüstet die Hamas auf. Deeskalation scheint kaum noch wahrscheinlich.

„Gaza brennt“ – so beschreibt ein Hamas-Sprecher die dramatische Lage. Und tatsächlich: Im und um den Gazastreifen herrscht begrenzter Krieg. Es wird (noch) nicht Mann gegen Mann in den engen Straßen von Gaza-Stadt gekämpft. Doch Israel gab Dienstagnachmittag eine 40 000 Mann umfassende Teilmobilisierung bekannt. Israels Luftwaffe bombardiert seit Dienstagmorgen ununterbrochen nicht nur strategische Ziele, sondern auch Wohnhäuser von führenden Hamas-Aktivisten. Israels Marine hat vor der Küste Stellung bezogen und beschießt Ziele in Gaza-Stadt.

Auch palästinensische Extremisten intensivieren ihren Raketenbeschuss der umliegenden israelischen Gebiete beinahe stündlich, die Hamas gab erstmals zu, dass sie ihre Abschussrampen zwischen höheren Wohnbauten in Gaza-Stadt platziert hätte. Bisher wurden die selbst hergestellten Kassam-Raketen und die vereinzelten Grad-Raketen mit größerer Reichweite und Zerstörungsgewalt – sofern sie in Wohnvierteln der Großstädte Beer Schewa, Aschkelon und Aschdod einzuschlagen drohten – meist von der israelischen Raketenabwehr „Iron Dome“ abgefangen und zerstört. Aber: In den geheimen Raketenarsenalen lagert eine unbekannte Anzahl weiterreichender Mittelstreckenraketen – vermutlich iranischer Bauart – , mit denen Israels dichtbevölkertes Zentrum, der Großraum Tel Aviv, attackiert werden könnte. Genau damit droht die Hamas, falls der Konflikt eskaliere.

Wie wahrscheinlich ist der Einsatz von Bodentruppen?

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der sich seit Dienstagmorgen im Verteidigungsministerium und Armee-Hauptquartier in Tel Aviv befindet, ordnete die Armee an, ihren Einsatz „bis zum Ende zu führen“. Dabei sei auch der Einsatz von Bodentruppen möglich. Doch weder Israels Regierungsspitze noch die Armeeführung strebt eine erneute Besetzung des Gazastreifens an – trotz Drucks der Ultranationalisten in der Regierung.

Netanjahu fürchtet für den Fall einer Bodenoffensive zweierlei: Erstens die eigenen Verluste und zweitens, dass er die bisher umfassende internationale Rückendeckung der Regierungen nicht nur der USA einbüßen könnte. Israel hatte zwar bisher Panzertruppen gegenüber dem Gazastreifen in Stellung gebracht und bis Montagabend 1500 Reservisten für seine Raketenabwehr und den Zivilschutz mobilisiert, doch nun ist die Teilmobilisierung der 40 000 angelaufen.

Was verspricht sich Israel vom militärischen Vorgehen?

Der frühere nationale Sicherheitsberater, der moderate Ex-General Giora Eyland, nannte mögliche Ziele eines Einmarsches: die geheimen Lagerstätten für Raketen mit mittlerer bis größerer Reichweite. Doch er wisse nicht, ob der militärische Nachrichtendienst tatsächlich Erkenntnis habe, wo sich die Lagerstätten befänden. Nur Nationalisten träumen von „ewiger Ruhe vor Raketen“ und der Vernichtung der Hamas. Selbst die leidgeprüfte und gestresste Bevölkerung in den attackierten Gebieten weiß, dass sie höchstens auf eine längere, vielleicht zwei bis drei Jahre andauernde Ruhepause hoffen darf. Wenn die Hamas die Macht im Gazastreifen abgeben müsste oder sich Israel und die palästinensische Führung auf irgendeine Art von Abkommen einigten, dann könnte dieser Konflikt der Letzte gewesen sein. Doch daran glaubt niemand.

Wie ist die Haltung der israelischen Bevölkerung zu diesem Einsatz?

Die jüdische Bevölkerung steht diesmal geschlossen hinter der Armee. Zwar hat sich das Alltagsleben in den bisher von den Raketen nicht bedrohten Regionen kaum verändert, die großen Ferien bestimmen das Leben von Kindern und Eltern. Doch zunehmend bietet die Bevölkerung im Norden derjenigen des Südens Hilfe in Form von Unterkünften an.

Die Hamas wird schwächer, doch ihr Raketenarsenal scheint riesig

Wie stark ist die Hamas?

Schwächer denn je. Politisch, finanziell und daher auch militärisch. Denn die Hamasführung hat sich mit ihrem Patron, dem Iran, zerstritten und erhält weder Geld noch Waffen aus Teheran. Mit Syriens Baschar al Assad hat man sich ebenfalls überworfen. Doch von alles entscheidender Bedeutung ist wohl der Umstand, dass sich Ägypten von der Hamas abgewendet hat. Unter der Präsidentschaft des Muslimbruders Mohammed Mursi waren die Verbundenheit noch groß. Doch nach dessen Sturz und der Machtübernahme der Militärs wendete sich das Blatt. Nun boykottiert die neue Führung in Kairo die Hamas. Die Grenze wurde weitgehend geschlossen, hunderte (Waffen-)Schmugglertunnel zerstört. Die Islamisten in Gaza sind inzwischen gewissermaßen Ägyptens Staatsfeinde.

Was steht für Mahmud Abbas auf dem Spiel?

Für Abbas geht es ums politische Überleben. Der Palästinenserpräsident hält sich diesmal auffallend zurück mit kriegerischen Erklärungen, belässt es bei Solidaritätsadressen. Vergangene Woche fanden in Gaza geheime Beratungen der Hamas mit anderen extremistischen Organisationen über die Bildung einer De-facto-Regierung für den Gazastreifen statt. Dies kommt dem Ende der „nationalen Aussöhnung“ zwischen Hamas und Fatah gleich. Abbas ist aber auch in der eigenen Bevölkerung nicht mehr wohl gelitten. Ihm wird vorgeworfen, zu weitgehend mit Israel zu kooperieren.

Droht ein palästinensischer Volksaufstand?

Nach einhelliger Meinung israelischer und palästinensischer Experten ist derzeit nicht mit einer Intifada zu rechnen, wohl aber mit örtlichen oder gar regionalen „Unruhen auf kleiner bis mittlerer Flamme“. Und die könnten israelische Sicherheitskräfte vermutlich in den Griff bekommen – auch wenn nach dem Tod von drei israelischen Jugendlichen und einem palästinensischen Teenager die Wut auf beiden Seiten groß ist.

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