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Atemnot. Auch Syriens Opposition wirft dem Regime vor, Chemiewaffen zu nutzen. Erst vor Kurzem soll in Ost-Ghouta Chlorgas zum Einsatz gekommen sein.

© Hamz al Ajweh/AFP

Konflikt in Syrien: UN-Kommission prangert Kriegsverbrechen an

Aushungern, Beschuss ziviler Einrichtungen und Giftgas: Ermittler der UN beklagen Kriegsverbrechen - verübt nicht nur vom Assad-Regime. Doch die Täter kommen nach wie vor straflos davon.

Der Chef der Internationalen Untersuchungskommission zu Syrien hält kurz inne. Dann bricht es aus Paulo Sérgio Pinheiro regelrecht heraus. „Wir veröffentlichen diesen Bericht in einem besonders dunklen Moment.“ Pinheiro prangert bei der Präsentation des nun schon 15. Syrien-Reports der Kommission am Dienstag in Genf vor allem die brachiale Gewalt in drei syrischen Gebieten an: Ost-Ghouta, Idlib und Afrin. Und er verlangt die Bestrafung der Kriegsverbrecher des 2011 ausgebrochenen Konflikts, in dessen Verlauf Schätzungen zufolge mehr als 400.000 Menschen getötet wurden.

Als jüngstes Beispiel von möglichen Kriegsverbrechen ging Pinheiro auf die „brutale Belagerung“ des Rebellengebiets Ost-Ghouta mit seinen knapp 400.000 Bewohnern ein. Trotz einer Waffenruhe, die der UN-Sicherheitsrat Ende Februar für ganz Syrien gefordert hatte, beschießen Einheiten des Regimes von Machthaber Baschar al Assad das eingeschnürte Gebiet vor den Toren von Damaskus weiter.

Angriffe auf Kliniken

Pinheiro zählte die Kriegsverbrechen auf, derer sich Assad im Verbund mit Russland schuldig gemacht hat: wahllose Angriffe auf Zivilisten und Einrichtungen wie Schulen und Kliniken, das Aushungern der Bevölkerung, die Weigerung, kranke und verwundete Menschen in Sicherheit zu bringen, sowie den Einsatz chemischer Waffen.

Über einen aktuell berichteten Angriff mit Giftgas auf Ost-Ghouta durch Regime-Einheiten konnte die Kommission, die im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates ermittelt, aber keine Angaben machen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London hatte die Meldung verbreitet.

Helfer unter Beschuss

Die Gewalt in dem Ort Duma in Ost-Ghouta zwang sogar einen Hilfskonvoi der UN und Partnerorganisationen am Montag zur vorzeitigen Rückkehr. Inmitten des Beschusses konnten die Helfer zehn der 46 Trucks überhaupt nicht entladen, vier Lkw wurden nur teilweise entladen. Zudem verweigerten die Assad-Behörden die Auslieferung dringend benötigter medizinischer Hilfsgüter wie Operationsbesteck und Insulin. „Rund 70 Prozent der Ladung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind abgewiesen worden“, betonte ein Sprecher.

Pinheiro, ein bekannter brasilianischer Menschenrechtsexperte, machte ebenfalls klar, dass die Taten von „Terroristen oder bewaffneten Gruppen“ in Ost-Ghouta als Kriegsverbrechen bezeichnet werden müssen. Sie feuern auf Damaskus, dabei kamen nach Erkenntnissen der UN-Ermittler etliche Zivilsten ums Leben oder wurden verstümmelt.

Nur: Die mutmaßlichen Kriegsverbrecher auf beiden Seiten kommen ungeschoren davon. „Die komplette Straffreiheit“ der Täter zieht sich laut Pinheiro wie ein roter Faden durch den Konflikt. Wie sollen die Gräuel juristisch aufgearbeitet und geahndet werden? Ein anderes Mitglied der UN-Kommission, Hanny Megally, äußerte die Hoffnung, dass die Syrer selbst nach Kriegsende die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen können.

Das Weltrechtsprinzip

Der ägyptische Menschenrechtsexperte ging zudem auf das sogenannte Weltrechtsprinzip ein. Gemäß diesem Prinzip könnte „den Tätern der Prozess gemacht werden“, sagte er. Das Weltrechtsprinzip besagt, dass Staaten Verfahren gegen mutmaßliche Täter einleiten dürfen, auch wenn der Tatort nicht auf ihrem Territorium liegt. In der Regel gilt es bei besonders schweren Straftaten wie Kriegsverbrechen oder Völkermord.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid Ra’ad al Hussein, hingegen plädiert für eine Überweisung des gesamten Syriens-Dossiers an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Doch seit Jahren blockiert die Vetomacht Russland im UN-Sicherheitsrat alle Initiativen, die Verbrecher nach Den Haag zu überstellen. Diese „Versuche, die Gerechtigkeit zu unterdrücken und die Kriminellen zu schützen, sind schändlich“, betont der Jordanier Seid.

Die Beweislast dürfte mittlerweile erdrückend sein. Die Pinheiro-Kommission erstellte etliche Listen mit mutmaßlichen Kriegsverbrechern und den ihnen zur Last gelegten Taten. Diese Listen bleiben jedoch vorläufig unter Verschluss. Hinter dem Namen Baschar al Assad stehen vermutlich besonders viele Einträge.

Jan Dirk Herbermann

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