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UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte an die Regierung Erdogans appelliert, die Kommunikation mit Syrien offen zu halten, um eine Verschärfung der Spannungen zu verhindern.

© AFP

Update

Konflikt mit Syrien: Türkisches Parlament billigt Militäreinsätze in Syrien

Im Konflikt mit Syrien hat sich der türkische Ministerpräsident grenzüberschreitende Militäreinsätze für ein Jahr vom Parlament genehmigen lassen. Auch am Donnerstagmorgen gingen die Angriffe auf Ziele in Syrien weiter, nachdem am Mittwoch Granaten fünf Menschen in der Türkei getötet hatten.

Als Reaktion auf einen tödlichen Granatenangriff hat das türkische Parlament grünes Licht für mögliche Militäreinsätze im Nachbarland Syrien gegeben. Gegen Stimmen aus der Opposition billigten die Abgeordneten mehrheitlich einen Antrag der Regierung, der für ein Jahr Einsätze auch über die Grenze hinweg erlaubt, berichteten türkische Fernsehsender am Donnerstag aus Ankara. Grundlage für den Antrag des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist ein Gesetz, das bisher schon grünes Licht für Einsätze gegen kurdische Rebellen im Nordirak gibt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere Politiker weltweit mahnten beide Länder zur Besonnenheit.

Nach Angaben eines ranghohen Beraters von Ministerpräsident Erdogan plant die Türkei keinen Krieg mit dem Nachbarland. „Die Türkei hat kein Interesse an einem Krieg mit Syrien. Aber die Türkei ist in der Lage, ihre Grenzen zu schützen und wenn nötig zurückzuschlagen“, erklärte Ibrahim Kalin am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die politischen und diplomatischen Initiativen würden fortgesetzt.

Das türkische Militär hat am Donnerstagmorgen auch seinen Angriff auf einen syrischen Militärstützpunkt nahe der Grenze fortgesetzt. Ziel sei erneut die Region um die Stadt Tal Abiad gewesen, die rund zehn Kilometer von der gemeinsamen Grenze entfernt liegt, hieß es in türkischen Sicherheitskreisen. Auch türkische Medien und syrische Aktivisten berichteten von diesen erneuten Angriffen. Mehrere Angehörige der syrischen Regierungstruppen seien getötet worden.

Der Konflikt in Syrien weitet sich seit Mittwoch gefährlich aus: Zum ersten Mal seit Ausbruch der Unruhen gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad im März vergangenen Jahres hatte es militärische Auseinandersetzungen zwischen Syrien und dem Nachbarland Türkei gegeben. Nachdem am Mittwochnachmittag fünf Zivilisten in dem südosttürkischen Grenzort Akcakale beim Einschlag syrischer Artilleriegeschosse ums Leben kamen, nahmen türkischen Einheiten am Abend mehrere Ziele in Syrien unter Beschuss. Bei dem Vergeltungsangriff der Türkei wurden nach Angaben einer Nichtregierungsorganisation mehrere syrische Soldaten getötet. Sie seien in der Nacht zum Donnerstag beim Beschuss eines syrischen Militärstützpunkts in der Grenzregion Rasm al-Ghasal nahe der Stadt Tal Abiad getötet worden. Die syrische Opposition berichtete am Donnerstag, es seien mindestens fünf syrische Soldaten getötet worden.

Die türkische Regierung schaltete die Nato ein, die noch am Mittwochabend zu einer etwa einstündigen Dringlichkeitssitzung in Brüssel zusammentrat. Der Nato-Rat hat der Türkei einhellig seine „Unterstützung“ zugesichert. Der Grenzzwischenfall wurde von den 28 Mitgliedstaaten „verurteilt“.

Der Rat bekräftigte seine Stellungnahme vom 26. Juni, nach der er die Lage in Syrien „genau beobachtet“. Die Grenzverletzungen durch Syrien wurden als „aggressive Handlungen“ verurteilt und als „Verstoß gegen das internationale Recht“ eingestuft. Die syrische Führung müsse die „Verletzung internationalen Rechts beenden“, forderte der Nato-Rat.

Im Video: Türkei greift Ziele in Syrien an

Die Beratungen wurden auf der Grundlage von Artikel 4 des Nato-Vertrags geführt, der für den Fall vorgesehen ist, dass ein Mitgliedstaat „die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit“ eines Nato-Landes als bedroht ansieht.

„Wir sind empört darüber, dass Syrier über die Grenze geschossen haben“, sagte US-Außenministerin Hillary Clinton. Die USA rechnen allerdings nicht mit einem Einsatz der NATO. Angesichts des geringen Ausmaßes des Beschusses zwischen den beiden Staaten wäre die Ausrufung des Bündnisfalls nicht angemessen, hieß es am Mittwochabend aus US-Regierungskreisen. Sollte die Gewalt aber eskalieren, dann könnte die Einschätzung demnach in Zukunft allerdings auch anders ausfallen.

Clinton sagte, alle „verantwortungsvollen Nationen” müssten sich nun zusammenschließen, um das Assad-Regime zu überzeugen, einem Waffenstillstand sowie dem Beginn einer politischen Machtübergabe zuzustimmen. Die Türkei dagegen hatte in den letzten Wochen immer wieder ein internationales militärisches Eingreifen in Syrien gefordert, vor allem die Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte Damaskus eindringlich auf, das Territorium seiner Nachbarn zu respektieren. Der Grenzzwischenfall zeige, „dass der Konflikt in Syrien inzwischen nicht mehr nur die Sicherheit des syrischen Volkes bedrohe, sondern auch die seiner Nachbarn”.

Die Türkei hatte sich zuvor bei dem UN-Generalsekretär über den syrischen Beschuss beschwert. Dieser hatte an die Türkei appelliert, die Kommunikation mit Syrien offen zu halten, um eine Verschärfung der Spannungen zu verhindern. Auch wandte sich die Türkei an den UN-Sicherheitsrat: In einem Brief an Ban Ki-Moon und den Sicherheitsratsvorsitzenden, Guatemalas Botschafter Gert Rosenthal, forderte Ankara den Sicherheitsrat auf, „die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um derartige aggressive Akte zu beenden und zu garantieren, dass Syrien die Souveränität, die territoriale Integrität und die Sicherheit der Türkei respektiert“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilt den Beschuss „aufs Schärfste“ . Die Bundesregierung rufe alle Beteiligte „zu großer Besonnenheit“ auf, sagte die Kanzlerin am Donnerstag nach einem Treffen mit dem jemenitischen Präsidenten Abd Rabbo Mansur adi in Berlin. „Wir stehen an der Seite der Türkei“, sagte Merkel. Auf allen Ebenen würden derzeit Kontakte zur Türkei unterhalten.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) verlangte von der Regierung in Damaskus eine Entschuldigung. „Wir fordern die syrische Regierung auf, sich für diese Gewalt zu entschuldigen“, erklärte Westerwelle am Mittwochabend in Paris unter Hinweis auf die Toten und Verletzten des Granatenbeschusses auf einen türkischen Ort an der Grenze zu Syrien. „Unser tief empfundenes Mitgefühl ist mit den Angehörigen der Opfer, unsere Genesungswünsche gelten den Verletzten“, erklärte Westerwelle. Die „erneute Verletzung der territorialen Integrität der Türkei aus Syrien“ sei „ein schwerwiegender Vorgang“. Westerwelle bat seinen türkischen Außenminister Ahmed Davutoglu nach eigenen Angaben, „bei aller verständlicher Empörung mit Besonnenheit und mit dem Blick für die außerordentlich gefährliche Lage in der ganzen Region zu handeln“.

Erdogan: "Die Türkei wird solche Provokationen niemals ungestraft lassen"

Der Grenzort Akcakale liegt nur wenige hundert Meter von der syrischen Grenze entfernt. In unmittelbarer Grenznähe wird auf syrischer Seite seit Wochen gekämpft; im September hatten Rebellen dort einen Grenzposten unter ihre Kontrolle gebracht. Seitdem schlugen hin und wieder Geschosse auf der türkischen Seite der Grenze ein, was bisher aber keine ernsteren Folgen hatte. Die türkischen Behörden gingen davon aus, dass es sich dabei um Querschläger handelte.

Das war nach Überzeugung der Regierung in Ankara am Mittwoch anders. Um etwa 16 Uhr 30 Uhr Ortszeit  gingen mehrere syrische Artilleriegranaten in Akcakale nieder und explodierten. Dabei kamen fünf Zivilisten ums Leben, mehrere andere Menschen wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Unter den Todesopfern befinden sich auch eine Mutter mit ihren drei Kindern. Sie sind die ersten türkischen Staatsangehörigen, die von grenzüberschreitendem Feuer der syrischen Armee getötet wurden. Die Bewohner der Stadt waren nach Auskunft ihres Bürgermeisters bereits in den letzten zehn Tagen ständig dem Gewehrfeuer und Querschlägern von syrischer Seite ausgesetzt. Alle hundert Schulen des Ortes waren deshalb vorsorglich geschlossen worden.

Türkische Militärs und Politiker kamen bei einer ersten Untersuchung des Vorfalls zu dem Schluss, dass es sich nicht um einen Zufall handelte. Auf die Frage, ob die türkische Regierung davon ausgehe, dass die Zivilisten bei einem gezielten Beschuss durch syrische Regierungstruppen ums Leben kamen, antwortete ein ranghoher türkischer Diplomat auf Anfrage des Tagesspiegels: „Ja.“

„Die Türkei wird solche Provokationen des syrischen Regimes, die unsere nationale Sicherheit bedrohen, niemals ungestraft lassen“, erklärte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.  „Dieser Angriff ist von unseren Streitkräften sofort erwidert worden.“ Die türkischen Streitkräfte feuerten  „auf Ziele entlang der Grenze, die mit Radar identifiziert“ worden waren. Schon im April hatte es im türkisch-syrischen Grenzgebiet Tote gegeben. Damals schossen syrische Truppen über die Grenze hinweg auf Flüchtlinge, die sich in der Türkei in Sicherheit bringen wollten. Zwei Syrer starben, mehrere türkische Beamte in einem nahen Flüchtlingslager wurden verletzt.

Vor vier Monaten hatte die syrische Luftabwehr bereits ein türkisches Aufklärungsflugzeug abgeschossen. Dabei kamen die beiden türkischen Piloten ums Leben. In der Grenzregion zur Türkei suchen inzwischen mehr als 100.000 syrische Flüchtlinge und Deserteure Zuflucht und leben größtenteils in Zeltlagern. Die „Freie Syrische Armee“ kontrolliert die meisten der Grenzübergänge zwischen beiden Staaten, über die die Kämpfer von türkischem Boden aus mit Waffen und Munition versorgt werden. Nach dem Abschuss des türkischen Flugzeugs warnte die türkische Regierung, jede Truppenbewegung der Syrer in der Nähe der Grenze werde ab sofort als Bedrohung aufgefasst und militärisch beantwortet. Der Artilleriebeschuss vom Mittwochabend war die erste Umsetzung dieser Warnung.

Der syrische Bürgerkrieg rückt auch näher an Israel heran: An der Waffenstillstandslinie auf den von Israel kontrollierten Golanhöhen versammelten sich am Mittwoch Dutzende bewaffneter Männer. Die israelischen Behörden versetzten daraufhin die Streitkräfte in der Region in Alarmbereitschaft und schlossen einen Ausflugspunkt.

Unterdessen sind bei einer Explosion und anschließenden Schüssen nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus am Donnerstag nach Aktivistenangaben 18 Mitglieder der Elitetruppe der Republikanischen Garde getötet worden. Die meisten Soldaten seien durch die Explosion getötet worden, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Die Kämpfe mit den Aufständischen dauern demnach an.  (mit dapd/Reuters/AFP)

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