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Die AfD Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland und Alice Weidel (M) stehen neben stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der AfD Bundestagsfraktion, (l-r) Tino Chrupalla, Beatrix von Storch, Roland Hartwig, Leif-Erik Holm und Peter Felser.

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Konstituierende Sitzung: Die AfD ist im Bundestag angekommen

Jetzt sitzt die AfD im deutschen Parlament. Das ist eine Herausforderung für die anderen Parteien – und auch für die eigenen Abgeordneten. Wie wollen sie miteinander umgehen?

„Hier sind wir jetzt drin“, sagt der neue AfD-Bundestagsabgeordnete leise. Götz Frömming blickt an der Fassade des cremefarbenen Bauwerks hinauf, schaut auf die massiven grauen Säulen, die den Eingang zieren. „Ausgerechnet in so einem neofaschistischen Bau!“ Es ist der Mittwoch der vergangene Woche und die AfD bezieht das neue Quartier in der Dorotheenstraße 93, das die Bundestagsverwaltung ihr zugewiesen hat, zumindest vorläufig. In der Eingangshalle bleibt Frömming noch einmal vor einer Informationstafel stehen. Das Gebäude, steht da, sei ein „Erweiterungsbau des Reichsinnenministeriums“ gewesen, gebaut 1937. „Ja, ausgerechnet“, sagt Frömming noch einmal.

Vier Wochen ist es her, dass die AfD mit 12,6 Prozent als drittgrößte Fraktion in den Bundestag einzog. „Wir werden sie jagen“, hatte der spätere AfD-Fraktionschef Alexander Gauland auf der Wahlparty in den Jubel gerufen. Vier Wochen parlamentarische Arbeit hat die 92-köpfige AfD-Fraktion also bereits hinter sich, hat sich eine Satzung gegeben, ihren Vorstand gewählt und mit der Bundestagsverwaltung über die Räume verhandelt. Vier Wochen hatten auch die anderen Parteien Zeit, sich auf das erste Zusammentreffen vorzubereiten: die konstituierende Sitzung des Bundestages an diesem Dienstag.

Wo liegt das Konfliktpotenzial?

Es gilt als sicher, dass es gleich zu Anfang Streit geben wird. Ein wichtiger Tagesordnungspunkt ist die Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter. Auch der AfD steht ein solcher Vize-Posten nach der Geschäftsordnung zu. Doch bereits kurz nachdem die AfD den 75-jährigen Albrecht Glaser zu ihrem Kandidaten bestimmt hatte, kündigten mehrere Abgeordnete von Union, SPD, Grünen, Linken und FDP an, ihn nicht wählen zu wollen. Glaser war bereits Kandidat der AfD bei der Bundespräsidentenwahl gewesen. Marco Buschmann, der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, bezeichnete Glasers Positionen als „Zumutung“.

Was ist der Grund für die Ablehnung?

Die anderen Parteien werfen Glaser vor, Muslimen das Grundrecht auf Religionsfreiheit abgesprochen zu haben. So hatte der frühere Frankfurter Stadtkämmerer mehrfach gesagt, dass der Islam eine politische Ideologie und keine Religion sei. Im April verkündete er in einer Rede: Der Islam sei „eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit nicht kennt und die sie nicht respektiert. Und die da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt.“ Wer so mit einem Grundrecht umgehe, dem müsse man dieses Grundrecht entziehen.

Fraktionschef Gauland will trotz des Widerstands an Glaser festhalten – ihn auch erneut aufstellen, wenn er im ersten Wahlgang scheitert. Alle in der AfD würden in Bezug auf den Islam so denken wie Glaser. Es gibt keinen Ersatzkandidaten.

Bleiben die Parteien bei ihrer Ablehnung?

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles hat Glaser einen Brief geschrieben und ihn gefragt, ob er noch immer zu seinen Aussagen stehe. „Wir werden niemanden wählen, der die Werte unseres Grundgesetzes nicht achtet“, sagte sie der „Bild am Sonntag“. Bislang wartete Nahles vergeblich auf eine Antwort von Glaser. Dieser erklärte jetzt am Rande der AfD-Fraktionssitzung am Montag, er habe den Brief erst „auf Umwegen“ erhalten. Weil die AfD-Fraktion noch keine Büros gehabt hätte, als der Brief am 9. Oktober abgeschickt wurde, habe er bislang unbemerkt in einer Kiste geschlummert. Er bot Nahles ein persönliches Gespräch an. Es sei eine Fehlinterpretation, seine Aussagen als Angriff auf die Religionsfreiheit der in Deutschland lebenden Muslime auszulegen. Glaser bezeichnet sich selbst als „Musterdemokrat“.

Die Linken-Fraktion hat sich bei ihrer Fraktionsklausur darauf geeinigt, Glaser einstimmig abzulehnen. SPD, Union, Grüne und FDP werden die Entscheidung wohl ihren Abgeordneten selbst überlassen. Es ist absehbar, dass eine große Mehrheit Glaser durchfallen lässt – zumindest in den ersten zwei Wahlgängen. Im dritten Wahlgang ist nicht mehr die Mehrheit der Abgeordneten, sondern nur noch eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen notwendig, um gewählt zu werden. Würden sich die anderen Parteien zumindest teilweise enthalten, könnte die AfD Glaser alleine wählen. Sollte Glaser komplett durchfallen, so spekuliert man in der AfD, werde das Thema immer wieder hochkochen – und der Partei Aufmerksamkeit bescheren.

Ähnlich war das im Jahr 2005 gewesen. Damals hatte die Linkspartei Lothar Bisky für das Amt des Vizepräsidenten aufgestellt. Ohne Vorwarnung weigerte sich die Mehrheit der Abgeordneten in der konstituierenden Sitzung, ihn zu wählen – in allen drei Wahlgängen. Auch in einem vierten Wahlgang zwei Wochen später scheiterte er. Frühere Stasi-Kontakte sollen der Grund gewesen sein. Die Nicht-Wahl sorgte allerdings für eine große Solidarität mit Bisky außerhalb des Parlaments. Der Spiegel schrieb sogar von einem „Propaganda-Erfolg“. Erst ein halbes Jahr später präsentierte die Linke Petra Pau als nächste Kandidatin – die dann mit großer Mehrheit gewählt wurde.

Wie können die Parteien mit der AfD umgehen?

Ein Fehler, glaubt Fedor Ruhose, wurde im Umgang mit der AfD bereits gemacht. Der Geschäftsführer der rheinland-pfälzischen SPD-Fraktion hat ein Diskussionspapier zum Umgang mit der Partei veröffentlicht. Es sei falsch gewesen, eine „parlamentarische Gepflogenheit, nämlich die Auswahl des Alterspräsidenten nach dem Alter, aus Angst vor der AfD“ zu opfern, sagte er dem Tagesspiegel. Diese „Lex AfD“, nach der statt des ältesten der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident wird, war noch in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet worden. Sonst würde jetzt der 77-jährige AfDler Wilhelm von Gottberg dieses Amt bekleiden. Er ist wegen seiner Haltung zum Holocaust umstritten. Die AfD will in der konstituierenden Sitzung beantragen, die Geschäftsordnung wieder zurück zu ändern.

Der Plenarsaal vor der konstituierenden Sitzung des Bundestages.
Der Plenarsaal vor der konstituierenden Sitzung des Bundestages.

© dpa

Aus Sicht von Ruhose ist es auch falsch, die AfD auszugrenzen und zu sagen: „Über die Themen, die die AfD in die politische Debatte einbringt, rede ich nicht.“ Diese Strategie habe bereits in den Landtagen nicht funktioniert. Hinter einigen Punkten, die die Partei anspricht, liege immerhin ein in der Bevölkerung vorhandenes Unbehagen. „Wenn ich dieses Unwohlsein verdamme, schaffe ich nur einen Solidaritätseffekt zwischen der AfD und den Leuten, die die Partei aus Enttäuschung gewählt haben.“ Dennoch müssten die Parteien scharf reagieren, wenn rote Linien überschritten würden, beispielsweise in Sachen Erinnerungskultur. „Andere Provokationen sollten übergangen werden – denn lässt man sich auf diese ein, ist man genau da, wo die AfD einen haben will.“

Dass die AfD nun im Parlament sitzt, hat aus Sicht von Ruhose für die anderen Parteien nicht nur Nachteile: „Wir haben die Unzufriedenheit mit bestimmten Zuständen in der Gesellschaft, die Demokratie- und Parteienskepsis, die seit Jahrzehnten vorhanden ist, jetzt im Parlament sitzen.“ Das sei eine Chance zur Auseinandersetzung.

Wie findet sich die AfD im parlamentarischen Betrieb zurecht?

Die neue AfD-Fraktion stellte sich vergleichsweise geräuschlos auf. Bis auf eine Ausnahme verzichtete man darauf, bekennenden Anhängern des Rechtsaußen Björn Höcke einen Posten im Fraktionsvorstand zu geben. Und nach Ex-Parteichefin Frauke Petry und ihrem Vertrauten Mario Mieruch gab es auch keine weiteren Fraktionsaustritte mehr. Man bemüht sich jetzt, so schnell wie möglich, Mitarbeiter einzustellen.

Doch die AfD-Abgeordneten müssen erkennen, dass der parlamentarische Betrieb dröge sein kann. Am vergangenen Mittwoch machte sich nach mehreren Fraktionssitzungen Müdigkeit breit. Schon am Vortag haben sie scheinbar endlos über die Satzung, die Räumlichkeiten und den Posten des Fraktionsgeschäftsführers diskutiert. Jetzt geht es wieder um Formalien. Eigentlich haben alle die entsprechenden Unterlagen bekommen, doch viele haben sie nicht gelesen. Weshalb die Dinge jetzt noch einmal in der großen Runde debattiert werden. „Sachkostenzuschüsse!“, stöhnt ein Abgeordneter nur noch, bevor er sich mit dem Rollkoffer auf den Weg zum Bahnhof macht.

Für Unmut in der AfD mitunter die Raumverteilung. Weil die Bundestagsverwaltung nicht so schnell hinterherkommt, für alle Abgeordneten des angewachsenen Bundestages Büros zur Verfügung zu stellen, müssen sich bei der AfD derzeit jeweils zwei Abgeordnete einen Raum teilen – theoretisch sogar noch mit ihren mindestens zwei Mitarbeitern. Während viele in der Fraktion Verständnis zeigen, schimpfen manche über „Schikane“. Einer ätzt, dass man es bei den Flüchtlingen mit der Unterbringung doch auch hinbekomme.

Der Berliner Abgeordnete Götz Frömming, der zu den Gemäßigten in der Fraktion zählt, steht am vergangenen Mittwoch vor der braunen Holztür seines Büros und steckt den Schlüssel ins Schloss. Kurz muss er ruckeln, dann merkt er, dass gar nicht abgeschlossen ist. In der Raummitte steht ein einsamer Schreibtisch, ein noch in Plastik gehüllter Stuhl. „Sonnenseite?“, fragt Frömming. Dann schüttelt er den Kopf. Leider nicht. Das Fenster öffnet er trotzdem gleich mal. Den Mief des letzten Jahrhunderts rauslassen. Was ist das jetzt für ein Gefühl für ihn? „Komisch. Dass man hier arbeiten, das Volk vertreten soll ... Es dauert wohl noch ein bisschen, bis die Seele hinterherkommt.“

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