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Freiheit feiern. Albaner bejubeln Kosovos künftige Souveränität. Foto: dpa

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Politik: Kontrollierte Unabhängigkeit

Das Kosovo wird offiziell selbstständig, doch die Nato-Friedenstruppe bleibt.

Pristina - Der Ferrari-Fahrer lässt den Motor laut aufheulen, als er vor dem „Gresa“ vorbeifährt. Von den Gästen auf der Restaurantterrasse verziehen einige kurz das Gesicht, weil der Lärm ihren Redefluss unterbricht. Ansonsten interessiert sie der rote Sportwagen nicht. Er ist schließlich nicht der einzige in Pristina. Vor dem „Gresa“ halten allerdings eher Geländewagen oder solide Klein- und Mittelklassewagen. Es gehört zu den Lieblingsadressen der Expats, der vielen ausländischen Experten im Kosovo. Allein die EU hat fast 2000 Richter, Staatsanwälte und Polizisten für den Aufbau des Rechtssystems geschickt, und auch die UN, die die frühere serbische Provinz bis zur Unabhängigkeitserklärung vor vier Jahren verwalteten, sind weiter vertreten. Ihre Mission wurde bis heute nicht offiziell aufgehoben, weil Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennt und mit Russland im UN-Sicherheitsrat einen gewichtigen Unterstützer hat.

Seit Montag immerhin können die Mitarbeiter von Pieter Feith ihre Koffer packen. Der frühere niederländische Diplomat fungierte seit 2008 als eine Art Oberaufseher der Anerkennerstaaten, vor allem der USA und der EU. Feith konnte Gesetze blockieren und sogar Minister absetzen. Gebraucht hat er seine Befugnisse allerdings nie, denn die Kosovaren haben in den vergangenen Jahren peinlich darauf geachtet, die Vorgaben der Unterstützerstaaten zu erfüllen. Dazu gehörte vor allem der Schutz der serbischen Minderheit, die 130 000 der rund gut zwei Millionen Einwohner des Kosovo stellt. Noch in der vergangenen Woche hat das Parlament die letzten Gesetze zur Dezentralisierung verabschiedet. Damit waren die Voraussetzungen erfüllt, um den Überwachungsstatus zu beenden, was am Montag offiziell vollzogen wurde. „Wir sind heute ein anderes Land“, sagte Außenminister Enver Hoxhaj, „es gibt sechs serbische Gemeinden, die sich selbst verwalten. Das wäre vor fünf Jahren noch unvorstellbar gewesen.“

Pieter Feith bescheinigte den Kosovaren am Montag, sie hätten nun mehr einen wichtigen Schritt in Richtung EU getan. Erst einmal wurde in Pristina aber das bisher Erreichte gefeiert. Der frühere finnische Präsident Martti Ahtisaari war nach Pristina gekommen, er hatte den Plan für die überwachte Unabhängigkeit geschrieben. Auch der deutsche Spitzendiplomat Wolfgang Ischinger war dabei, er hatte den letzten Versuch unternommen, eine einvernehmliche Lösung zwischen Belgrad und den früheren Unabhängigkeitskämpfern in Pristina zu vermitteln.

Die früheren Kämpfer stehen nun auch an der Spitze des Staates. Es gelingt den ehemaligen Kommandanten der UCK, der kosovarischen Befreiungsarmee, allerdings nur schwer, den Seitenwechsel in die Politik glaubwürdig erscheinen zu lassen. Premier Hashim Thaci wurden schon 2005 in einem BND-Bericht beste Kontakte zur organisierten Kriminalität bescheinigt, in einem Bericht des Europarats wird er außerdem schwerster Kriegsverbrechen beschuldigt. Konkret geht es um den Vorwurf, die UCK habe im Kosovo-Krieg serbische Kriegsgefangene getötet, ihnen Organe entnommen und diese dann verkauft. Eine Sondereinheit der europäischen Rechtsstaatsmission Eulex befasst sich mit dem Fall. Doch die hat auch ein Jahr nach ihrer Gründung nichts vorzuweisen, und so stehen die monströsen Vorwürfe weiter im Raum.

Eulex wird auch im nun weitgehend souveränen Kosovo im Land bleiben. Ebenso wie die Kfor-Friedenstruppe. Die musste ihre Kräfte zuletzt sogar aufstocken, weil die serbische Minderheit im Norden des Kosovo Grenzposten angegriffen hatte und immer wieder Barrikaden errichtet, um zu verhindern, dass Polizeieinheiten von Eulex und den Kosovaren die Kontrolle über die Posten übernehmen.

Im Auswärtigen Amt heißt es, man werde die Entwicklung des Landes „weiterhin sehr intensiv beobachten“. An der Arbeit von Eulex werde sich nichts ändern. Europäische Ermittler und Richter könnten demnach weiter eigenständig gegen korrupte Politiker vorgehen. Doch das sehen die Kosovaren anders. Außenminister Enver Hoxhaj machte bereits deutlich, dass sich die Mission mehr auf ihre beratende Rolle beim Aufbau des Rechtssystems konzentrieren solle. „Und im Bereich organisierte Kriminalität und Kriegsverbrechen sollen die Richter und Staatsanwälte von Eulex künftig nicht mehr allein handeln, sondern gemeinsam mit kosovarischen Behörden.“

Viel ändern würde sich dadurch aber wohl tatsächlich nicht. Selbst europäische Diplomaten in Pristina sprechen von chaotischen Zuständen bei Eulex. Die Auswirkungen sind verheerend: Der frühere Verkehrsminister Fatmir Limaj, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, musste im Mai wegen formaler Verfahrensfehler freigesprochen werden. Der einzige Zeuge der Anklage starb unter mysteriösen Umständen in Deutschland. Dass Limaj wegen Korruptionsvorwürfen weiter vor Gericht steht, dürfte für die Opfer kein Trost sein. Ulrike Scheffer

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