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Politik: Konzentration der Kräfte

Von Tissy Bruns

Die SPD hat ihre Regierungspersonalien geklärt, und obwohl es erstens wieder anders kam, ist es zweitens trotzdem gut. Die wichtigste Entscheidung: Franz Müntefering, bisher im Denken der SPD als Fraktionschef unentbehrlich, wird Vizekanzler neben Angela Merkel. Er folgt damit einer Dynamik der großen Koalition, die Gerhard Schröder und er selbst von Anfang an beschworen haben: Die soll man dann auch wirklich wollen, nicht nur müssen. Die Lösung überzeugt, weil sie einfach ist. Wenn die beiden Vorsitzenden der Unionsparteien am Kabinettstisch sitzen, kann der SPDChef nicht nur den Zuchtmeister der eigenen Leute geben wollen. Er muss selbst auf die große Bühne.

Auch sonst belegt Münteferings Ministerliste, dass die Not – und die Personalnot der SPD bei den Jüngeren ist notorisch – in der Politik manchmal zu erstaunlichen Resultaten führt. Sie diszipliniert nämlich, zwingt zur Konzentration der Kräfte und lenkt den Blick nach vorn. Es nimmt weder das letzte Aufgebot der Altvorderen noch eins der linken Traditionstruppen die Ministerplätze ein, im Gegenteil. Mit Peer Steinbrück, Ulla Schmidt, Wolfgang Tiefensee und Frank-Walter Steinmeier präsentiert die SPD ein Personalpaket der Reformer, dazu kann man auch Brigitte Zypries und Sigmar Gabriel rechnen. Mit Tiefensee und Gabriel zeigt sie im Kabinett mehr Zukunft, als man ihr zugetraut hat. Und sie hat mit Matthias Platzeck, der im November in die SPD-Spitze aufsteigen dürfte, mit Olaf Scholz und Andrea Nahles noch Reserven, die sich in den nächsten Jahren entwickeln und dann nach vorn rücken können. Nach Bewährung in verantwortlichen Aufgaben, ohne die kräftezehrenden Machtkämpfe vorheriger SPD-Generationen.

Der große Trumpf aber heißt Steinmeier. Er steht als vormaliger Chef des Kanzleramts unmissverständlich in der Kontinuität von Schröders Reform- agenda und kennt auf allen Ebenen die Tücken des Geschäfts, namentlich den Jahrmarkt ministerieller Eitelkeiten. In seiner bisherigen Rolle hat Steinmeier eindrucksvoll gezeigt, dass er sich der weit verbreiteten Ruhmsucht kühlen Kopfes zu entziehen weiß. Es ist also ein Unternehmen von besonderem Reiz, wenn der knapp 50-Jährige als Außenminister den Job mit dem größten Popularitätspotenzial übernimmt. Wer daraus etwas macht, ist für alles gut.

Kein Schritt nach vorn ohne Verlust. Was zeigt sich daran, dass die SPD die Verantwortung für Bildung und Familie an die Union abgegeben hat? Wenn es um die Macht geht, dann bleibt es wohl doch dabei: Frau und Familie – nur Gedöns. Die SPD hat sich einen kurzsichtiger Verzicht erlaubt. Weit und breit ist keine SPD-Politikerin in Sicht, die die temperamentvolle Familienministerin Renate Schmidt ersetzen könnte. Kein Angebot für die berufstätigen Frauen, die gern Mütter wären. Keines für die Mütter, die gern berufstätig wären. Und keines für berufstätige Mütter. Nebenbei ist das eine ziemlich große Wählergruppe, bei der die SPD ihre Vorrangstellung keineswegs gepachtet hat.

Kein Schritt nach vorn ohne Risiko. Ob die SPD und ihre Bundestagsfraktion die große Koalition wollen oder nur zähneknirschend mitmachen, ist mit dieser Kabinettsliste nicht entschieden. Franz Müntefering wird SPD-Vorsitzender bleiben. Er sollte sich gelegentlich ins Gedächtnis rufen, dass die SPD nicht vom Brot allein leben mag, was heißt: nicht nur vom Regieren.

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