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Politik: Kopf oder Zahl

Marianne Birthler erhob unbelegte Stasi-Vorwürfe gegen die neue Linksfraktion im Bundestag – die fordert jetzt ihren Rücktritt

Von Matthias Meisner

Berlin - Marianne Birthler ärgert sich über sich selbst. Dabei hat die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen nur fordern wollen, was sie immer fordert: eine freiwillige Überprüfung aller Bundestagsabgeordneten auf eine frühere Tätigkeit für den DDR-Geheimdienst. Für diesen „Akt der politischen Hygiene“ gibt es, argumentiert Birthler, gute Gründe: Eine immer neue Aktenlage in ihrer Behörde lasse es auch sinnvoll erscheinen, Abgeordnete zu überprüfen, die schon mal durchleuchtet worden sind. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel fügte Birthler hinzu: „In allen Fraktionen ist ein beachtlicher Teil der Abgordneten neu im Bundestag.“

Doch diesmal hat sich Birthler im Eifer des Gefechts angreifbar gemacht. Denn sie garnierte ihre am Freitag pünktlich zur Konstituierung der Linksfraktion erhobene Forderung mit einer konkreten Zahl. „Mindestens sieben“ Abgeordnete der aus PDS und WASG zusammengesetzten Fraktion seien als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi bekannt, sagte sie, ohne Namen zu nennen. Später musste sie zugeben, tatsächlich gewählte Abgeordnete und „aussichtsreiche Wahlkandidaten“ verwechselt zu haben. „Ich freue mich, diese Zahl infolge des Wahlergebnisses nach unten korrigieren zu können, und hoffe, dass es dabei bleibt“, redete Birthler sich den Fehler schön. Birthler hatte das Interview mit der „Mitteldeutschen Zeitung“ persönlich autorisiert. Der Vorgang sei „keine Lappalie“, verlautete aus der Behörde. Birthler erklärte am Sonntag, sie hätte „besser überhaupt keine Zahlen genannt, denn diese ziehen zwangsläufig Fragen nach den Namen nach sich“. Über die wiederum gebe sie „grundsätzlich keine Auskunft“.

Für die Linkspartei wurde der Vorstoß Birthlers zur Steilvorlage. Wahlkampfchef Bodo Ramelow forderte den Rücktritt der Behördenchefin. Auch andere Abgeordnete der Linken sahen sich in ihren Vorurteilen gegenüber der Aktenwächterin bestätigt. Die Stasi-Überprüfung habe sich in den vergangenen Jahren „mehr und mehr zu einem Kampfinstrument“ entwickelt, betonte der frühere PDS-Fraktionschef Roland Claus. Linkspartei-Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke, selbst früherer DKP-Funktionär, sagte, er wäre „sehr einverstanden“, wenn die Bundestagsabgeordneten auf Kontakte zu Geheimdiensten überprüft werden sollen – dann aber auch auf eine Mitarbeit etwa bei BND, CIA oder Verfassungsschutz. „Was Birthler will, ist eine Lex Linkspartei.“ In der vergangenen Wahlperiode hatten sich 381 von 603 Abgeordneten freiwillig überprüfen lassen – in keinem Fall gab es einen Hinweis auf Stasi-Mitarbeit.

Mit Stasi-Vorwürfen konfrontiert waren in der Vergangenheit etwa der neue Linksfraktionschef Gregor Gysi, der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky und der frühere Vizechef der PDS, Diether Dehm. Alle drei haben eine inoffizielle Stasi-Mitarbeit bestritten. Bisky etwa sagte: „Ich kann ja eine Karteikartenregistrierung nicht bestreiten, aber sie ist auch kein unumstößlicher Beweis.“ Als unumstritten gilt nur der Fall des sächsischen Bundestagsabgeordneten Ilja Seifert. Er gibt eine frühere Stasi-Mitarbeit zu – und wurde trotzdem gewählt. Um auf die Zahl sieben zu kommen, musste Birthler auf den Kandidatenlisten ziemlich weit nach hinten gehen. Sie dachte etwa an „IM Heiner“, den ehemaligen Rektor der Berliner Humboldt-Universität, Heinrich Fink. Fink hatte in Mecklenburg-Vorpommern Listenplatz sechs. Gewählt worden sind dort bei einem Stimmanteil von 23,7 Prozent aber nur drei Abgeordnete. Um Fink in den Bundestag zu bringen, hätten die Linken im Nordosten etwa 45 Prozent der Stimmen bekommen müssen.

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