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Politik: Koran publico

Von Caroline Fetscher

Vergangenen September wurde in Berlin ein Mädchen eingeschult, die Tochter junger Muslime aus Südosteuropa. Nennen wir sie Aisha. Am ersten Schultag hieß der Charlottenburger Schuldirektor jeden ABC-Schützen beim vollen Namen willkommen. Selbstverständlich auch Aisha. Zu Hause berichtete das Mädchen, erstaunt über sich selbst, vor Glück habe sie weinen müssen, als der Direktor ihren Namen nannte. Kann man denn, fragte sie unsicher und fast beschämt, vor Glück weinen? Man kann, beruhigten die Erwachsenen. Ihnen war der Inhalt von Aishas Freude, die das Kind nicht in Worte fassen konnte, ganz klar: Ab jetzt darf ich dazugehören, und ich darf lernen. Beides genießt das begabte Mädchen seither mit Verve, und hoffentlich hat unsere Gesellschaft in Aisha eines Tages eine wertvolle Bürgerin. Doch das liegt weitaus weniger an diesem Kind, sondern an den Bedingungen, die es vorfinden wird.

Aishas Freudentränen sind keine erdichtete Pädagogensentimentalität. Die Begebenheit ist Wort für Wort wahr – genau so wahr, wie ihre soziale und emotionale Botschaft für uns alle signifikant ist. Wie lange geht es gut mit Hunderttausenden von Kindern wie Aisha nach dem ersten Schultag? Was passiert, wenn sie anfangen, sich „anders“ zu fühlen, zum Beispiel weil „Evangelen und Katholen“ in ihren jeweiligen Religionsunterricht abschwirren, während muslimische Schüler auf der Pausenbank sitzen, nur um am Nachmittag in der Koranschule in einem Hinterhofgebäude einem Hodscha oder Imam lauschen, der ihnen, je nach Gusto und Ideologie, Gutes oder Halbgares, Ängstigendes oder Kriminelles eintrichtert. Das ist die Praxis der Gegenwart. Und ein Sprengsatz für die Zukunft.

Sollen sich die hier lebenden dreieinhalb Millionen Muslime zu Deutschland dazugehörig fühlen, wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sein Ziel eines „Gesellschaftsvertrags“ mit den Muslimen formuliert, sollen sie sich als angenommen, aufgenommen, ernst genommen und in die Pflicht genommen auffassen, beginnt der Weg zum Ziel mit der Schule. Dem Innenministerium leuchtet das ein. Schule ist der erste Ort, an dem der Staat mit seinen noch unmündigen Bürgern in Interaktion tritt. Hier erfahren sie Angebote und Ansprüche, Inspiration oder Ermutigung, Inklusion oder Exklusion. Sie finden zu Selbstverantwortung oder in ein chaotisches Trainingscamp zur Sabotage ihrer Selbst und anderer, was nicht wenige „Halt“ bei dubiosen Autoritäten im informellen Sektor finden lässt.

Koran-Unterricht an staatlichen Schulen und auf Deutsch: Das gehört zentral zum Gesellschaftsvertrag, den das Innenministerium anstrebt. Ziel des Dialogs mit den muslimischen Dachorganisationen, um die Schäuble jetzt aktiv wirbt, soll unter anderem dieser Religionsunterricht sein, unter staatlicher Aufsicht, durch hier ausgebildete Religionslehrer. Die Initiative als „rechts“ zu bemäkeln, wäre kontraproduktiv, politisch dumm. Was immer vernünftig und notwendig im Sinne von „Not wendend“ ist, muss dringend geschehen. Um zu erreichen, dass sich Muslime in „Einklang mit unserer demokratischen Verfassungsordnung befinden“, scheut Schäuble keine Tabus. Zur geplanten Islamkonferenz will er sogar die vom Verfassungsschutz beobachteten Radikalen der Gruppe Milli Görüs laden. Warum? Er hat keine Wahl. Und er erkennt das. Solange kaum einer staatlichen Institution transparent ist, wie die Trends zur Radikalisierung ganzer Teile der Gesellschaft aussehen, muss maximale Inklusion am Anfang solcher Gespräche stehen.

Abzusehen ist ohnehin das Gerangel der islamischen Communitys untereinander, die ja mangels Kalifat – der Kalif war in etwa das Pendant zu einem Papst –, also mangels Zentralautorität, zersplittert sind in viele, teils sektiererisch agierende Einheiten. Doch der Islam in Deutschland müsse die entscheidenden Grundwerte unserer Verfassung akzeptieren, erklärt der Bundesinnenminister, und fügte hinzu: „Sonst wird das nichts.“ Das finden übrigens auch die Eltern von Aisha.

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