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Politik: „Korruption ist ein ernsthaftes Problem“

Der Fortschrittsbericht zum EU-Beitritt der Türkei betont auch viele Mängel. Heute wird er vorgestellt

Das Militär übt immer noch erheblichen Einfluss auf türkische Institutionen aus. Zu diesem Schluss kommt die EUKommission in ihrem Fortschrittsbericht zur Beitrittsfähigkeit der Türkei, der dem Tagesspiegel vorliegt. An diesem Mittwoch wird EU-Kommissar Günter Verheugen diesen zusammen einer Studie zu den Auswirkungen des Beitritts auf die EU vorstellen. In dem Bericht erkennt die EU-Kommission an, dass die Türkei in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht hat, was eine funktionierende Demokratie, stabile staatliche Einrichtungen, Rechtsstaatlichkeit, die Garantie von Menschenrechten sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten angeht. Gleichzeitig werden jedoch erhebliche Mängel beschrieben.

Einfluss des Militärs: Mit verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Maßnahmen ist er zwar generell zurückgedrängt worden. Dennoch üben Militärs durch „verschiedene informelle Mechanismen“ weiter Macht auf gesellschaftliche und politische Einrichtungen und Entwicklungen aus. Zudem ist das Militär teilweise demokratischer Kontrolle entzogen.

Justiz: Die Unabhängigkeit der Justiz wird zwar durch die Verfassung garantiert. Tatsächlich befinden sich Richter und Staatsanwälte in enger Abhängigkeit vom Justizministerium. Es besteht die Gefahr, dass die Rechtsprechung durch die Androhung einer Versetzung in unattraktive Regionen beeinflusst wird. Außerdem ist der Oberste Gerichtshof sowohl finanziell als auch personell abhängig vom Justizministerium.

Korruption: Sie ist immer noch ein ernsthaftes Problem in allen Bereichen von Politik und Gesellschaft. Die zur Korruptionsbekämpfung eingesetzten Gremien sind zu schwach und wenig wirkungsvoll. Hohe politische Stellen sollten mehr Unterstützung leisten.

Folter und Misshandlungen: Auch wenn die Regierung Folter und Misshandlungen nicht toleriert, sondern bestraft, gibt es zahlreiche Fälle, in denen Menschen gefoltert und misshandelt werden. Besonders Gefangene sind starken Repressionen ausgesetzt. Noch im Dezember 2003 war fast die Hälfte aller türkischen Gefängnisinsassen in Untersuchungshaft.

Meinungsfreiheit: Immer noch gibt es eine erhebliche Zahl von Festnahmen und Verfahren wegen gewaltfreier Meinungsäußerung. Die politischen Reformen sind nicht überall umgesetzt.

Pressefreiheit: Nach Angaben der türkischen Schriftsteller-Vereinigung wurden in den ersten sechs Monaten 2004 bereits 18 Bücher verboten.

Religionsfreiheit: Trotz der in der Verfassung garantierten Religionsfreiheit müssen nicht-muslimische Religionen immer noch gegen große Widerstände kämpfen.

Frauen: Sie sind immer noch Opfer vieler Formen der Gewalt, haben mangelhafte Bildungschancen und sind in den politischen Gremien unterrepräsentiert.

Kinder: Kinderarbeit ist noch immer an der Tagesordnung. Das Recht auf Bildung wird hingegen nicht respektiert.

Vereinigungsfreiheit: Die Türkei hat bisher weder die Organisationsfreiheit noch das Streikrecht der europäischen Sozialcharta akzeptiert.

Während die Beitrittsverhandlungen laufen, werden regelmäßig Fortschrittsberichte der EU-Kommission vorgelegt. Sollte die EU-Kommission zu dem Schluss kommen, dass der Demokratisierungsprozess ins Stocken gerät, sollen die Beitrittsverhandlungen ruhen. So will die EU ein Druckmittel in der Hand behalten.

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