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Die EU zeigte sich über die Entwicklungen in der Türkei besorgt.

© dpa

Korruptionsaffäre Türkei: Wie belastet ist das Verhältnis zur Europäischen Union?

Die Kritik am türkischen Premier Tayyip Erdogan und seinem Umgang mit der Korruptionsaffäre wächst – im eigenen Land und in der EU. Was bedeutet das für das Verhältnis zu Europa?

Auch so kann man Zeichen setzen. In einer seiner ersten Amtshandlungen hat der neue türkische EU-Minister Mevlüt Cavusoglu, die EU verwarnt. Europa solle bei Aussagen über die Türkei einseitige Parteinahmen vermeiden, sagte Cavusoglu, der auch Chefunterhändler bei den Beitrittsgesprächen seines Landes in Brüssel ist. Zuvor hatte sich die EU angesichts des Umgangs der Regierung mit dem Korruptionsskandal besorgt gezeigt. Unterdessen wächst der Unmut in Erdogans Regierungspartei AKP. Einige Beobachter sehen den Anfang vom Ende der Ära Erdogan gekommen.

Wie stark sind die Spannungen zwischen der türkischen Regierung und der EU?

Cavusoglu hat vor einigen Tagen das Amt des EU-Ministers von Egemen Bagis übernommen, der in den Strudel der Korruptionsaffäre geraten war. Istanbuler Staatsanwälte gehen dem Verdacht nach, dass sich der iranische Geschäftsmann Reza Zarrab mit hohen Schmiergeldern die Unterstützung der Regierung für einen schwunghaften Goldhandel sicherte. Auch Ex-Minister Bagis soll mit Zarrab in Kontakt gestanden haben.

Bisher galt Cavusoglu als entschiedener Europa-Anhänger in der Führungsetage der Erdogan-Partei AKP. Doch als frisch gebackener EU-Minister in Erdogans „Kriegskabinett“, wie die neue Ministerriege wegen des politischen Drucks auf den Premier in der Presse genannt wird, schlug Cavusoglu EU-skeptische Töne an.

Er antwortete damit auf Kritik aus Brüssel. EU-Erweiterungskommissar Stefan Fülé hatte von einer „wachsenden Sorge“ angesichts der Entwicklungen in der Türkei gesprochen. Cavusoglu forderte nun die EU bei Kommentaren zur türkischen Innenpolitik zur Zurückhaltung auf. Die Türkei bleibe dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet.

Der Außenexperte und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andreas Schockenhoff, sprach sich aber dagegen aus, die Gespräche mit der Türkei aufgrund der Spannungen abreißen zu lassen. Es sei auch im europäischen Interesse, dass sich das Land an der Grenze zur arabischen Welt nicht zum Unsicherheitsfaktor entwickle. „Wir müssen deshalb alles unterstützen, was freie Medien, eine unabhängige Justiz und die rechtsstaatliche Aufarbeitung politischer Skandale ermöglicht“. Außerdem müsse die Türkei, nachdem die Beitrittsverhandlungen zur EU gegenwärtig auf der Stelle träten, „noch enger in die europäische Sicherheitsstruktur eingebunden werden als in der Vergangenheit“.

Hat Recep Tayyin Erdogan noch genug Unterstützer?

Der Regierungsstil des Premiers und sein Umgang mit dem Korruptionsskandal erzeugen immer mehr Unmut in der Regierungspartei AKP, die dem Ministerpräsidenten bisher treu ergeben war. Sieben Parlamentsabgeordnete sind in den vergangenen Wochen aus Protest gegen Erdogan aus der Partei ausgetreten. Zwar ist das angesichts einer AKP-Mehrheit von immer noch 320 der 550 Mandate im Parlament keine Gefahr für den Premier. Doch der öffentlich demonstrierte Missmut ist ungewöhnlich für eine Partei, in der Loyalität zum Chef das höchste Gut ist.

Bei vielen konservativen Türken bleibt Erdogan beliebt; in den Umfragen liegt die AKP nach wie vor bei 50 Prozent, allerdings sind die jüngsten Entwicklungen in der Korruptionsaffäre von der Demoskopie bisher nicht ausgewertet worden. Das Thema Korruption ist für Erdogan sehr heikel, da er mit seiner AKP angetreten war, die Bestechlichkeit von Politikern und Bürokraten zu bekämpfen. Nun hat Erdogan mit peinlichen Enthüllungen zu kämpfen. Etwa mit der Nachricht, dass der Direktor einer staatlichen Bank mehrere Millionen Euro zu Hause in Schuhkartons deponiert hatte.

Kurz vor den Kommunalwahlen Ende März ist die AKP deshalb angeschlagen; laut einigen Anfragen ist es zumindest denkbar, dass die Partei die Herrschaft über Istanbul, die bei weitem größte Stadt des Landes, sowie das Sagen im Rathaus der Hauptstadt Ankara verlieren könnte. Sollte das tatsächlich geschehen, stünde Erdogan vor dem Scheitern.

Erdogan-Gegner wie die Demonstranten, die sich am Freitagabend in der Istanbuler Innenstadt versammelten und von der Polizei auseinandergetrieben wurden, verlangen seit langem den Rücktritt des Ministerpräsidenten. Zuletzt stellte sogar der wegen der Korruptionsaffäre zurückgetretene Bauminister Erdogan Bayraktar diese Forderung.

Möglicherweise zeigt die wachsende Unzufriedenheit inzwischen bei Erdogan Wirkung. Er betonte am Sonntag, er werde immer und überall gegen Korruption vorgehen, selbst wenn die Vorwürfe seine eigenen Kinder betreffen sollten. Erst vor wenigen Tagen war Erdogans Sohn Bilal im Zusammenhang mit den Korruptionsermittlungen genannt worden.

Die wirtschaftlichen Folgen der Affäre könnten die Türkei hart treffen

Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Affäre?

Die Lira stürzt ab, ausländische Investoren werden skeptisch: Es sieht nicht gut aus für die Wirtschaftsmacht Türkei. Einen offenen Disput mit Europa kann sie sich eigentlich nicht leisten. Die türkische Wirtschaft ist mit den EU-Ländern eng verwoben. Neben Deutschland als wichtigstem EU-Handelspartner sind Frankreich und Italien die größten Lieferanten und Abnehmer türkischer Produkte. Knapp die Hälfte aller türkischen Ausfuhren gehen in die EU. Der Außenhandel mit der EU hat allerdings zuletzt deutlich an Dynamik eingebüßt. Im Jahr 2012 sanken die Exporte der Türkei leicht auf ein Volumen von insgesamt knapp 48 Milliarden Euro, der Import aus der EU in die Türkei stieg um 2,9 Prozent auf gut 75 Milliarden Euro. In den Jahren zuvor hatten Im- und Export in die EU noch zweistellig zugelegt. Das Land, das auf zwei Kontinenten liegt, gilt als Bindeglied zwischen Europa und Asien und Brückenkopf in die islamische Welt – für Investoren eigentlich höchst attraktiv.

Wie engagiert sich die deutsche Wirtschaft in der Türkei?

Deutschland ist der größte Abnehmer türkischer Exportwaren, rund zehn Milliarden Dollar – das sind fast neun Prozent aller Ausfuhren des Landes – flossen in die Bundesrepublik. Auf der Rangliste der wichtigsten Lieferländer fiel Deutschland 2013 knapp auf Platz drei hinter China und Russland zurück. Die deutschen Exporte in die Türkei erreichten in den ersten neun Monaten ein Volumen von 17,8 Milliarden Dollar und machten 9,5 Prozent aller türkischen Importe aus.

Hatten zur Jahrtausendwende erst 500 deutsche Firmen eine türkische Niederlassung, sind es heute 5600. Jedes Jahr kommen rund 500 neue Firmen hinzu. Damit gehört Deutschland zu den größten ausländischen Investoren. Infrage stellen mag sein Engagement bislang niemand. Der deutsche Reifenspezialist Conti investierte mehrere Millionen Euro in eine Schlauchfabrik im türkischen Cerkezköy. Die Türkei, heißt es aus dem Unternehmen, bleibe weiterhin ein wichtiger Zukunftsmarkt, weil alle Investitionen „mittel- und langfristige Ziele“ verfolgten.

Besonders attraktiv sind für deutsche Firmen das rasante Wachstum der türkischen Bevölkerung und der Wirtschaft – so zum Beispiel für den deutschen Versicherer Allianz, die Daimler-Tochter Mercedes Benz Türk oder auch Deutschlands größten Handelskonzern Metro. (mit HB)

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