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Kosovo: Angst vor dem Gang über die Brücke

In Mitrovica im Norden des Kosovo teilen die Fluten des Flusses Ibar nicht nur die Stadt, sondern seit 1999 zwei Völker und Welten - kritisch beäugen sich Serben und Albaner. Die Gefahr eines Gewaltausbruchs gilt noch als gering.

Streng wacht der ferne Schutzherr über den Norden der geteilten Stadt. Das Konterfei von Wladimir Putin prangt in Nord-Mitrovica in Schaufenstern, auf Häuserwänden und Verkehrsschildern. „Russland hilf uns !“, fordert ein Banner im Zentrum der Stadt im Norden des Kosovo. „Kosovo bleibt immer serbisch“, erklärt in der Wirtsstube des „Hotel Nr.1“ der lokale Parlamentsabgeordnete Marco Jaksic. Nach der Meinung des Parteifreunds des serbischen Premiers Vojislav Kostunica wird Russland im UN-Sicherheitsrat die Unabhängigkeit des Kosovo niemals anerkennen. Und mit verdüsterter Miene fügt der nationalistische Volksvertreter hinzu: Genauso schnell, wie Serbien 1999 den Großteil des Kosovo verloren habe, könne es ihn „auf kriegerischem Weg“ binnen weniger Monate wieder zurückgewinnen.

Die Unabhängigkeit des seit 1999 international verwalteten Kosovo scheint nach dem Scheitern der Verhandlungen über dessen künftigen Status unausweichlich. Doch für die 40 000 Bewohner des fast vollständig von Serben besiedelten Nordens der Armutsregion bleibt die Loslösung vom Mutterland auch acht Jahre nach Ende des Kosovokrieges unvorstellbar.

In Mitrovica teilen die Fluten des Flusses Ibar nicht nur die Stadt, sondern seit 1999 zwei Völker und Welten. Über Parkplatzbrachen und Imbissstuben prangt im Süden von Mitrovica der albanische Doppeladler. Von den Fassaden der ergrauten Wohnsilos im Schatten der Berge im Norden flattern serbische Trikoloren. Seine Wohnung im Süden stehe leer, er müsse nun in einer Mietwohnung hausen, erregt sich am Nordufer des Ibar der 55-jährige Mica Jovanovic: denn für einen Serben sei der Gang über die Brücke „viel zu gefährlich“. Angst vor der Zukunft habe er dennoch keine, versichert der bärtige Vertriebene: „Wenn uns die 16 000 ausländischen Soldaten nicht schützen, werden wir das eben selbst tun.“

Trotzige Durchhalteparolen sind angesichts der erwarteten endgültigen Abspaltung der mittlerweile zu 95 Prozent von Albanern bewohnten Provinz in Serbiens Frontstadt wieder einmal angesagt. „Die Leute bereiten sich auf einen Angriff vor, putzen ihre Flinten, organisieren Verteidigungsringe“, berichtet in Nord-Mitrovica ein Familienvater, der seinen Namen lieber nicht genannt haben will. Die „Unterstützung von Russland“ habe in der Stadt für eine „neue Romantik“ gesorgt: „Viele Serben wollen kämpfen.“

186 Versuche gewalttätiger Übergriffe wurden in den letzten acht Jahren auf der von UN-Polizisten patrouillierten Ibar-Brücke registriert: Zumeist gingen sie vom albanischen Südufer aus. Die Brücke hatten am vergangenen Wochenende denn auch die Kameras von über drei Dutzend ausländischen Fernsehsendern fest im Visier. Doch die erwarteten Provokationen blieben zum offiziellen Abschluss der gescheiterten Kosovoverhandlungen aus. „Keine besonderen Vorkommnisse“, kann lächelnd ein UN-Polizist aus Pakistan auf der Brücke vermelden: „In meinem Land ist die Lage kritischer.“

Gewaltausbrüche seien im Kosovo „immer möglich, aber nie spontan“, erachtet am Nordufer auch der liberale Serbenführer Oliver Ivanovic die Gefahr von neuen Auseinandersetzungen „derzeit für relativ gering“. Zum einen seien die internationalen Kfor-Truppen und die UN-Polizei auf etwaige Konflikte „viel besser vorbereitet“ als noch vor einigen Jahren. Zum anderen gebe es auf albanischer Seite im Moment keinen nennenswerten Politiker, der an Unruhen Interesse habe: „Dazu steht Pristina jetzt international viel zu stark unter Beobachtung.“

Nicht nur die Satellitenschüsseln der Wohnsilos von Nord-Mitrovica sind strikt nach Serbien ausgerichtet. Politisch gilt die Zukunft des Nord-Kosovo zwar als ungewiss, doch eine langfristige Zementierung der Teilung innerhalb der Provinz als wahrscheinlich. Er erwarte nach der Unabhängigkeit keine Änderung der Situation, sagt in Pristina der Politologe Ilir Dugolli. Der Norden werde sich weiter selbst verwalten, aber rechtlich ein Teil des Kosovo sein. Die Institutionen des Kosovo würden wohl darauf verzichten, die Durchsetzung ihrer Ansprüche auf den serbischen Norden zu forcieren: „Pristina hat in dieser Frage keinen großen Manövrierraum. Und das ist vielleicht auch gut so.“ An Abspaltungsszenarien glaubt Dugolli nicht: „Eine Teilung würde niemand anerkennen – und Serbien nur in Schwierigkeiten bringen.“

Thomas Roser[Mitrovica]

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