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Eine Krankenschwester des Universitätsklinikums Greifswald neben dem Intensivbett eines Covid-19-Patienten.

© dpa/Jens Büttner

„Kräfte aufs Äußerste angespannt“: Wie die Kliniken auf immer mehr Covid-19-Patienten reagieren

Auf den deutschen Intensivstationen ist die Corona-Lage unterschiedlich: Einige Verantwortliche sind alarmiert, andere sehen sich auch künftig gut gerüstet.

Auf deutschen Intensivstationen geht die Zahl der freien Betten stetig zurück – Stand Mittwoch gab es knapp 5300 verbleibende Intensivbetten, wie aktuelle Daten im „Intensivregister“ des Robert-Koch-Instituts und der DIVI zeigen. Infizieren sich mehr Menschen mit dem Coronavirus, kommen in der Regel mit wenigen Wochen Verzögerung auch mehr Covid-19-Patienten mit schweren Krankheitsverläufen auf die Intensivstationen – und müssen dann oftmals von Pflegern versorgt werden, deren Zahl begrenzt ist.

Rund 2300 Covid-19-Patienten werden aktuell auf deutschen Intensivstationen beatmet – das sind weit mehr als die Hälfte der gesamten Corona-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, wie die aktuellen Zahlen zeigen. Diese Zahlen sagen allerdings wenig über die Situation auf den Stationen aus.

So bleibt offen: Wie ist die Lage dort? Kommen die Ärzte und Pfleger bereits an ihre Grenzen? Haben sich bereits Pfleger infiziert oder fallen krankheitsbedingt aus? Was wäre, wenn sich noch mehr Menschen mit dem Coronavirus infizieren? In einer Umfrage hat der Tagesspiegel zum zweiten Mal Kliniken in Deutschland zur Situation auf den Intensivstationen befragt – und Antworten von mehreren Krankenhäusern zur Situation vor Ort erhalten. 

Wie bereits Ende Oktober angekündigt, haben einige Kliniken medizinisch nicht dringend notwendige Operationen verschoben und Helfer wie Studierende mit Pflegeausbildung ins Boot geholt, um die Kontrolle über die Situation während der Pandemie zu behalten.

Doch einige Kliniken melden auch Erkrankte und mit dem Coronavirus infizierte Pfleger und Mitarbeiter. Mehrmals fällt das Wort „angespannt“, wenn es um die aktuelle Situation geht; um die Frage, ob auch genug Ärzte und Pfleger da sind, um Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen zu versorgen. Die Stimmen der Kliniken im Einzelnen:

Dresdner Mediziner: „Keinesfalls“ darf die Zahl der Neuinfektionen steigen

Holger Ostermeyer, Sprecher des Universitätsklinikums Dresden, erklärt, die Personalsituation im Krankenhaus sei durch einen saisonal bedingten, „hohen Krankenstand“ angespannt. Derzeit sei etwa jeder zehnte Pfleger erkrankt. Bisher könnten alle Schichten auf den Intensivstationen abgedeckt werden, nachdem Stationen geschlossen, planbare Operationen verschoben und Pfleger aus anderen Bereichen umgeschichtet wurden.

Eine Krankenpflegerin geht den Gang auf der Corona-Intensivstation im Universitätsklinikum Dresden entlang.
Eine Krankenpflegerin geht den Gang auf der Corona-Intensivstation im Universitätsklinikum Dresden entlang.

© dpa/Sebastian Kahnert

Auch Studierende mit Pflegeausbildung helfen dem Sprecher zufolge vereinzelt im Klinikum aus. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums warnte erst vergangene Woche: Keinesfalls dürfe die Zahl der Neuinfektionen weiter steigen. „Sonst droht auch in Deutschland eine Situation wie in vielen unserer Nachbarländer. Dort sind die Intensivkapazitäten am Limit angelangt, Schwerkranke können nicht mehr behandelt werden.“

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Alarmiert durch die Fallzahlen zeigt man sich bereits an der Berliner Charité: „Wir haben unsere Aktivitäten in anderen Bereichen schon signifikant heruntergefahren“, sagte Vorstandsvorsitzender Heyo K. Kroemer am Montag in Berlin.

Immer mehr Mitarbeiterinnen positiv getestet

Doch die Versorgung der mehr als 100 Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen spanne die Kräfte der Charité auf das Äußerste an – bei insgesamt 400 freien Intensivbetten, die maximal zur Hälfte belegt werden dürfen. Laut Kroemer müssten die Infektionszahlen sinken, damit die Charité mit der Belastung auf den Intensivstationen „wirklich fertig werden“ könne.

In dem hessischen Universitätsklinikum Gießen und Marburg zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Dresden: „Wir behandeln schon seit mehreren Wochen deutlich mehr Patientinnen mit Covid-19-Infektionen als zu den Spitzenzeiten der ersten Welle“, schreibt Klinikumssprecherin Christine Bode in einer Mail.

„Generell beobachten wir, wie viele andere Kliniken auch, dass mehr Mitarbeiterinnen positiv getestet werden und als Kontaktpersonen von Quarantänemaßnahmen betroffen sind.“ Die Infektionen unter den Mitarbeitern würden das Klinikum aber bislang nicht an seine Grenzen bringen. Auch im Universitätsklinikum Gießen und Marburg seien Ärzte und Pfleger für die Behandlung von Covid-19-Patienten umgeschichtet worden, indem die Verantwortlichen medizinisch nicht notwendige Operationen verschoben haben.

Auf der Covid-19-Station im Universitätsklinikum Leipzig wird ein schwerkranker Patient geröntgt.
Auf der Covid-19-Station im Universitätsklinikum Leipzig wird ein schwerkranker Patient geröntgt.

© dpa/Waltraud Grubitzsch

Knappes Personal unter Intensivpflegern in Göttingen, wenn Fallzahlen steigen

Sollten die Fallzahlen von Covid-19-Patienten noch einmal stark ansteigen, rechnen Verantwortliche der Universitätsmedizin Göttingen mit einer „Personalknappheit unter intensivmedizinisch ausgebildeten Pflegekräften“, wie Kliniksprecher Stefan Weller schriftlich mitteilt. Derzeit hätten sich die Corona-Fallzahlen auf den Intensivstationen jedoch „auf einem stabilen Niveau eingependelt“, die Stadt und der Landkreis seien insgesamt „moderat“ von Corona-Infektionen betroffen.

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In den letzten sieben Tagen haben sich in dem Landkreis knapp 40 Menschen pro 100.000 Einwohner neu infiziert, wie ein Blick auf aktuelle Tagesspiegel-Zahlen zeigt. Bundesweit liegt diese 7-Tage-Inzidenz bei knapp 150. Abgesehen von den moderat hohen Corona-Zahlen gebe es in dem Göttinger Klinikum „keine gesamtkritische Situation“.

Für Stefan Kluge, Intensivmediziner am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), ist die Lage auf der Intensivstation „gut zu beherrschen“. Am Mittwoch seien insgesamt 40 Covid-19-Patienten in der Klinik versorgt worden: 21 auf der Intensivstation, 19 auf der Normalstation.

Asymptomatische Mitarbeiter in Hamburg nachweislich infiziert

Die vielen Neuinfektionen in Hamburg würden sich aber auch beim UKE-Personal spiegeln: „Immer wieder werden auch vereinzelte UKE-Mitarbeitende positiv auf SARS-CoV-2 getestet – teilweise haben sie vorher Symptome gezeigt, teilweise waren sie asymptomatisch.“

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Es sei davon auszugehen, dass sich die Mitarbeitenden im privaten Bereich angesteckt haben. Falls mehr als die 140 Intensivbetten und 128 Beatmungsplätze gebraucht würden, „wäre zusätzliches Personal dort erforderlich“. Dann würde ein Stufenplan greifen, bei dem Mitarbeitende aus anderen Bereichen in der Intensivmedizin eingesetzt würden.

Auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf verschiebt weiterhin planbare Operationen wegen der Corona-Pandemie.
Auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf verschiebt weiterhin planbare Operationen wegen der Corona-Pandemie.

© dpa/Christian Charisius

Vergangene Woche kamen auch Ärzte und Pfleger des Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikums beim US-Fernsehsender CNN zu Wort. Bettina Schade, Oberschwester auf der Covid-19-Station erklärte: „Natürlich haben wir alle die Angst, dass wir es vielleicht irgendwann nicht mehr schaffen und eine Situation wie in Italien haben könnten, in der Patienten draußen in Autos sitzen, weil sie mit Sauerstoff behandelt werden.“

Zuletzt gab es beunruhigende Meldungen aus dem Klinikum, nach denen 15 von insgesamt 16 Intensivbetten samt Beatmungsgeräten von Corona-Patienten belegt waren. Kliniksprecherin Theresa Decker schrieb in einer Mail, es fehlen „immer auch einige Mitarbeitende, die als Kontaktpersonen ersten Grades in häuslicher Quarantäne sind“. Auch hier sei die Personalsituation zwar „angespannt“, aber beherrschbar.

Gut vorbereitet gibt sich die Universitätsmedizin Mainz, wie aus den Antworten des Kliniksprechers Tasso Enzweiler hervorgeht: „Zum Glück sind bisher nur wenige Mitarbeiter in Quarantäne, wir sind noch nicht an unsere Kapazitätsgrenzen gestoßen.“ Die Klinik habe außerdem so vorgesorgt, dass man auch mit steigenden Infektionszahlen fertig werden würde. „Natürlich gibt es eine Grenze, aber von der sind wir noch ein ganzes Stück entfernt.“ Derzeit würden Medizinstudenten im Krankenhaus aushelfen. 

Intensivmediziner fürchtet mehr Neuinfektionen wegen geplanten Lockerungen

Dass Sprecher und Geschäftsleitungen von Kliniken die Situation auf den Intensivstationen in der Regel eher besser beurteilen, ist nicht verwunderlich – das sagte bei der ersten Klinikumfrage Ende Oktober zumindest Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv und Notfallmedizin (DIVI). Es mache einen Unterschied, ob man mit den jeweiligen Ärzten und Pflegern vor Ort redet – die allerdings auch schwerer zu fassen sind.

Janssens zeigte sich zuletzt besorgt über die bevorstehenden Lockerungen der Kontaktbeschränkungen über Weihnachten: „Bei allem Verständnis für Weihnachten und Familienfeiern müssen wir leider befürchten, dass in der Folge der partiellen Aufhebung der Einschränkungen um Weihnachten wieder ansteigen.“

Was den Intensivstationen in deutschen Kliniken blühen wird, wenn Weihnachten und Neujahr mit den gelockerten Kontaktbeschränkungen vorbei sind, wird sich noch zeigen – spätestens, wenn die Corona-Infektionen stark steigen.

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