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Krankenvericherung: Private Vorsorge

Die privaten Krankenversicherer wollen sich nicht länger damit abfinden, dass ihre Kosten weiterhin unbegrenzt steigen. Was fordern sie?

Den privaten Krankenversicherern steht das Wasser bis zum Hals. Seit Jahren steigen ihre Ausgaben deutlich stärker als die der gesetzlichen Krankenkassen. Mediziner, Krankenhäuser , Labore und Pharmakonzerne halten sich bei ihnen immer ungenierter für anderweitig entgangene Einnahmen schadlos. Und jedes neue Spargesetz „birgt die Gefahr, dass sich die Leistungserbringer den privat Versicherten noch intensiver zuwenden“, wie der Direktor des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV), Volker Leienbach, konstatiert. Im Sommer kommt wieder eines, das Arzneimittel-Spargesetz, und die Privaten haben das nun zum „Testfall“ erklärt. Sie wollen nicht mehr aufs Bezahlen reduziert bleiben, sondern wie die gesetzlichen Kassen mit den Anbietern über Preise, Leistungsmengen und Qualität verhandeln dürfen. Und so erstmals die Kosten mitbeeinflussen.

Man brauche endlich einen wirksamen Hebel, um „zum Beispiel ungesunde Anreize zur Mengenausweitung, etwa bei teuren Labor- oder Röntgenuntersuchungen“ zu beenden, forderte Leienbach am Freitag in Berlin. Mehr Menge bedeute in der Medizin ja nicht unbedingt mehr Qualität. Bisher habe ihm keiner erklären können, weshalb die Laborleistungen für Privatpatienten viereinhalbmal so teuer seien wie die für Kassenpatienten. Und bei identischer, industriell gefertigter Arznei seien die enormen Preisdifferenzen genauso unverständlich. Angesichts der geplanten „staatlich verordneten“ Kostensenkung für Kassenmedikamente drohe die Gefahr, dass der Abstand zu den Privaten noch größer werde. „Es kann nicht sein, dass die Pharmabranche dazu eingeladen wird, ihre Ausfälle teilweise bei uns zu kompensieren.“

Im konkreten Fall müsse zweierlei geändert werden, sagte Leienbach: Arzneimittelgesetz und Versicherungsvertragsgesetz. Bislang finde sich in letzterem bloß der Passus, dass die PKV zahlungspflichtig ist, solange „kein auffälliges Missverhältnis“ zwischen Leistung und Preis bestehe. „Da muss dringend der Begriff der Angemessenheit rein“, drängt Leienbach. Und bei der neu zu erstellenden Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte benötige man Öffnungsklauseln für abweichende Verträge. Seine Forderung an Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP): einen „stabilen gesetzlichen Rahmen“ für ein Verhandlungsmandat – samt „Verpflichtung der Beteiligten, gemeinsam auch Ergebnisse zu erzielen“.

Weil das Eingeständnis, die Preise drücken zu müssen, mit einem Renommeeverlust einhergehen könnte, hat der Verband seinen Vorstoß mit einer Umfrage garniert, der zufolge bei den Privaten ansonsten alles zum Besten steht. Die Kapitaldeckung jedenfalls, so Leienbach, habe sämtliche Finanzkrisen unbeschadet überstanden. Die gesetzlichen Kassen dagegen seien stärker denn je „auf Milliardenhilfen des Staates angewiesen“. Selbst unter den GKV-Versicherten, die davon profitierten, befürworte nur ein Drittel die Zuschüsse aus dem Steuersäckel.

Außerdem fühlten sich die privat Versicherten in ihrem System wohl. 94 Prozent äußerten sich zufrieden, die gesetzlichen Kassen kamen nur auf 88 Prozent. Bei der Befragung aller zusammen bescheinigten 54 Prozent der PKV, aber nur 21 Prozent der GKV „hervorragende Leistungen“. Und das Finanzierungsmodell der Privaten mit kapitalgedeckten Altersrückstellungen hätten sogar 56 Prozent der gesetzlich Versicherten als „einleuchtend“ bezeichnet, freute sich Leienbach. Dass die Kosten solcher Kapitaldeckung bei der Emnid-Umfrage nicht thematisiert wurden, räumte der Verbandsdirektor erst auf Nachfrage ein. Auch nach der Bereitschaft, für solche Kapitaldeckung mehr zu bezahlen, wurde nicht gefragt. Ob sich die Zustimmungswerte im Vergleich zu früher geändert haben, ließ er ebenfalls offen. Und dass sich die Zahl der Beschwerden beim Ombudsmann für die private Kranken- und Pflegeversicherung zwischen 2003 und 2008 fast verdoppelt und im vergangenen Jahr nochmals um zehn Prozent erhöht hat, spielte er herunter. Es handle sich um etwas mehr als 5000 Beschwerden, sagte der Direktor. Angesichts mehrerer hundert Millionen Leistungsfälle im Jahr sei das „immer noch verschwindend gering“.

Bleibt das Problem der gewaltig steigenden Beiträge. Viele Versicherte machten derzeit leider diese Erfahrung, sagt selbst Leienbach. Es gebe „wachsende Unruhe“. Und die ist ansteckend. Auch Unionspolitiker erinnern bereits mit Nachdruck daran, dass es sich bei den 8,7 Millionen privat Versicherten nicht nur um Spitzenverdiener, sondern auch um kleine Beamte und Selbstständige handle, die ihre Prämienerhöhungen „nicht mehr schultern“ könnten. Man müsse den Versicherern deshalb „Spielräume zur Kostensenkung“ eröffnen, finden Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) und CDU-Experte Jens Spahn. FDP-Experten sehen es ähnlich.

Rösler dagegen hat bisher nur vage zugesagt, die Forderungen prüfen zu lassen. Der Minister weiß natürlich, dass sich Ärzte und andere Anbieter mit Vehemenz dagegenstemmen werden. Und vielleicht ahnt er auch, dass ihm eine um Preise verhandelnde PKV an anderer Stelle zu schaffen machen könnte. Das Krankenkassensystem, so hat Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe beim Ärztetag in Dresden diagnostiziert, sei „beweisbar unterfinanziert“. Es funktioniere nur noch so gut, weil es privat Versicherte und Selbstzahler subventionierten. Führten die privaten Anbieter nun die „Usancen“ der GKV bei sich ein, werde die gesamte Gesundheitsversorgung darunter leiden – und „schnell an Qualität verlieren“. Dann hätte auch Rösler, der erklärtermaßen kein zusätzliches Geld lockermachen will, ein Problem.

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