zum Hauptinhalt
314016_0_eec06c47.jpg

© dpa

Krankenversicherung: Kasse kostet

Die gesetzlichen Krankenversicherer fürchten die drohenden Zusatzbeiträge selbst – die Kunden könnten ihnen davonlaufen.

Berlin - So grundstürzend neu, dass sie die politische Aufregung erklären könnten, sind die Zahlen nun wirklich nicht. Auf vier Milliarden Euro hat der sogenannte Schätzerkreis das voraussichtliche Defizit der gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr beziffert. Das sind gerade mal 450 Millionen mehr als in der Oktoberschätzung. Hinzu kommt, dass die Prognose überaus vage ist, denn die Experten aus Bundesversicherungsamt, Krankenkassen und Gesundheitsministerium haben nur die drohenden Ausgaben neu hochgerechnet. Die erwarteten Kasseneinnahmen für 2010 ließen sie der Einfachheit halber auf dem alten Stand. Man wolle hierzu, so entschuldigten sie sich, erst noch aktuellere Prognosen von Regierung und Instituten abwarten.

Was die neue Defizitrechnung so brisant macht, ist etwas anderes: Enttäuschte Hoffnung. Die meisten Kassenexperten hatten erwartet, dass sich die Aussichten zum Jahresende doch ein wenig bessern. Und der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hatte geradezu damit gepokert. Die Krankenkassen zeichneten ein viel zu düsteres Bild, lautete sein Standardargument vom ersten Amtstag an. „Wir gehen davon aus, dass das Wachstum besser wird als erwartet“, sagt er auch jetzt noch. Dass die Kassen im harten nächsten Jahr immer noch auf erwirtschaftete Überschüsse zurückgreifen könnten. Und dass man „sehr gelassen bleiben“ müsse in der Frage der Zusatzbeiträge.

Richtig daran ist, dass die meisten Versicherten, die solche Aufschläge dann ohne Arbeitgeber stemmen müssen, noch eine kleine Gnadenfrist haben. Ins neue Jahr will erklärtermaßen keine der großen Krankenkassen damit starten. Doch dass es bei manchem Anbieter bereits zum Februar so weit sein könnte, ist in der Branche ein offenes Geheimnis. „Wir planen das nicht, schließen es aber auch nicht aus“, sagte etwa DAK-Sprecher Frank Meiners dem Tagesspiegel. Betroffen wären in diesem Fall rund 4,6 Millionen Mitglieder.

Und wenn der Zug erst einmal gestartet ist, springen auch andere auf. Im Laufe des Jahres, so prognostiziert die designierte Chefin der neuen Barmer/GEK, Birgit Fischer, müssten wohl so gut wie alle Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben. Definitiv ausgeschlossen haben dies fürs kommende Jahr bislang nur zwei große Versicherer: Die AOK Rheinland/Hamburg und – „unter den momentanen Bedingungen“ – die AOK Thüringen/Sachsen. Und nur eine ganz kleine, die Bremische hkk, ging noch weiter und versprach ihren 219 000 Mitgliedern wegen eines „Rekordüberschusses“ für 2010 sogar eine Rückerstattung von 60 Euro im Jahr.

Von der ministeriell erwünschten Gelassenheit ist in der Branche folglich wenig zu spüren. Die Kassen treibt die Sorge um, dass ihnen die Zusatzbeiträge gar nicht viel helfen – wegen des dann drohenden Mitgliederschwunds. Zwar hätten Wechsler bei anderen Anbietern über kurz oder lang ebenfalls Aufschläge zu erwarten. Doch ein Ausdruck des Protests wäre die Kündigung allemal, und nach einer Umfrage des Forschungsinstituts Iges wären dazu auch 62 Prozent der Kassenmitglieder grundsätzlich bereit.

So dringen die Kassen nun noch stärker auf etwas, was die neue Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung nicht interessiert hat: Kostendämpfung. Diese sei „das Gebot der Stunde“, findet der Chef der KKH- Allianz, Ingo Kailuweit. Insbesondere bei den Arzneikosten gebe es Sparpotenzial – etwa über Preisobergrenzen für patentgeschützte Originale. Und die Senkung der Mehrwertsteuer für Medikamente auf sieben Prozent würde die Kassen jährlich auch um drei Milliarden Euro entlasten. „Die Politik muss sich um die Ausgabenseite kümmern“, meint auch der Chef des Ersatzkassenverbandes, Thomas Ballast.

Druck macht zudem die Opposition. Die SPD etwa fordert ein gesetzliches Sofortprogramm, um Zusatzbeiträge zu verhindern – und auch sie verlangt zuvorderst ein Arzneisparpaket. Man müsse „nur den Willen und auch den Mut haben, der Pharmalobby die Stirn zu bieten“, meint die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Carola Reimann. Im Zweifel seien auch weitere Steuerzuschüsse nötig, sagt SPD-Vize Elke Ferner und stellt klar: „Wer jetzt nicht handelt, hat die Zusatzbeiträge zu verantworten.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false