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Krawalle in Griechenland

© AFP

Krawalle in Griechenland: Warum die Gewalt?

Wieder ist es in Griechenland zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Nach den tödlichen Schüssen auf den 15-Jährigen Andreas Grigoropoulos am Samstag ist die Situation eskaliert. Aber wie wurde Griechenland zu solch einem Pulverfass?

Von Amir El-Ghussein

Seit den tödlichen Schüssen der Polizei auf Andreas Grigoropoulos erlebt Griechenland eine Welle der Gewalt. Jeden Tag liefern Fotografen Bilder von brennenden Barrikaden und Krawallen in den Städten. Was ist der Sprengstoff in der griechischen Gesellschaft, der durch den Tod des Jugendlichen explodierte?

Historische Wurzeln

Um die Struktur des Konfliktes zu verstehen, muss man einen Blick in die Geschichte werfen. "In Griechenland existiert seit der Militärdiktatur (1967 - 1976) eine Studentenbewegung, die stark durchsetzt ist mit autonomen und anarchistischen Strömungen", erklärt Professor Heinz-Jürgen Axt von der Universität Duisburg gegenüber tagesspiegel.de. "Es gibt in der Gesellschaft eine latente Sympathie für diese Gruppen, da sich die Studenten damals gegen die Obristen erhoben haben." Die aktuellen Proteste werden nicht nur von Anarchisten und Autonomen getragen, auch Schüler und Studenten beteiligen sich an den Demonstrationen.

Perspektivlosigkeit der Jugend

Die sozialen Ursachen für die derzeitige Situation sind "in der beruflichen Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher zu sehen, die in einem bürokratischen und veralteten Schul- und Universitätssystem verwaltet werden", analysiert Alexandros Tokhi, Mitarbeiter der Berlin Graduate School for Transnational Studies. Verschärft wird dieses Problem durch die prekären wirtschaftlichen Aussichten des Landes. "Die meisten Jugendlichen Berufsanfänger verdienen in ihren ersten Jahren 700 Euro, die heute in Griechenland nicht mehr zum Leben reichen."

Viele junge Griechen sind deshalb frustriert. "Die Jugendlichen sehen, dass es aufwärts geht mit Griechenland, aber nur wenige profitieren davon. Selbst gut Ausgebildete haben keine Aufstiegschancen, da Jobs häufig nur über Beziehungen vergeben werden. Die Vetternwirtschaft regiert", sagte Daniel Mouratidis zu tagesspiegel.de. Der Landesvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg hat einige Jahre in Griechenland gelebt.

Umstrittene Regierung

Die Regierung in Griechenland steht unter Druck. Wegen Korruptionsvorwürfen musste bereits ein Minister seinen Posten räumen. Im Bereich der Rentenfinanzierung steht der Staat vor großen Problemen. Außerdem haben unpopuläre Wirtschaftsreformen Teile der Bevölkerung verärgert. "Griechenland hat notwendige Reformen im Bereich der Privatisierung zu zögerlich begonnen und auch nicht vernünftig der Öffentlichkeit kommuniziert", sagt Axt. Für Daniel Mouratidis ist die verfehlte Bildungspolitik ein Grund für die angespannte Lage und die Empörung der Demonstranten: "Es muss endlich in Universitäten und Schulen investiert werden."

Fragwürdige Unterstützer

Die Protestler werden inzwischen von den Gewerkschaften, die einen Generalstreik ausgerufen haben, der kommunistischen Partei (KKE) und der radikalen Linken Partei (Syriza) unterstützt. Für Axt ist klar: "Die KKE und die Gewerkschaften wollen jetzt auf den Zug aufspringen, weil es zu Neuwahlen kommen könnte." Die Lager versuchen sich bereits für den Wahlkampf zu positionieren. Laut Axt gibt es aber kaum Übereinstimmung von Autonomen- und Anarchistengruppen auf der einen Seite und Gewerkschaften und Kommunisten auf der anderen Seite.

Die Rolle der Polizei

Das Verhalten der Polizei bringt zusätzliche Schärfe in den Konflikt, da es offenbar an einer einheitlichen Linie fehlt. In Athen hat sich das Anarcho-Viertel Exarchia herausgebildet, das bei Künstlern und Studenten beliebt ist. Von dort hat sich die Polizei fast gänzlich zurückgezogen. Gleichzeitig haben die häufig schlecht ausgebildeten Beamten in den vergangenen Jahren das Vorgehen gegen die Demonstranten anderenorts verschärft.

Aktuell waren sogar Unschuldige von Polizeiwillkür betroffen. "Die griechische Polizei hat grundlos Tränengas gegen friedlich demonstrierende Jugendliche vor dem Parlament eingesetzt", beklagt Tokhi. Auch andere Beobachter bemängeln eine fehlende Strategie oder ein Zaudern der Polizei. In der vergangenen Woche sei die Polizei plötzlich sehr massiv vorgegangen, sagte Axt. "In der Nacht zu Dienstag überlässt man die Straßen dann den Demonstranten und kümmert sich gar nicht mehr darum." Die Staatsmacht, die für Ordnung sorgen sollte, kapituliert. "Das zeigt die Unsicherheit der Polizei, über die Vorgehensweise", sagte Axt. Auch Mouratidis mahnt: "Die Polizei müsste ihr Verhalten einmal reflektieren."

"Fälle polizeilicher Fehler, bei denen Menschen zu Schaden kamen, traten in der Vergangenheit öfter zu Tage und demonstrierten, dass die griechische Polizei hinsichtlich ihrer Führungs-, Deeskalations- und Organisationskompetenz unterentwickelt ist", analysiert Tokhi. Daraus resultiere ein ernsthaftes Sicherheitsproblem, das das staatliche Gewaltmonopol und seine Ausformung in Frage stelle.

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