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Politik: Krawalle in Nordirland: Trompeten gegen den Frieden - Höhepunkt der protestantischen Paraden in Nordirland

Bei Krawallen am Rande des großen Paradentags des protestantischen Oranier-Ordens sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Während eines traditionellen Freudenfeuers in der Nacht zum Mittwoch wurde ein 22-jähriger Mann erschossen.

Bei Krawallen am Rande des großen Paradentags des protestantischen Oranier-Ordens sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Während eines traditionellen Freudenfeuers in der Nacht zum Mittwoch wurde ein 22-jähriger Mann erschossen. Hunderte von Zuschauern befanden sich in Sichtweite des Scheiterhaufens im Städtchen Larne, als eine Gruppe von Angreifern das Opfer verprügelte und durch einen Kopfschuss tötete. In Coleraine nordwestlich von Belfast wurde ein Mann erstochen.

Nach den Unruhen verhinderten die Behörden in Belfast am Mittwoch mit Gewalt den Marsch von Oraniern durch ein katholisches Viertel. In Portadown und anderswo lieferten sich protestantische Randalierer mit der Polizei Straßenschlachten. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Plastikgeschosse ein. Katholische Kirchen und Versammlungslokale der Oranier waren Zielscheiben für Brandanschläge.

Zehntausende Mitglieder des Oranier-Ordens paradierten an 18 verschiedenen Orten in Nordirland, um ihre protestantisch-britische Identität zu bekunden. Sie feierten den Sieg Wilhelms von Oranien über den gestürzten König von England, Jakob II. Stuart, dem jedoch nicht allein sein katholischer Glaube, sondern auch sein Despotismus zum Verhängnis geworden war. Auf den bunten Bannern der Oranier bäumt sich Wilhelms Schimmel, der in Wahrheit ein Brauner war. Und natürlich erwähnte niemand, dass damals, am 1. Juli 1690 (nach altem Kalender), die Kirchenglocken im päpstlichen Rom den protestantischen Sieg mitgefeiert hatten. Die größte Parade fand in Belfast statt. Wie letztes Jahr protestierte der Orden gegen die Sperrung einer Brücke über den Fluss Lagan. Die 20 000 Teilnehmer der Parade versammelten sich im Park neben der Brücke, um Reden anzuhören und Stullen zu verspeisen. Mit eingerolltem Schirm, weißen Handschuhen, einer orangenen Schärpe für das königliche Haus Oranje und einer steifen Melone auf dem Kopf marschierten die Männer Ulsters im Takt zu Pfeifen und Trommeln. Die Kapellen tragen oftmals uniformartige Kostüme, zeichnen sich allerdings nur selten durch ihre Musikalität aus. Über 3000 dieser Paraden finden alljährlich in Nordirland statt. Diese drögen und monotonen Paraden sind zum Sinnbild protestantischer "Kultur" geworden. Das ist das Elend: Viele Oranier definieren sich nur noch durch derartige Symbole. Doch dass diese als Grundlage für ihren Kampf für Eigenständigkeit ziemlich mager ist, dämmert immer mehr Mitgliedern des Ordens; sie fordern eine radikale Abkehr von der geduldeten Gewalt der letzten zwei Wochen.

Die nordirische Polizei veröffentlichte am Dienstag eine Gewaltstatistik für die Oranierproteste dieses Monats: 280 Attacken auf die Sicherheitskräfte, davon 13 mit Schusswaffen, 358 Fahrzeuge beschädigt, davon 88 gestohlen, 77 Wohnhäuser und 55 Geschäftshäuser attackiert. Fast 100 Angehörige der Sicherheitskräfte erlitten dabei Verletzungen. In Portadown wurde in der Nacht zum Mittwoch auf der Spitze des Scheiterhaufens die Puppe eines Polizisten verbrannt - ein Symbol für die Ratlosigkeit der Protestanten, die diese Polizei einst als ihre Verbündeten betrachteten. Nur Stunden bevor die Puppe brannte, verabschiedete das britische Unterhaus ein Gesetz, das den bisherigen Namen der Polizei "Royal Ulster Constabulary" abschafft.

Martin Alioth

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