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Politik: Krawalle ohne Ende

Ein Jahr nach den Unruhen in Frankreichs Vorstädten eskaliert die Gewalt an einigen Orten erneut

Einen Tag vor dem Jahrestag der Vorstadtunruhen in Frankreich haben Jugendliche im Großraum von Paris und Lyon insgesamt vier Nahverkehrsbusse überfallen und in Brand gesteckt. Nach den Überfällen auf Polizisten und Brandanschlägen auf Busse in Vororten der französischen Hauptstadt hat Frankreichs Premierminister Dominique de Villepin eine „sofortige und exemplarische“ Bestrafung der Täter gefordert. „Es darf in unserem Land keine rechtsfreien Räume geben“, sagte der Regierungschef am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Cergy-Pontoise bei Paris.

Villepin bekräftigte damit die vergangene Woche verkündete Absicht der Regierung, das Strafrecht weiter zu verschärfen. Angriffe auf Polizisten sollen danach nicht mehr als Delikte von Strafgerichten, sondern als Verbrechen von Schwurgerichten mit Strafen bis zu 15 Jahren Haft geahndet werden. Zu der härteren Gangart sieht sich Regierung durch eine Reihe von Gewalttaten veranlasst, die ein Jahr nach den Jugendkrawallen vom vergangenen Herbst ein Wiederaufflammen der Gewalt in den Problemvierteln der Hauptstadtregion befürchten lassen.

In der Nacht zum Donnerstag wurden in Nanterre und Bagnolet zwei Linienbusse von vermummten Leuten in Brand gesetzt. In Montreuil kaperten Unbekannte einen Bus, fuhren damit wild durch die Gegend und steckten ihn dann ebenfalls an. Am Sonntag hatten Jugendliche in Grigny einen Bus und zwei Fahrzeuge angezündet. Die Verkehrsbetriebe in den betreffenden Orten kündigten die Einstellung des Nachtverkehrs in die betreffenden Viertel ein. Davor hatten Jugendliche in Corbeil-Essonne, Les Mureaux und Epinay-sur-Seine Polizeistreifen in ihren Fahrzeugen mit Schlagwerkzeugen und Steinen angegriffen. In Epinay gerieten die Beamten in einen regelrechten Hinterhalt, aus dem diese erst nach Warnschüssen in die Luft freikamen.

Ein Jahr nach den landesweiten Vorstadtkrawallen ist der Frust in Frankreichs Sozialwohnungsvierteln über nicht eingelöste Versprechen der Politik auf eine bessere Zukunft groß. Die Regierung hat die Hoffnung auf eine schnelle Lösung der Probleme längst aufgegeben und setzt sechs Monate vor den Präsidentschaftswahlen vor allem auf mehr Polizei. „Ich höre hier und da, dass nichts für die Vorstädte getan wurde, dass sich nichts geändert habe. Das kann ich nicht akzeptieren“, entgegnet Villepin auf Vorwürfe, die Regierung habe außer Repression nichts zu bieten. Die jüngsten Krawalle seien „die Rache für die Ungerechtigkeit“, die viele Jugendliche in den Vorstädten erlebten, sagt beispielsweise der 23-jährige Abdel aus Grande Borne. Statt mehr Lehrern und Arbeitsplätzen gebe es vor allem mehr Bereitschaftspolizisten. Jüngst sei er mit seinem Auto „zwei Mal auf 200 Metern“ angehalten worden. Viele Jugendliche fühlten sich von der massiven Polizeipräsenz provoziert, sagt die aus dem Kongo stammende Schülerin Eve. „Sie ist nicht da, um uns zu schützen, sie ist da, um uns zu kontrollieren.“

Gewaltakte gegen Polizisten, Feuerwehrleute oder Busse sind in Frankreichs Problemvierteln allerdings nicht erst seit einem Jahr alltäglich. Nach Angaben von Innenminister Nicolas Sarkozy werden pro Tag 15 Überfälle auf Ordnungskräfte registriert. Nicht nur die Zahl nehme zu, sondern auch die Brutalität. Die Gewalt sei nicht mehr „spontan“ wie im vergangenen Jahr. Die Krawalle hatten als Reaktion auf den Tod zweier von der Polizei verfolgter Jugendlicher begonnen. Nun gehe die Gewalt von Banden aus, lautet das Fazit einer vom „Figaro“ zitierten Analyse der Polizei. Die Faktoren, die vor einem Jahr zum Ausbruch der Gewalt geführt hatten, seien jedoch weiter vorhanden und könnten jederzeit eine neue Explosion auslösen.

Innenminister Sarkozy hat daher die Polizei angewiesen, ihre Präsenz in den Problemvierteln beizubehalten, jedoch mit möglichster Zurückhaltung vorzugehen. Sich selbst hat der Innenminister, der 2007 für die Konservativen zur Präsidentschaftswahl antreten will, nicht an diese Maßgabe gehalten. Als die Polizei kürzlich nach den Urhebern der Überfälle auf die Beamten in Corbeil und Les Mureaux fahndete, waren zu den jeweils im Morgengrauen angesetzten Razzien auch Kameraleute des Fernsehens, Fotografen und andere Medienvertreter eingeladen worden.

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